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Braune Liebe. Alina Levshin und Gerdy Zint als Skin-Paar in „Kriegerin“.

© Ascot/Alexander Janetzko

Interview: Rechte Gewalt im Osten: Germania Dating

„Im Osten ist Rechtsextremismus Mainstream“: Der Regisseur David Wnendt spricht über rechte Gewalt und die Recherchen zu seinem Spielfilm "Kriegerin", der Geschichte eines ostdeutschen Neonazi-Mädchens.

Herr Wnendt, Ihr Spielfilm „Kriegerin“ über ein ostdeutsches Neonazi-Mädchen wirkt szenenweise fast dokumentarisch. Wie haben Sie recherchiert?

Ich habe viel gelesen zum Thema, unter anderem die Dissertation der Soziologin Michaela Köttig über „Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen“. Von ihr habe ich mich beraten lassen. Ich bin bei rechten Demos mitgelaufen, habe rechte Jugendclubs in Brandenburg besucht und mit rechtsextremen Frauen gesprochen, die ich über Dating-Plattformen wie „Germania Dating“ oder „Odins Kontaktanzeigen“ kennengelernt hatte.

Frauen gelten als Außenseiterinnen in der Neonazi-Szene.

Das stimmt nicht mehr. Es gibt einen eigenen Zweig der Rechtsextremismusforschung, der sich mit den Frauen beschäftigt. Es werden immer mehr, die auf verschiedensten Ebenen aktiv in der rechten Szene mitmachen. Sie sind nicht nur dabei, weil ihr Freund Skinhead ist, nein, sie sind genauso rassistisch und gewalttätig. Einige versuchen, in NPD-Ämtern auf legal-bürgerlichem Weg für ihre Ziele zu kämpfen und machen dann etwa in Elternvertretungen, Vereinen und Verbänden mit. Andere sind in Kameradschaften.

David Wnendt, 34, porträtiert in seinem Spielfilm „Kriegerin“ ein Neonazi-Mädchen aus der ostdeutschen Provinz. Sein Langfilm-Debüt kommt am 19. Januar 2012 in die Kinos.
David Wnendt, 34, porträtiert in seinem Spielfilm „Kriegerin“ ein Neonazi-Mädchen aus der ostdeutschen Provinz. Sein Langfilm-Debüt kommt am 19. Januar 2012 in die Kinos.

© Ascot Elite

Was treibt diese Mädchen und jungen Frauen zu den Neonazis?

Bei vielen spielt tatsächlich, wie in meinem Film, die Generation der Groß- und Urgroßväter eine Rolle. Ein Mädchen hat mir das plastisch erklärt. Mit ihren Eltern gab es immer Stress und Streit. Der Großvater hat sie mit erzogen, zu dem hatte sie ein Vertrauensverhältnis. „Wenn der mir sagt: Das Dritte Reich war viel besser, und der Holocaust ist eine Lüge, dann glaube ich eher ihm als den Lehrern“, sagte sie. Wenn dazukommt, dass die Eltern politisch desinteressiert oder desillusioniert sind und Ausländerfeindlichkeit in diesem Umfeld salonfähig ist, dann können das Ursachen für Rechtsradikalismus sein.

Sie waren in Orten wie Lübben, Forst und Preschen. Gehört Rechtsradikalismus dort zum Mainstream?

Auf jeden Fall. Als ich 1997 nach Berlin kam, habe ich eine Fotoreise durch die neuen Bundesländer gemacht, um Industrieruinen und den Tagebau aufzunehmen. Da gab es viele erkennbar rechte Jugendliche. Sie erzählten, entweder man ist in einer rechten Clique oder in einer Punk-Clique, mehr Auswahl gibt es nicht. Das fand ich ziemlich schockierend. In Berlin will das kaum einer wahrhaben.

Hat sich das mit den Enthüllungen über die Zwickauer Terrorzelle verändert?

Das Thema wird nicht einfach so verschwinden. In Lübben sprach ich mit ganz normalen Jugendlichen, 14-jährigen, sympathischen Mädchen, die aufs Gymnasium gingen. Die sagen, sie seien in keiner rechten Gruppe, aber wenn man dann über Ausländer spricht, ist es für sie das Normalste der Welt, gegen Ausländer zu sein. Das ist Mainstream-Meinung. Dabei gibt es in der ostdeutschen Provinz nur sehr wenige Ausländer, in manchen Gegenden liegt der Bevölkerungsanteil bei ein, zwei Prozent. In Sachen Demokratie-Ablehnung und Ausländerfeindlichkeit sind die Rechten kompatibel mit der Mehrheit. Bei rechten Demos im Osten wird der „Sozialismus“ im Nationalsozialismus betont und mit einer Kapitalismus-Kritik verknüpft, auch da stoßen die Rechten auf offene Ohren.

Nach dem Motto: Die DDR war nicht so schlecht?

Viele Erwachsene sagen: Dieses neue System ist auch nur Lug und Trug, keine echte Demokratie. Da wird den Nazis nichts entgegengesetzt. In den neuen Bundesländern kommt hinzu, dass es bis zur Wende in jedem größeren Ort ein betreutes Jugendzentrum oder Jugendhaus gab. Viele davon sind weggefallen.

Eine Attraktion der Szene, so zeigt es Ihr Film, scheint das gemeinsame Saufen zu sein.

Einige Alt-Achtundsechziger, denen ich den Film gezeigt habe, haben mir gesagt: Mensch, die feiern ja genauso exzessiv wie wir früher. Da steckt auch Rebellentum dahinter. Früher, auf meiner Schule in Westdeutschland wurden die, die rebellieren wollten, Punks. Da war es ein Grundkonsens mit den eigenen Eltern, dass man, auch wenn man sie noch so sehr ärgern wollte, eben kein Neonazi werden würde. Das ist heute im Osten anders.

Ihr Film zeigt, dass es die Möglichkeit zum Ausstieg gibt. Marisa, die „Kriegerin“, freundet sich mit einem jungen Asylbewerber an. Sind Sie ein Optimist?

Es gibt Beispiele für Aussteiger, auch wenn das eine Minderheit ist. Wobei ich nicht glaube, dass man jemand mit noch so guten Argumenten aus der Szene herausholen kann. Dafür braucht es, wie im Film, einen Bruch im Leben, es muss natürlich von demjenigen auch eine gewisse Bereitschaft da sein. Der Weg zum Neonazi ist letztendlich eine Sackgasse, damit kann man nicht langfristig ein glückliches Leben führen, nicht mit dieser Ideologie und diesem Hass. Das ist wie bei einer Sekte, manche schaffen es, auszusteigen, aber viele sind vielleicht auch mit 90 noch bei Scientology.

Waren Sie erschrocken über die Enthüllungen rund um die Zwickauer Terrorgruppe?

Erschrocken, aber nicht überrascht. In der Szene ist das seit zwanzig Jahren gepredigt worden: endlich Taten statt Worte. Von der NPD sind viele harte Neonazis enttäuscht, weil sie als zu bürgerlich gilt, die wollen einen Umsturz und sehen Polizisten als Feinde. Bei zehntausend gewaltbereiten Neonazis ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein paar davon irgendwann Ernst machen.

Was kann man tun gegen Rechtsradikalismus?

Vieles. Den Vereinen, die sich gegen Neonazis wehren, nicht Mittel kürzen, wie zuletzt geschehen. Auch ein NPD-Verbot könnte die Szene durchaus treffen. Aber die große Frage bleibt: Wenn immer mehr Menschen die Demokratie anzweifeln, was kann man da dagegensetzen? Da müssten die Schulen aufklären, aber ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer nur noch Rückzugsgefechte führen. Die Demokratie ist schwierig und anstrengend, aber sie ist es wert, für sie zu kämpfen.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

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