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Kultur: Wenn es gut geht, tanzen wir miteinander

Das Leben der anderen spielen: Martina Gedeck über Frauen im deutschen Film und den Blick der Regisseure

Frau Gedeck, der Stasi-Film „Das Leben der anderen“ kommt am Donnerstag ins Kino. Sie spielen darin eine Schauspielerin. Ist das etwas anderes, als einen Ihnen nicht so vertrauten Beruf darzustellen?

Eigentlich hätte ich die Schauspielerin gerne noch mehr gespielt. Es gibt ja nur kurze Theatersequenzen am Anfang des Films. Aber auf der Bühne zu stehen und gleichzeitig gefilmt zu werden, fand ich sehr aufregend.

Was ist so aufregend daran?

Ich kenne nur das eine oder das andere. Ich kenne es, die Energie von 600 Leuten zu spüren und darauf zu antworten. Beim Drehen gibt es eine andere Fokussierung, da vergesse ich im Moment des Spiels, dass vielleicht bald fünf Millionen Fernsehzuschauer zusehen. Eine groteske Vorstellung: Ich wäre so irritiert, dass ich keinen Ton mehr herausbekäme. Beim Filmen erstreckt sich die Spannung auf einen Bereich von vielleicht zwei Metern rund um die Kamera. Das Spielprinzip ist dasselbe, und doch ist es ein Unterschied wie zwischen Lastwagen- und PKW-Fahren.

Die DDR-Schauspielerin in „Das Leben der anderen“ macht Kompromisse, begeht ihrer Arbeit zuliebe sogar einen Liebesverrat. Welche Kompromisse machen Sie?

Eins kann ich nachvollziehen: Wenn man sich als Schauspieler bezeichnet, muss man seinen Beruf ausüben, permanent. Ein Trompeter muss sein Instrument ja auch täglich spielen und auftreten, er muss mit der Musik in Kontakt bleiben, sonst ist er kein Musiker mehr. Wie gehen mit dem Ungeformten um und erproben daran die Kraft der Fantasie. Wir kreieren eine Wirklichkeit, die andernfalls nicht da wäre. Das muss man regelmäßig betreiben, sonst verlernt man sein Handwerk. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass man nicht immer wählerisch ist.

Sie würden alles spielen?

Nein. Ich kann mir vorstellen, dass ich lieber auf die Schauspielerei verzichten würde, bevor ich unverantwortbare Kompromisse eingehe. Was die DDR betrifft, habe ich viel begriffen, als ich für den TV-Film „Hunger nach Leben“ die Schriftstellerin Brigitte Reimann spielte. Es gab, das weiß ich von Kollegen aus dem Osten, tatsächlich eine Zusammengehörigkeit unter den Künstlern, den Theaterleuten, den Schriftstellern. Das hängt man nicht einfach so an den Nagel.

In „Elementarteilchen“ und in „Das Leben der anderen“ spielen Sie Frauen, die sterben – damit ein Mann menschlicher wird.

Jetzt sind wir schon so weit, dass Frauen im Kino auch mal erwachsen sein dürfen, aber trotzdem müssen sie am Ende geopfert werden. Den Frauen muss was passieren, damit die Katharsis des Mannes in Gang kommt und er sich verwandelt, ewig leidet und Reue empfindet. Das ärgert mich, dieses Moralinsaure, besonders in Deutschland.

Streiten Sie darüber mit den Regisseuren?

Ja, es gibt immer wieder Gespräche in diese Richtung. Ich habe in den Vorbesprechungen gesagt: Vorsicht mit der Opferrolle. Aber als Schauspieler kann man nur bedingt eingreifen. Ich bin es Leid, auch wenn ich selbst viele solche Rollen gespielt habe, denn das Gefährliche daran ist, dass man Frauenfiguren, auf die so viel projiziert wird, nicht mehr als leibhaftige Wesen an sich heranlässt. Aber vieles gibt es ja längst im Kino: all die toughen, tollen Frauen im italienischen Film der sechziger, siebziger Jahre, in der französischen nouvelle vague. Die erwachsene Romy Schneider oder Laureen Bacall, Bette Davis, Katherine Hepburn. Oder Ingrid Bergman, die mit 25 „Casablanca“ gespielt hat. Dabei geht es nicht um Klasse, Schönheit oder Styling, sondern um den Raum, den man ihnen lässt. Aber nein, im deutschen Film sollen Frauen möglichst brav sein und kleine Mädchen. Die Reduktion auf Hure oder Heilige ist doch langweilig!

In letzter Zeit spielen Sie häufig unbehauste Frauen. Liegt Ihnen das?

Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, die Menschen fühlen sich insgesamt unbehauster. Der große Erfolg von „Sommer vorm Balkon“ liegt ja nicht zuletzt darin begründet, dass mit der kessen Krankenschwester, die Nadja Uhl spielt, endlich mal eine Frau zu sehen ist, die ihren Ort gefunden hat, auch wenn sie zwischenzeitlich aus der Bahn geworfen wird. Da blitzt auch Komik auf, danach sehnen sich die Leute. Sibel Kekilli in „Gegen die Wand“ ist auch so eine Figur.

Schauspielen hat etwas mit Hingabe zu tun, mit Unterwerfung. Wie fügsam muss man als Schauspielerin sein?

Schauspieler haben Angst. Vor jeder Szene gibt es eine subtile Aufregung: Kriege ich das gut hin? Alles, was mich innerlich einschränkt, was mich verkrampfen lässt, wirkt sich negativ auf das Spielen aus. Wenn ich aber Freiraum bekomme, wenn ich auch mal falsch spielen darf, wenn auch mein Partner mal falsch spielen darf, dann können die unglaublichsten, intensivsten Dinge geschehen. Es gibt ein weißes Blatt und eine schwarze Schrift, das ist alles. Der Rest entsteht im Augenblick, dann gibt es keine Einschränkungen mehr. In „Elementarteilchen“ gab es mit Moritz Bleibtreu solche Momente, vielleicht auch, weil ich weniger als je zuvor bewusst gestaltet habe. Nicht, dass ich mir das versage, es geschieht einfach. Mein Spiel wird minimalistischer.

Welche Rolle spielt der Regisseur in diesem Freiraum?

Das Wichtigste ist sein Blick, seine Wachsamkeit; dass er zuschaut und zuhört. Seine Sehnsucht prägt mein Spiel: Wenn er möchte, dass ich weich bin, dass ich erotisiert bin, kann er mir das zwar sagen, aber dann werde ich mich eher verkrampfen. Wenn er es sich jedoch vorstellt und mir auf diese Weise zuschaut, kann es sein, dass ich mich entspanne und ganz erotisch werde. Man braucht diese Konzentration, die vor Beliebigkeit schützt.

Wie verschieden sind die Blicke der Regisseure, mit denen Sie gearbeitet haben?

Dominik Graf macht klare Angaben. Er sagt einem unmissverständlich: Mach jetzt keine Bewegung. Ich will nichts in deinem Gesicht, kein Zucken, kein Lachen, kein Weinen, spiel das leer. Oskar Roehler ist anders. Er zögert, dann gehen wir ein Stück, er legt den Arm um mich, erzählt irgendwas Belangloses, aber hinterher weiß ich genau, was er will. Man bewegt sich nicht auf der Verstandesebene, sondern in einem Zwischenraum. Wenn es gut geht, tanzen wir dort miteinander.

Wie war es mit Florian Henckel von Donnersmarck?

Er ist sehr ehrgeizig, erklärt viel, bedenkt alles und scheint Schauspieler zu bewundern. Und er ist stur. Sonst hätte er diese Schauspielerriege nicht zusammenbekommen. Aber zunächst mal ist er Anfänger, ihn in eine Reihe mit Regiegrößen zu stellen, wäre verfrüht.

Was hat Sie als Schauspielerin geprägt? Es gibt die berühmte Geschichte, dass Sie als 12-Jährige Peter Steins „Sommergäste“ im Kino sahen und tagelang nicht sprachen.

Ich habe in dem Alter auch Bücher geradezu verschlungen. Ähnlich war es mit der Musik, ich hörte Symphonien, immer wieder, und dachte mir Geschichten dazu aus. Die Welt, die nicht die Wirkliche war, hat mich ungeheuer angezogen. Ich wollte immer dorthin, schon in der Schule. Und vieles war mir heilig. Die Erwachsenen gingen in meinen Augen viel zu oberflächlich damit um. Musik als Hintergrund: Das fand ich ungehörig.

Als Kind waren Sie fundamentalistisch.

Genau, die da oben auf der Theaterbühne waren die Größten. Ich habe sie idealisiert – was dem Beruf übrigens abträglich ist. Man erklärt genau das für unerreichbar, wo man unbedingt hin will. Zum Glück bin ich dann holterdipolter auf der Schauspielschule gelandet. Geerdet hat mich auch, dass etwa eine fantastische Schauspielerin wie Monica Bleibtreu sagte, sie habe nur zu spielen angefangen, weil sie Geld verdienen musste.

Was ist das Schlimmste beim Spielen?

Übergriffigkeit. Gewaltanwendung. Ich meine nicht die Medien, ich meine falsche Regieanweisungen (spielt): „Stell dir vor, du bist Lady Macbeth, du hast die ganze Nacht nicht geschlafen, beweg mal die Hände, ja sehr gut, führ sie langsam an dein Gesicht heran, ja, sieht super aus.“ Da wird man entseelt. Im Film verwandeln wir die dreidimensionale Welt ja ohnehin in eine zweidimensionale. Wir müssen das dann nicht auch noch verflachen.

Und was ist Ihr Glück beim Spielen?

Die Selbstvergessenheit. Dass man von sich absehen kann. Und das Bewusstsein, dass es nur ein Spiel ist. Das entspricht übrigens dem so genannten wirklichen Leben. Es ist gut, in dieser Haltung, mit diesem spielerischen Blickwinkel zu leben: Als wäre man eigentlich ein anderer.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

MARTINA GEDECK, geboren in München, studierte an der Berliner Hochschule der Künste und gab ihr Bühnendebüt im Frankfurter Theater am Turm. Sie hat mittlerweile in fast 50 Kino- und TV-Filmen mitgewirkt, bei Dominik Graf („Die Beute“, „Tiger, Löwe, Panther“) Jo Baier („Hölleisengretl“), Helmut Dietl („Rossini“) oder in Oskar Roehlers Elementarteilchen. Als Köchin in Sandra Nettelbecks Film Bella Martha wurde sie mit Preisen überhäuft.

In Florian Henckel von Donnersmarcks Debüt Das Leben der anderen spielt sie die DDRSchauspielerin ChristaMaria, die mit ihrem

Lebensgefährten,

einem Theaterregisseur (Sebastian Koch), von Stasi-Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) bespitzelt wird. Bundesweiter Kinostart ist am Donnerstag.

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