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Hochdekorierter Humorarbeiter. Hans Zippert kann sich über mangelnde Anerkennung wahrlich nicht beklagen. Schon zweimal, 2007 und 2011, hat er den Henri Nannen Preis in der Kategorie Humor erhalten. Foto: Marcus Brandt/dapd

© dapd

Porträt: Der Zeilenwüstling

„Zippert zappt“. Jeden Tag. Jeden Tag 1100 Zeichen Spaß. Der Kolumnist Hans Zippert kennt kein Erbarmen und kein Ende.

Manchmal steht Zippert vor dem Schallplattenspieler und träumt. Er will sie alle besitzen. Alle. Die Nadel gräbt sich knisternd in die Rillen des großen Gestern. Zippert arbeitet an der vollständigen Eroberung der Schallplattenwelt zwischen 1965 und 1972. Das ist sein Reich, sein Nirwana, seine Lebensaufgabe. Wenn der Kolumnist an seinem Schreibtisch sitzt, blickt er auf Tausende von Schallplatten. Zwischen Sunshine-Pop und psychedelischem Furor lässt es sich leben. Lästig ist nur, dass Zippert auch noch schreiben muss, viel lieber würde er nur hören. Aber er muss liefern. Jeden Tag „Zippert zappt“. Jeden Tag 1100 Zeichen Humor. 1100 Zeichen Spaß. 1100 Aufmunterungsstöße für den „Welt“-Leser. Er zerpflückt die Welt, damit wir sie aushalten. Die sonnigen „Beach Boys“ motivieren ihn dabei oder auch die blumigen „The Mamas and the Papas“. „Aber“, sagt Zippert, „Zappa ist blöd, jemand mit einer Botschaft, das ist sehr hinderlich beim Schreiben.“ Erst wenn es plätschert, gehaltvoll plätschert, kommt der Kolumnist auf Touren. „Und kein Alkohol“, sagt Zippert, „für die kurze Kolumne lohnt es sich nicht, eine Flasche aufzumachen.“

Wie alle großen Humoristen ist Hans Zippert ein todernster Mann. Nicht traurig, aber todernst. Nur manchmal hebt sich eine Augenbraue scheinbar mokant, aber, versichert der Kolumnist schnell, das sei nur ein zielloses Zucken, die Folge eines Fahrradunfalls. Ja, der Kolumnist fährt viel Rad. Ab und zu fällt er damit um oder herunter. Dann schreibt er darüber einen Text. Und bekommt dafür prompt einen Preis, weil der Text so lustig ist. Auch zu diesem Interview in Berlin ist Zippert mit dem Rad gekommen. „Vorsicht!“ sagt er Hände schüttelnd, „ich bin ein starker Nachschwitzer!“ Mit kleinen Schlucken Wasser lindert der Kolumnist die Transpirationstümpel. Ein ordentlicher Mensch ist er. Lederne Aktentasche. Nimmt Platz. Erzählt. Aufgeräumt. Antworten wie vom Bügelbrett. Kein Vollmundiger. Kein Dauerredner. Kein Selbstverherrlichungskünstler. Lebt in Oberursel. In einer Doppelhaushälfte. Ab und an bellt in der Nachbarschaft ein Hund. Mit seiner Frau, einer Hebamme, ist er seit 25 Jahren zusammen. Er hat zwei Kinder, bei deren Hausgeburt der Kolumnist jeweils tatkräftig zugegen war. Man hält kurz inne. Wie, fragt man sich, wurde dieser Mustergatte, dieser brave Bürger zum Anarcho-Kolumnisten, zum satirischen Zeilenwüstling? Zippert ist Ostwestfale. Das erklärt einiges, aber nicht alles. Zippert wächst in Bielefeld auf. Er ist ein Einzelkind. Der Vater verlässt die Familie früh, zieht in eine andere Stadt. Zippert sieht eindeutig zu viel Fernsehen, sagt er selbst. Seine Mutter arbeitet als Krankenschwester. Oft in der Nachtschicht. Zippert sitzt derweil zwischen Tisch- und Großmutterbeinen und sieht fern. Er verliebt sich in Diana Rigg, die schlagfertige Heldin aus „Mit Schirm, Charme und Melone“. Zippert bekennt zart errötend: „Sie ist meine Traumfrau!“ Das hat Folgen. Das Träumen. Zippert bleibt sitzen. Nicht einmal, nicht zwei- mal, sondern dreimal. Wer sich ein bisschen mit der Materie auskennt, weiß, dass das eine strategisch-logistische Meisterleistung darstellt. „Ich litt nur das erste Mal, später habe ich das Außenseitertum zu einer offensiven Haltung ausgebaut.“

Als der junge Zippert auf dem Bielefelder Ratsgymnasium sein Abitur ablegt, ist er ein Greis. Und Zeitschriftenmacher. Zusammen mit vier Freunden produziert er das Satiremagazin „Dreck“. Die Schüler verkaufen es in Kneipen, zuletzt hat es eine stolze Auflage von 3000 Exemplaren. Ein bisschen „Pardon“ steckt drin, ein bisschen Punk und viel Zippert. Die Antihaltung regiert. Zerstören, randalieren, kapieren. Na ja, wobei das Zerstören schon das eigentliche Kapieren darstellt. Was sich aufbläht, wird weiter aufgebläht, bis es platzt. Zippert-Philologen können hier schon den ganzen, den heutigen Zippert entdecken. „So wie ich damals schrieb, schreibe ich auch heute, nur etwas routinierter.“ Nach der endlosen Schulzeit hat der Frühvollendete keine Muße mehr für ein Studium. Zwar schreibt er sich an der Uni ein, lässt die Akademie aber nach einer Woche sausen. Stattdessen landet Zippert beim Frankfurter Satiremagazin „Titanic“, dessen Chefredakteur er von 1990 bis 1995 ist. Zippert staunt heute noch darüber. Schüttelt den Kopf. Er ist Freigeist. Kein Chef. Kein Redakteur. Kein Büromensch. Trotzdem muss er ins Büro. Geld verdienen. Er wechselt zum damals noch existierenden „FAZ“-Magazin, wo er die Fernsehseiten betreut. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum freischwebenden, tänzelnden Kolumnisten. Als die „Welt“ 1999 einen Medienredakteur sucht, bewirbt sich Zippert. Mathias Döpfner, der damalige Chefredakteur, liest kurz in Zipperts Seele und Gesicht und sagt dann empfindsam: „Aber Herr, Zippert, Sie sind doch gar nicht fürs Büro und so ein Hochhaus geboren. Wie wäre es mit einer hübschen kleinen Kolumne?“

Der Kolumnist ist geboren. In Zippert jubelt es. Endlich kann er wirklich wichtigen Dingen nachgehen. Schallplatten sammeln, fernsehen, Rad fahren, von Diana Rigg träumen. Klar, die Kolumne muss er auch noch schreiben, aber das macht er im Handumdrehen. Er liefert verlässlich, aber immer auf den letzten Pfiff. „Ich will“, sagt Zippert mit heiligem Ernst, „topaktuell sein.“ Wenn Zippert mal eine Schreibblockade hat, was so gut wie nie vorkommt, legt er das Stück „Section 43“ auf, ein psychedelisches Instrumental der Gruppe „Country Joe and the fish“. Es klingt so, als ob räudige, haschischbenebelte Hinterhofkatzen zwischen Mülleimern auf Fischgräten miauen. Sehr anregend. Der Kolumnist sagt, das Stück habe er in seiner Jugend oft im Dunkeln gehört, langsam bekommt man eine Ahnung, wer dieser Mann ist. Ein anderes Kolumnisten-Stimulans ist der amerikanische Hippie-Autor Richard Brautigan. Wenn Zippert Brautigan liest, fängt es an zu quellen. Im Kolumnisten. Außerdem betet der „Teilzeitgläubige“ Zippert noch den Satiriker Robert Louis Stevenson an. Fast täglich.

Ob er eine Methode hat? Der Kolumnist überlegt. Die Stilmittel würden ihm eher intuitiv zufliegen. „Ein Grundprinzip der Kolumne ist es, Standpunkte zu zerstören.“ Zippert trennt Untrennbares, vergleicht Unvergleichbares, macht den Irrsinn plausibel und türmt so lange Fragen auf, bis die Antworten flüchten. Er ist geradezu pedantisch politisch unkorrekt. „Mein Vater sagte einmal über einen meiner Texte, er sei absolut meiner Meinung. Ich sagte nichts, dachte aber ‚Welche Meinung?‘.“ Mit einer rostigen Schere schneidet Zippert seine Texte aus, wirft sie achtlos in einen Karton und wenn er mal eine Lesung hat, greift er hinein und überlegt, was den Tag überlebt hat. „Wenn ich eine Bühne betrete, will ich immer Lacher haben. Ich habe keinen einzigen Text, der zum Nachdenken anregt. Würden die Leute bei meinen Lesungen nachdenken, hätte ich etwas falsch gemacht.“

Die Augenbraue hüpft. Lächelt der Kolumnist? Er muss jetzt los. Seinen Sohn besuchen. Der lebt in Neukölln. Mit dem Rad durch die ganze Stadt, Herr Zippert? „Bewegung ist immer gut!“ antwortet der schmale Mann und streicht vorsichtig mit einer Hand über eine sanft ansteigende Wölbung über dem Bauchnabel. Er sieht übrigens aus wie eine Mischung aus Harald Schmidt, Frank-Walter Steinmeier, Wigald Boning und Günther Jauch. Er spricht mit der sonoren Stimme eines „Tagesschau“-Sprechers, er ist 1, 78 Meter groß, er hat graugrüne Augen und trägt legere Kleidung, an die man sich im nächsten Augenblick nicht mehr erinnern kann.

Helfen solche Eindrücke weiter? Wer ist Zippert? Ist er ein konservativer Hippie? Ein Standpunktablehner? Ein zeitreisender Stubenhocker? Ein erfolgsverwöhnter Sitzenbleiber? Wie tickt der Mann? Legt man das Ohr unauffällig an seinen Rücken, hört man es knistern. Die Nadel tastet sich ins goldene Gestern.

Und morgen lesen, hören wir wieder DJ Zippert.

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