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Kultur: Schöner kämpfen

Kung Fu mit Wong Kar-Wai: „The Grandmaster“.

Als vor Jahren bekannt wurde, dass Wong Kar-Wai einen Film über Ip Man vorbereitet, war die Verwunderung so groß wie die Vorfreude. Es hatte, gerade in letzter Zeit, schon einige Filme über den wichtigen Kung-Fu-Meister und Lehrer der Kung-Fu-Legende Bruce Lee gegeben. Ip Man ist aber auch als Filmfigur interessant, weil er so viel erlebte: QingDynastie und frühe Republik, die Invasion Japans und Emigration nach Hongkong. Es geht also um Kampfkunst und die Geschichte Chinas. Was würde ausgerechnet der große Stilist und Melancholiker Wong Kar-Wai daraus machen?

Im Mittelpunkt von „The Grandmaster“, mit dem dieses Jahr die Berlinale eröffnet wurde, stehen Ip Man und Gong Er. 1936 ist der Norden von Japan besetzt, China droht auseinanderzubrechen. Ip Man gehört zur südlichen Kung-Fu-Schule des Wing Chun, sie dagegen ist die Tochter eines Bagau-Großmeisters aus dem Norden. Gongs alt gewordener Vater fordert Ip Man zum Duell – er soll sein Nachfolger werden und damit die Kung-Fu-Clans und das Land versöhnen. Doch Gongs stolze Tochter – und die Japaner – durchkreuzen die Pläne.

„The Grandmaster“ ist durchaus ein klassischer Wong: Ip Man, wohlhabender Familienvater und respektiertes Clan-Mitglied, endet als urbaner Einzelgänger, dargestellt von Tony Leung (zum siebenten Mal in einem Wong-Film, u.a. „In the Mood for Love“). Auch dieser Film erzählt von Losgerissenen und Versprengten, von der Reue und der Flüchtigkeit der Zeit. Und wieder ist es Hongkong, die enthobene Insel zwischen Ländern und Zeiten, auf der die Einsamen sich wiederfinden.

Wie kaum ein anderer kann Wong etwas heraufbeschwören – eine Stimmung, einen Traum, die Vergangenheit. Aber „The Grandmaster“ ist eben auch ein Kung-Fu-Film. Und ein episches Drama über mehrere Zeitwenden hinweg. Und erzählen, im klassischen Sinne, kann er eigentlich nicht. Und will es wohl auch nicht. Also setzt Wong auf das verwegene Unterfangen, „The Grandmaster“ als klassisches Historienepos auf seine eigene Weise aufzubereiten.

Das Problem dabei: Alle Melancholie, die Wong so virtuos aufzurufen weiß, zielt auf den verpassten Augenblick. Wongs Helden fehlt daher eine echte tragische Dimension. Sie tun nicht das Falsche, sie tun eher nichts. Wong müsste daher einen Weg finden, das Vergangene zum Auslöser von Handlung zu machen, ohne das Proust’sche Schwelgen im Detail und in der Erinnerung aufzugeben. Deshalb wohl vor allem stellt er Ip Man die fiktive Figur Gong Er zur Seite (großartig: Zhang Ziyi). Sie akzeptiert das Vergangene nicht. Sie will Rache. Aber reicht das?

„The Grandmaster“ überzeugt mit allem, was man von Wong erwarten darf – auch in den Kampfszenen. Seit Zhang Yimous „Hero“ und „House of Flying Daggers“ hat man Körper nicht mehr in solcher Schönheit aufeinanderprallen sehen. Beide Regisseure zeigen Kampf als anmutigen Tanz. Während Zhang Yimou aber das Ritual betont, ist es bei Wong Kar-Wai die Versenkung. Daher wirken die Zweikämpfe viel intimer. Bei Zhang Yimou ist es, als wüssten die Kämpfenden, dass man ihnen zuschaut. Bei Wong blenden sie alles andere aus.

Als Erzählung allerdings ist der Film ein Desaster. „The Grandmaster“ findet keinen Rhythmus, irritiert mit unerklärlichen Auslassungen und Einschüben. Figuren tauchen ab und willkürlich wieder auf; die teils atemberaubenden Einzelteile fügen sich nicht zum Ganzen. Selbst die Rückblenden erzielen wenig Wirkung. In der zähen Entwicklung von „The Grandmaster“ hat Wong den freien Blick auf sein reichhaltiges Material verloren.

Ist es eine verpasste Romanze, die der Film beweint, die aufgeriebenen Familien oder das Ende der Kung-Fu-Clans? Bei Wong laufen die Stränge schwach entwickelt nebeneinanderher, statt sich aneinander zu verdichten. Am Ende trauert man weder um die Liebe noch um die Kampfkunst. Sondern um den Film, der hier verpasst wurde. Sebastian Handke

In acht Berliner Kinos; OmU: Rollberg

und Hackesche Höfe

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