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Kultur: Tausendfältig

Monika Rincks sprunghafte „Honigprotokolle“.

Der Honig gilt seit je als magischer Wirkstoff. In der Antike als Götterspeise verehrt, steht er in der abendländischen Philosophie für den Prozess der Schöpfung. Dichter wie Lukrez und Horaz entwarfen Analogien zwischen den Baumeisterfähigkeiten der Biene und der Arbeit des Lyrikers: „Aus bitterem Thymian sauge ich, der klugen Biene gleich, den süßen Honig meiner Dichtung.“ All diese Honig-Topoi von Platon bis Boethius hat auch Monika Rinck in ihre fein gewebten „Honigprotokolle“ eingeflochten, die freilich noch mit Stichwörtern der Gegenwartsphilosophie und Textsplittern aus Fachsprachen und Jargons angereichert werden. Die „Honigprotokolle“ sind insgesamt ein Meisterstück der Ästhetik des Diversen.

Bereits der Titel dieses Gedichtbuchs führt eine paradoxe textuelle Existenz. „Honigprotokolle“: Die Fügung markiert eine Antinomie des Festen und des Flüssigen. Das Zähflüssige des Honigs tritt in unmittelbar stoffliche wie hochsymbolische Verbindung mit den Fixierungen der Schrift. Die Gedichte selbst ermöglichen ein Vexierspiel mit den Lautähnlichkeiten der semantisch differenten Wörter „Honig“ und „Hohn“. Und all diese phonetischen Exerzitien bündelt die Autorin in einem bizarren Refrain: „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle …“

Monika Rinck verbindet die repetitiven Elemente der Litanei mit ihren sprachspielerischen Passionen und erzeugt damit eine unerhört suggestive rhythmische Bewegung. Die metrische Grundlage bilden die „gemischten Daktylen“ und „hüpfenden Rhythmen“, von denen es heißt, dass sie „das Weltinnenall des Binnenreims“ erschließen. Der Assoziationsdrang der Autorin führt zu einem lässigen Switchen zwischen Themen und Wissensfeldern, die in einer „mobilen Form“ verknüpft werden.

Die „Honigprotokolle“ kultivieren das Nebeneinander kleiner Phantasmagorien, sinnlicher Momentaufnahmen, politischer Szenen – und sie forcieren Abschweifungen in disparate Wortfelder. So entsteht mittels einer kühnen Bild-Artistik eine „wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist“. Wie im programmatischen Gedicht „Honighohn“: „Was der Honig an sich bindet: Protokolle. / Beflockte Unionen auf grau- bis graublauem Trikotstoff. Menschen / Werden. Hängen. Bleiben. Samen und Pollen genauso. Süße der Luft. / Kandierte Haare, Bahnen, Brücken. Stelle ich sie weg vom Kopf, / bleiben sie auf ewig stehen. Jedes Maß ist wahr in jedem Sinn. / Doch in Bezug auf was? Diese Sprünge! Barocker Minimator / des Verlangens. Wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist, / nur wird es nicht umgesetzt.“ Den Rinckschen Digressionen sind einige minimalistische Lieder des Komponisten Bo Wiget beigefügt, die deren „Heiterkeit des Denkens“ noch erhöhen. In der Schlusszeile eines „Honigprotokolls“, das vor „billigen, schnittigen Begriffen“ warnt, wird die alchemistische Formel „Solve et Coagula!“ aufgerufen: Löse und verbinde. Michael Braun

Monika Rinck:

Honigprotokolle.

Sieben Skizzen zu Gedichten, welche sehr gut sind. Kookbooks, Berlin/Idstein 2012.

80 Seiten, 19,90 €.

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