zum Hauptinhalt
Aus Ossetien nach Berlin. Der 33-jährige Dirigent Tugan Sokhiev.

© dpa

Symphonie-Orchester: Tugan Sokhiev: Ihr sollt mich kennenlernen

Tugan Sokhiev präsentiert sich als neuer Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Der Ossete gehört zu den großen Talenten der Generation dreißig plus, um die sich die Orchester in der ganzen Welt reißen.

Der Neue macht es sich schon mal bequem. Als am Montag in der Akademie der Künste die Reihe an Tugan Sokhiev kommt, sich zu seiner bevorstehenden Vertragsunterzeichnung als neuer Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters zu äußeren, bleibt er im Gegensatz zu seinen Vorrednern sitzen. Er stehe schließlich schon oft genug auf dem Podium, erklärt er gelassen. So spricht kein verbissener Karrierist, sondern nur einer, der sich's leisten kann. Was ziemlich genau das Kräfteverhältnis bei den Vertragsverhandlungen der letzten sieben Monate spiegelt. Während der 33-jährige Maestro spätestens seit seinem furiosen DSO-Konzert im Dezember mit Tschaikowskys fünfter Sinfonie der erklärte Wunschkandidat der Musiker für die Nachfolge von Ingo Metzmacher war, kann sich Sokhiev aussuchen, wo er dirigiert.

Der Ossete gehört – neben dem Letten Andris Nelsons, dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin und dem Briten Daniel Harding – zu den großen Talenten der Generation dreißig plus, um die sich die Orchester in der ganzen Welt reißen. Seit 2008 ist er bereits Chefdirigent im südfranzösischen Toulouse, regelmäßig dirigiert er die Wiener Philharmoniker und das Londoner Philharmonia Orchestra, mit dem er am 17. November auch in Berlin zu Gast sein wird. Und auch die Berliner Philharmoniker haben ihn nach seinem Debüt im Januar bereits wieder eingeladen. Bei dieser Angebotslage stellt der Chefposten beim DSO nur eine Option unter mehreren dar: Zwar kann das Orchester von Ferenc Fricasy über Lorin Maazel und Riccardo Chailly eine imposante Ahnengalerie vorweisen und hat im internationalen Tourgeschäft nach wie vor ein gutes Standing, doch die komplizierte Gesellschafterstruktur, die mit der Einbindung des DSO in die Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) verbunden ist, die Langsamkeit, mit der dort oft Entscheidungen über die Zukunft der Klangkörper und ihre finanzielle Ausstattung getroffen werden, sind Erschwernisse, auf die sich nicht jeder Pultstar einlassen will.

Und auch wenn bei der gestrigen Vertragsunterzeichnung natürlich keiner von Problemen sprechen will, schwebt die anstehende Neuordnung der ROC infolge absehbarer finanzieller Engpässe in den kommenden Jahren natürlich wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung. Auch der neue Chef dürfte sich keine Illusionen machen, dass diese Zukunft nicht einfach werden wird.

Dass Tugan Sokhiev dennoch eingewilligt hat, dem Orchester ab sofort als designierter und ab 2012 als amtierender Chefdirigent zur Verfügung zu stehen, dürfte denn auch daran liegen, dass er mit Orchesterdirektor Alexander Steinbeis einen Mann zur Seite hat, der ihm den Rücken freihalten kann. Der 36-jährige Steinbeis, dessen Vertrag gerade bis 2016 verlängert wurde, hat das DSO nicht nur souverän durch die Krisenphase gelotst, in deren Verlauf Ende vergangenen Jahres die Existenz des DSO wieder einmal infrage gestellt worden war, sondern mit der Konzeption der laufenden Saison auch die künstlerische Linie des DSO stimmig fortgesetzt.

Dieses Profil, das durch ungewöhnliche Programmkonzepte und Veranstaltungen wie die „Casual Concerts“ bestimmt wird, will auch Sokhiev pflegen. Es werde unter ihm keine dramatischen Veränderungen in dieser Hinsicht geben, stellt der neue Chef sicher und schwärmt von der „Freiheit, Dynamik und dem Fortschritt“, die seiner Ansicht nach den Geist Berlins ausmachen und die er auch im Orchester zu spüren glaubt.

Man braucht allerdings nicht viel Fantasie, um sich die Repertoireschwerpunkte vorzustellen, mit denen sich der Schüler des legendären russischen Dirigierlehrers Ilya Musin in Berlin etablieren wird: Schon bei seinen bisherigen Konzerten mit dem DSO seit seinem Debüt 2003 stand die russische Sinfonik von Tschaikowsky bis Rachmaninow im Vordergrund. Bei Sokhievs einzigem DSO-Konzert in dieser Spielzeit wird am 26. und 27. November Strawinskys „Sacre du Printemps“ auf den Pulten liegen. Der Klassikstadt Berlin dürfte das jedenfalls nur guttun. Denn obwohl die kulturelle Brückenfunktion der Stadt zwischen Ost und West immer wieder beschworen wird, hat bisher keiner der amtierenden Berliner Orchesterchefs eine besondere Leidenschaft für die russische Sinfonik erkennen lassen.

Was Sokhiev in dem für deutsche Orchester so zentralen Brahms- und Beethoven-Repertoire zu sagen hat, lässt sich dagegen noch nicht beurteilen. Es kann gut sein, dass auch er – ähnlich wie seine Vorgänger Chailly und Nagano zu Beginn ihrer Berliner Amtszeiten – hier erst noch schlüssige Antworten finden muss. Aufregend wird das in jedem Fall.

Er sei ein „dark horse“, beantwortet Sokhiev mit sardonischem Grinsen die Frage nach seinem Charakter. Nicht die schlechteste Voraussetzung, um in Berlin ins Rennen zu gehen.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false