zum Hauptinhalt
288727_0_cc01239e.jpg

© bpk

Wernher von Braun: Der Nazi bei der Nasa

Für seine Weltraumpläne ging er über Leichen: Zwei neue Biografien analysieren den Aufstieg des Raketenpioniers Wernher von Braun

Die Gipfel im Oberjoch sind verschneit, als Wernher von Braun Ende April 1945 im Sporthotel „Ingeburg“ ankommt. Nach einem Autounfall trägt er den Arm in Gips, das herrliche Frühlingswetter und die ausgezeichnete Küche versprechen eine angenehme Erholung. Sein langjähriger Chef, Generalmajor Walter Dornberger, hat alles bestens organisiert.

Der Krieg ist verloren. Daran hat auch jene Rakete nichts geändert, die Dornberger und von Braun gegenüber Hitler als Wunderwaffe angepriesen hatten und die unter Einsatz von Tausenden KZ-Häftlingen in Serienfertigung gegangen war. Nun sitzen die Raketenmänner wieder beisammen und warten am Adolf-Hitler- Pass in 1200 Metern Höhe auf die Kapitulation. Und auf ihren künftigen Arbeitgeber: die US-Army. Die Szene ist ein Schlüsselmoment in den beiden soeben erschienenen von-Braun-Biografien. Sie markiert den Übergang von seiner Zeit in Deutschland, in der er die von der NS-Propaganda als „Vergeltungswaffe“ bezeichnete V2-Rakete entwickelte, zu den Jahren in den USA, wo er zum Wegbereiter des Apollo-Programms wird. Der Militärkonstrukteur und Raumfahrtfanatiker ist patriotischer Deutscher, er wird ein ebenso patriotischer Amerikaner sein.

Vierzig Jahre nach der ersten Mondlandung am 20. Juli 1969 schildern der Historiker Michael Neufeld und der Journalist Stefan Brauburger das Leben des Mannes, der damals unermüdlich für die Mondfahrt geworben und schließlich den Bau der 110 Meter hohen Mondrakete Saturn-V geleitet hatte. Sie führen aus, wie es ihm zeitlebens gelang, Geldgeber zu finden, um seiner kostspieligen Technikobsession nachzugehen. „Wernher von Braun war wirklich der Faust des 20. Jahrhunderts“, resümiert Neufeld. Ohne zu zögern, verkaufte er sein Wissen von einem Militärapparat an den nächsten. Der Sprung über den Atlantik war ein kleiner Schritt für ihn. Es sollte ein bedeutender für die Menschheit werden.

Neufeld, Historiker am National Air and Space Museum in Washington, hat von Brauns Leben minutiös nachgezeichnet. Seine 700 Seiten starke Biografie ist ein maßgebendes Porträt des Raumfahrtpioniers. Schon als Schüler experimentiert von Braun mit explosiven Chemikalien und bastelt an Raketenautos. Noch vor Beginn des Ingenieurstudiums an der Technischen Hochschule Charlottenburg jagt er mit seinen Freunden vom „Verein für Raumschifffahrt“ Raketen in die Luft. Der Verein ist mittellos. Als das Heereswaffenamt 1932 auf den Zwanzigjährigen aufmerksam wird, ergreift er die Chance: „Wir hatten keine moralischen Bedenken wegen einer möglichen späteren Nutzung unseres Geistesprodukts. Für uns war die Frage, wie wir die goldene Kuh am besten melken konnten.“

Die Tragweite des Pakts mit dem Militär kann er da noch nicht absehen. Während seine Raketen immer höher aufsteigen, verstrickt er sich tiefer und tiefer in die Zusammenarbeit mit dem totalitären Regime. 1938 tritt er in die NSDAP ein, zwei Jahre später in die SS. Mit gewagten Versprechungen geht er auf die Machthaber zu, die es ihm ermöglichen, ein millionenschweres Raketenzentrum in Peenemünde auf der Ostsee-Insel Usedom zu errichten. Dort entfaltet er sein einzigartiges Talent: große Teams von Ingenieuren und Wissenschaftlern zu leiten. Mit 30 Jahren steht er an der Spitze eines Technik-Imperiums.

„Ganz spontan fühlte ich mich ihm in irgendeiner Weise verwandt“, sagte Albert Speer, der nach ähnlich steilem Aufstieg 1937 Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt und später Reichsminister für Bewaffnung und Munition wurde. Speer war fasziniert von den Projekten des charismatischen Technikmanagers. „Es hatte etwas von der Planung eines Wunders.“ Im Rückblick betrachtete auch Speer die V2-Entwicklung als militärische Fehlinvestition.

Bis Kriegsende wurden 3000 mehr oder weniger funktionsfähige Raketen auf Antwerpen, London und Paris abgefeuert. Bei der Produktion verloren mehr Menschen ihr Leben als bei den Einschlägen. Unter unmenschlichen Bedingungen arbeiteten KZ-Häftlinge in einem Bergwerksstollen bei Nordhausen in Thüringen an der Raketenmontage.

Von Braun leugnete später, Genaueres gewusst zu haben. Dabei hatte er das Werk mehrfach besucht, im November 1943 selbst den Vorschlag gemacht, bei der Prüfung der Triebwerke mehr Sklavenarbeiter einzusetzen. Im KZ Buchenwald hatte er persönlich geeignete Häftlinge ausgesucht. „Er konnte, nachdem er gegen Ende 1943 die Stollen im Mittelwerk gesehen hatte, keine Illusionen mehr haben, was das für die Häftlinge bedeutete“, unterstreicht Neufeld. Kennzeichnend für den Herenmenschen von Braun sei seine „moralische Stumpfheit“ gewesen.

Als kurz vor Kriegsende Tausende in Zügen zusammengepferchte Häftlinge von Nordhausen zum KZ Bergen-Belsen rollen, ist von Braun bereits in Süddeutschland. „Während das deutsche Reich zerfiel und überall Chaos herrschte, lebten wir am ruhigsten und beschaulichsten Platz, den man sich in dieser Turbulenz vorstellen konnte.“

Stefan Brauburger, stellvertretender Leiter der ZDF-Redaktion „Zeitgeschichte“, malt die Kulisse im „Niemandsland zwischen Niederlage und Befreiung“ in seiner fesselnden Biografie aus. Übers Radio erfahren die Raketenmänner von Hitlers Tod und vom Waffenstillstand. Danach gehen sie sofort auf die US-Army zu. Von Brauns Ziel: „Diesmal möchte ich auf der Seite der Sieger stehen.“Auf der Seite derer, die er eben noch mit einer „Amerika-Rakete“ angreifen wollte.

Gekonnt führt Brauburger verschiedene Blickwinkel zu einem zeitkritischen Porträt zusammen. So lässt er den Techniksoziologen Johannes Weyer zu Wort kommen, der den eigentlichen Skandal darin sieht, dass von Braun in den USA „ein zweites Mal der Versuchung nicht widerstehen konnte, eine Massenvernichtungswaffe zu entwickeln“.

Nach dem Krieg wächst der Antikommunismus und mit ihm Gras über von Brauns NS-Vergangenheit. Als mit dem Korea-Krieg eine neue Runde des Wettrüstens beginnt, bauen die deutschen Raketenfachleute die erste funktionstüchtige Atomrakete. Sie wird später in Europa stationiert. Auf dieselbe Rakete setzt von Braun 1958 den ersten amerikanischen Satelliten. In Büchern, Zeitungsartikeln und einer Walt-Disney-Fernsehshow wirbt er unablässig für bemannte Missionen zu Mond und Mars und spricht sich – mit warnendem Fingerzeig auf sowjetische Raketenentwicklungen – für eine militärische Basis im All aus. Erst nach dem Sputnik-Schock öffnet sich ihm das Tor zum Weltraum: Er leitet den Bau der Mondrakete Saturn-V.

Millionen Amerikaner und Deutsche haben Wernher von Braun verehrt. Details seiner Rolle in der Zeit der NS-Diktatur kamen erst nach seinem Tod ans Licht. Eindrucksvoll beschreiben Neufeld und Brauburger, wie der charmante preußische Landadelige Ressourcen für die Raumfahrt mobilisierte, Verführer und Verführter zugleich war. Beide Biografien, die des Historikers reicher an Details, die andere stärker in der Diskussion der Folgen seines Handelns, leuchten seine faustischen Bündnisse aus.

„Als eine Schlussfolgerung seines Werdegangs steht die Erkenntnis, dass Technik, Macht und Moral eben keineswegs in Parallelwelten stattfinden, sondern stets ineinander greifen“, schreibt Brauburger. Das gilt nicht nur für die NS-Zeit, sondern auch für die Nachkriegsjahre, in denen die Welt an den Rand eines Atomkriegs geriet und der erste Mensch einen fremden Himmelskörper betrat.

Michael Neufeld: Wernher von Braun – Visionär des Weltraums, Ingenieur des Krieges. Siedler Verlag, München 2009. 685 Seiten, 49,95 €.

Stefan Brauburger: Wernher von Braun – Ein deutsches Genie zwischen Untergangswahn und Raketenträumen. Pendo Verlag, München 2009. 304 Seiten, 19,95 €.

Zur Startseite