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Robin Ticciati

© Marco Borggreve

Robin Ticciati und das DSO: Ein Chef zum Verlieben

Der 32-jährige Brite Robin Ticciati unterzeichnet seinen Vertrag als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters ab Herbst 2017.

Es dauert keine drei Minuten, und er hat die Sympathie aller Anwesenden gewonnen. Robin Ticciati lässt seinen offenen, freundlichen Blick über die Reihen im rappelvollen Saal schweifen. Hier, in der Villa Elisabeth an der Invalidenstraße in Mitte, wird er gleich einen Vertrag als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters ab 2017 unterschreiben. Der 32-jährige Londoner hat auffallend große Hände mit langen, schlanken Fingern. Überhaupt ist er hoch gewachsen, ein junger Mann von tadellosen Umgangsformen, der für den offiziellen Anlass einen dezenten taubenblauen Anzug gewählt hat. Wie er so dasitzt, zwischen DSO-Direktor Alexander Steinbeis und dem Trompeter Matthias Kühnle, der das Orchester repräsentiert, strahlt er genau jene natürliche Autorität aus, mit der er die Berliner Musiker im September 2014 überzeugen konnte.

Ebenso freundlich wie bestimmt sei er bei den Proben gewesen, erzählt Kühnle, und Steinbeis ergänzt, dass ihn Ticciatis Beharrlichkeit bei der Programmabsprache beeindruckt habe: Der Brite wollte unbedingt Anton Bruckners „Romantische“, ein Werk, das normalerweise Chefdirigenten oder Altmeistern vorbehalten ist. Er bekam die Sinfonie – und überzeugte das Orchester.

Diesem folgenreichen Debüt war ein jahrelanges Werben des Orchesterdirektors um den Shootingstar vorangegangen. „Robin wollte sich Zeit lassen mit Berlin, vor allem auch mit der Frage, bei welcher Institution sein erster Auftritt in der Stadt über die Bühne gehen sollte“, sagt Steinbeis. „Ich bin froh, dass du dich für das richtige Orchester entscheiden hast!“

Seine Dankesrede beginnt Ticciati auf Deutsch, schaltet dann aber in seine Muttersprache um. Er lobt die offene, flexible Art des DSO, spricht von der großen Verantwortung, die er hier übernimmt, und seinem Plan, nach Berlin zu ziehen. „Ich fühle mich wirklich geehrt, hier arbeiten zu können, in dieser Stadt, in der die Musik so eine wichtige Rolle spielt.“

Die künstlerische Leitung des Glyndebourne Opera Festival wird er behalten, weil er die dortigen Arbeitsbedingungen so sehr liebt, den Job beim Scottish Chamber Orchestra dagegen will er zum Sommer 2017 abgeben, um genug Zeit für Berlin zu haben. „Ich bin keiner, der Chefpositionen wie Trophäen sammelt.“ Spricht’s und schreitet zu einem Eichenschreibtisch mit gedrechselten Beinen, der aussieht wie aus dem Theaterfundus geholt. Hier liegt die Unterschriftenmappe mit dem Vertrag bereit. Mit grüner Tinte unterschreiben erst Thomas Kipp, der Geschäftsführer der Rundfunkorchester und -chöre GmbH, zu der das DSO gehört, und dann Ticciati. Anschließend wird Champagner geeicht.

Ticciati hat einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben

Auf fünf Jahre hat sich der Brite verpflichten lassen – damit bekommt das DSO endlich wieder die Perspektive einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem künstlerischen Leiter. Der letzte langjährige Chefdirigent des Orchesters war Kent Nagano, der sechs Jahre in Berlin wirkte, bis zum Sommer 2006. Seine beiden Nachfolger wollten sich jeweils nur auf „Schnupper-Engagements“ von drei Spielzeiten festlegen – die prompt nicht zur Verlängerung kamen. Ingo Metzmacher gab als offiziellen Grund die finanzielle Situation des Orchesters an, Tugan Sokhiev, der im kommenden Juni aufhören wird, bekam ein Angebot vom Moskauer Bolschoitheater, das der Russe aus patriotischen Gründen nicht ablehnen mochte.

Maestro mit Lockenkopf. Der neue Chefdirigent des DSO, Robin Ticciati.
Maestro mit Lockenkopf. Der neue Chefdirigent des DSO, Robin Ticciati.

© M. Borggreve

Um konkrete Werke zu nennen, die er in Berlin aufführen werde, sei es noch zu früh, findet Ticciati. Immerhin wird er in dreieinhalb Monaten schon einmal vorführen, wie er mit Debussys „La mer“ und Zeitgenössischem von Jörg Widmann umgeht, wenn er das DSO am 28. Februar 2016 in der Philharmonie dirigiert.

„Derzeit pflücke ich im Wald jede Sorte Pilze“, beschreibt er die Neugier, mit der er das Repertoire erforscht. Eine wichtige Rolle spielen dabei deutsche Komponisten. Mit den Bamberger Symphonikern hat er eine Bruckner-Messe eingespielt, mit dem Scottish Chamber Orchestra sämtliche Schumann-Sinfonien. In dieser Saison erarbeitet er in Edinburgh die Sinfonien von Brahms sowie Schlüsselwerke der Zweiten Wiener Schule. Und beim britischen Label Linn Records ist gerade eine grandiose Haydn- CD erschienen, die sich auf Augenhöhe mit den besten Haydn-Interpretationen von Ticciatis Lehrmeister Simon Rattle bewegt.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das DSO nach der ersten Zusammenarbeit einen jungen Maestro zum Chef gekürt hat. Auch bei Riccardo Chailly war es 1981 Liebe auf den ersten Ton: Der Mailänder dirigierte ein Verdi-Strawinsky- Tschaikowsky-Programm und wurde prompt engagiert. Es war Chaillys allererster Chefposten, er stand in seinem 29. Lebensjahr. Im Vergleich dazu ist Robin Ticciati fast schon ein alter Hase.

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