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Reality-TV: Dschungelcamp: Die Trash-Kompetenten

Reality-TV ist reißerisch, voyeuristisch und asozial. Seinen Erfolg erklärt das allein nicht. Anmerkungen zum Start der neuen Dschungelcamp-Staffel "Ich bin ein Star, holt mich hier raus".

Natürlich ist das nach wie vor nichts für zartbesaitete Kulturbürger. Natürlich ist es reißerisch und voyeuristisch, natürlich geht es den Machern um Sex, Sensation, schmierig ausgewalztes Schicksal und entfesselte Schadenfreude. Bereits die Vorberichterstattung zur sechsten Staffel des RTL-Dschungelcamps „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, die an diesem Freitag beginnt, fokussierte auf niedrigste Instinkte und meldete zuletzt, dass das designierte „Dschungel-Luder“ Micaela Schäfer – nein, die muss man nicht kennen – jene die Brustspitze knapp verbergenden „Nippelpads“ ins Camp einbringt, die sie als Topless-DJane (als Oben-fast-ohne-Plattenauflegerin) bekannt gemacht haben. Eine Nachricht, die viel aussagt über den Zynismus derer, die sie lancierten.

Zugleich kennt man diesen Typ Nachricht aus den Vorjahren, ebenso wie die Dauerdemütigung in der am letzten Samstag zum neunten Mal gestarteten Dieter-Bohlen-Show „Deutschland sucht den Superstar“. Mit den immer gleichen Mitteln der Drastik und Entblößung gehen Deutschlands erfolgreichste Trash-Formate Seit’ an Seit’ in die x-te Saison und erregen dabei abseits ihrer riesigen Zuschauermassen weder übermäßiges Interesse, noch ernten sie großen Widerspruch. Vorbei die Zeiten, als die einen angesichts der Verrohung der TV-Sitten lautstark den Untergang des Abendlandes befürchteten, die anderen nur heimlich zu schauen wagten und Christoph Schlingensief seinen Wiener Abschiebecontainer errichtete. Knappe zwölf Jahre nach der ersten Big-Brother-Staffel, gute neun nach dem ersten „DSDS“ und ziemlich genau acht nach dem ersten Dschungelausflug liegen die Blockbuster des Trash-TV friedlich eingebettet in einen Jahreskreis weitab der Hochkultur, der im Januar mit „Deutschland sucht den Superstar“ und dem Dschungelcamp beginnt und im Dezember mit dem „Supertalent“ endet.

Angesichts dieser Stabilität der Verhältnisse stellt sich durchaus die Frage, was aus jenem Topos der bürgerlichen Kulturkritik geworden ist, wonach sich das Privatfernsehen (und nicht nur das) auf einer Abwärtsspirale hin zum totalen Niveauverlust bewegt. Was ist aus der Befürchtung geworden, die immer neuen Grenzüberschreitungen der Macher zeitigten eine wachsende Verrohung auf Seiten der Rezipienten – nun, da angesichts der nur noch spärlich zugespitzten Vorführshows von Grenzüberschreitung eigentlich keine Rede mehr sein kann? Spätestens mit der immens erfolgreichen fünften Staffel des Dschungelcamps im Vorjahr stellte sich aber auch die Frage, wie sich die dauerhafte Beliebtheit der Trash-Formate, vor dem Hintergrund dieser Stagnation, dauerhaft erklären lässt.

Sicher scheint bei der Beantwortung dieser Fragen nur eins: Einschaltquoten im hohen einstelligen Millionenbereich und immense Marktanteile haben die rohe Mär vom verrohten „Unterschichtenfernsehen“ längst zur Farce werden lassen. Der Verdacht liegt nahe, dass in den Shows ein widerständiges Element ist, das zu verkennen im unangenehmsten Sinn elitär wäre. Wer sich nicht damit zufrieden geben will, das Gros des Fernsehpublikums für gehässige und in ihrem Konsum ideenlose Vollidioten zu halten, muss an etwas anderes glauben, das die Massen bindet. Etwas, das über die Lust an der Lust, am Leid und an der Lächerlichkeit der anderen hinausgeht.

Das letzte Dschungelcamp wirkte bildend

Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Lust des Trash-Zuschauers auf etwas richtet, das die Macher der Sendungen gar nicht beabsichtigen und auch nur eingeschränkt steuern können. Es ist die Lust an einem Spiel, an dem auch die Fernsehproduzenten nur als ein Mitspieler von vielen beteiligt sind. Exemplarisch zeigte bereits die letzte Staffel des Dschungelcamps, dass der Mythos vom eindeutigen Einwirken zynischer TV-Macher auf ein doofes Publikum so nicht haltbar ist. Da entzog sich der im Vorfeld zur Sensation aufgebaute Rainer Langhans, einmal im Dschungel angekommen, nahezu jeder Zurichtung durch Schlaf und Meditation. Die ekligen, aber auch schon lange nicht mehr innovativ ekligen Dschungelprüfungen mussten die Sendung nur so lange tragen, wie sich noch nicht ein tragfähiges Narrativ herausgebildet hatte.

Das kam, als es kam, mit Macht: Wie da die Dschungel-Zicke Sarah Knappik die eigene Situation vorbildlich reflektierte („Ey, die Leute da draußen müssen mich hassen“), irgendwann in den Alles-egal-Modus schaltete und das Dschungelpärchen Indira Weis und Jay Khan der Inszenierung ihrer Romanze bezichtigte, das allein war großes Fernsehen. Als die beiden diesen Verdacht mit geflüsterten Absprachen weiter nährten, wurde es brillant. Die als Realität (oder besser: Reality) getarnte Inszenierung der TV-Sendung wurde durch die in sie eingebettete Inszenierung der Teilnehmer herrlich komplex. Plötzlich stand da, für jeden erkennbar, eine große kulturelle Frage im Raum: danach, wie viel Wahrhaftigkeit innerhalb einer Inszenierung überhaupt möglich ist.

Damit wirkte das letzte Dschungelcamp im besten Sinne bildend auf seine Zuschauer. Im öffentlichen Diskurs um Reality-Formate geht es seitdem auffällig oft genau um das, was das 2011er-Camp problematisierte: um Fragen der Inszenierung. Anflüge von Scripted Reality, also vorgeschriebenen Szenen für reale Personen, in den Erfolgsformaten „Bauer sucht Frau“ und „Das Supertalent“ wurden im Herbst breit diskutiert. Erst am Montag dieser Woche betonte RTL-Restauranttester Christian Rach in der Boulevard-Sendung „Extra“, dass in seiner Sendung keine Szenen gestellt seien. In anderen Formaten, etwa beim „Perfekten Promi-Dinner“ auf Vox, wurde in letzter Zeit hingegen zunehmend offen damit kokettiert, dass vermeintlich spontane Vorgänge mehrfach gedreht wurden.

Mit dem Dschungelcamp hat sich so aus dem Medium selbst eine neue Form der Medienkompetenz entwickelt, die ebenso sehr die Lust am TV-Geschehen steigert wie sie, als spezifische Form einer selbstbestimmten Mündigkeit, durch Schulen, Theater und Qualitätsfernsehen nie hätte anerzogen werden können. Längst gibt es ein breites Bewusstsein für die Hinfälligkeit der im Privatfernsehen vermittelten Realität, längst ist es nicht zuletzt diese Hinfälligkeit, das beständige Aneinanderreiben des Anspruchs der Formate und ihrer vermeintlichen Realität, das ihren Reiz ausmacht. Dafür spricht nicht zuletzt das immer schnell abebbende Interesse an den Siegern von Casting-Shows. Den Teilnehmenden reichen 15 Minuten Ruhm aus, den Zuschauern reicht eh, dass die Sendung weitergeht. Im festen Rahmen, aber eben auch in kleinen, aber bedeutsamen Varianten.

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