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Innenminister Friedrich tauschte die Führung des Verfassungsschutzes aus. Doch Reförmchen reichen nicht.

© dapd

Gastkommentar: Verfassungsschutz nicht reformieren - abschaffen!

Der Verfassungsschutz war von Anfang an ein deutscher Sonderweg. Und er war nie ein Frühwarnsystem. Spätestens seit der NSU-Blamage hat er keine Existenzberechtigung mehr.

Der deutsche Verfassungsschutz, wie wir ihn kannten, ist unhaltbar geworden. Die Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hat ihn derart bis auf die Knochen blamiert, dass selbst konservative Hardliner in den Untersuchungsausschüssen vor Zorn geschäumt haben. Es wäre also an der Zeit, dass ein Mohr, der seine Schuldigkeit nicht getan hat, endlich gehen darf.

Dagegen hält sich ein Allparteien-Konsens, der Inlandsgeheimdienst zur Bekämpfung extremistischer Bestrebungen müsse nicht abgeschafft, sondern an Haupt und Gliedern reformiert und gestärkt werden. Denn seine Existenzberechtigung als „unverzichtbares Frühwarnsystem“ sei trotz des eklatanten Versagens im Fall des rechtsradikalen Terrors unbestreitbar. Jüngste Berichte über das Treiben salafistischer Zirkel im In- und Ausland sollen das unterstreichen. Und wenn die Bundes- und Landesämter im Fall NSU so offensichtlich versagt haben, wird ihnen die (freilich unbelegte) Verhinderung von islamistischen Anschlägen des Typs, die London und Madrid erschüttert haben, zugutegehalten.

Während der Bundesinnenminister es mit der Einsetzung einer alt-neuen Spitze aus dem eigenen Haus bewenden lassen und – hier ganz bajuwarischer Föderalist – auch die Landesämter weiterwerkeln lassen will, haben klügere Politikerinnen wie die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht die Zeichen der Zeit erkannt. Sie drängen auf weiter gehende Reformen, auf Zusammenlegung von Landesämtern und eine Revision der Aufgabenstellungen. So soll sich zum Beispiel das Bundesamt mehr auf die Verhinderung drohender Gewalttaten konzentrieren – was allerdings das Kompetenzgerangel mit der dafür originär zuständigen Polizei nur verstärken dürfte.

Die Opfer der NSU. Eine Bildergalerie:

Doch der eigentliche Skandal des deutschen Verfassungsschutzes waren nie seine „Pannen“, die seit der Gründung 1950 nicht abreißen, sondern sein ganz normales Wirken. So verständlich in den frühen Fünfzigern seine Einrichtung gewesen sein mag (im Westen wurde eine Elite ohne Massenbasis mit der Demokratiegründung beauftragt, im Osten hatte sich eine neue totalitäre Diktatur etabliert), so wenig konnte der Verfassungsschutz seinen schweren Geburtsfehler ablegen. Denn sein Kerngeschäft, die Überwachung des Extremismus verdächtiger Parteien und „Bestrebungen“, griff weit ins Vorfeld objektiv feststellbarer Straftaten aus und lief stets auf eine flächendeckende Gesinnungsschnüffelei hinaus.

Das findet in vergleichbaren demokratischen Staaten keine Entsprechung – andernorts ist es der regierenden Mehrheit nicht erlaubt, unbequeme Opposition, die sich legal verhält, bespitzeln und einschüchtern zu lassen.

Der Verfassungsschutz war und ist der geheimdienstliche Arm einer „streitbaren“ Demokratie, die sich selbst nicht über den Weg traut: Prävention heißt auf Deutsch, Freiheit vorbeugend zu verkürzen, um Gefahren erst gar nicht aufkommen zu lassen. In dem Maße aber, wie die Demokratie in Deutschland Wurzeln schlug, ist der Sonderweg namens Verfassungsschutz überflüssig geworden. Heute kann die Bundesrepublik dem Risiko, das Freiheit nun einmal mit sich bringt, gelassen und mit Augenmaß begegnen. Ein Geheimdienst, der von Anbeginn keine sinnvolle Aufgabe hatte und systematisch Skandale hervorbringt, der notorisch die Bürgerrechte beeinträchtigt und bestenfalls keinen größeren Schaden anrichtet – ein solcher Geheimdienst ist schlicht überflüssig.

Die Alternative: ein gefahrenbezogener Republikschutz

Was die deutsche Demokratie heute ist, wurde sie nicht wegen, sondern trotz des Verfassungsschutzes. Die Berliner Republik braucht nun eine Verfassungsreform, die über die zaghafte Streitbarkeit einer zurückgestutzten Demokratie hinausgeht und Demokratie endlich voll ausbildet. Dazu gehört auch die Streichung der Grundrechteverwirkung nach Art. 18 GG und die Rückbindung des Verbots nach Art. 21 GG an das illegale, gewalttätige „Verhalten“ der Partei„anhänger“. Mittelfristig sind durch den Gesetzgeber im Bund und den Ländern die Weichen auf Abwicklung zu stellen.

Zwei Argumente sprechen nur scheinbar für die Aufrechterhaltung des Verfassungsschutzes. Erstens: Das „Frühwarnsystem“, als das er sich bis heute ausgibt, ist er nie gewesen. Ein Blick in seine Geschichte zeigt, dass er den gesellschaftlichen Entwicklungen – wie dem Aufschäumen von Rassismus und fremdenfeindlicher Gewalt Anfang der neunziger Jahre – stets hinterhergelaufen ist. Ja man kann sagen, das durchgängige Markenzeichen dieses „Verfassungsschutzes“ ist seine opportunistische Dienstleistungsmentalität. Als der deutsche Lieblingssport, die Jagd auf Linke, nicht mehr angesagt war, befleißigte er sich, im „Kampf gegen rechts“ als nützlich zu erscheinen. Inzwischen macht sich Ernüchterung breit – und die Einsicht, dass dieser Verfassungsschutz weder gegen Links- noch gegen Rechtsextremisten zu gebrauchen ist.

Zweitens: Mit dem Obsoletwerden des Verfassungsschutzes hat auch das ihm stets zugutegehaltene „Trennungsgebot“ an Plausibilität verloren. Nach dem „Polizeibrief“ der Westalliierten von 1949 wurde der Bundesregierung gestattet, eine „Stelle“ zur Sammlung von Nachrichten über „umstürzlerische Tätigkeiten“ einzurichten, diese durfte aber keine polizeilich-exekutiven Befugnisse haben. Denn nie wieder sollte in Deutschland so etwas wie eine „Geheime Staatspolizei“ entstehen. Selbst wenn man annehmen wollte, das Trennungsgebot gelte als Prinzip des Grundgesetzes fort, so stünde es einer Abwicklung des Verfassungsschutzes nicht entgegen: Denn er wird als Institution abgeschafft, nicht etwa mit der Polizei zusammengelegt. Und Letztere wiederum wird am Ende nicht mehr dürfen, als sie heute ohnehin schon darf.

Die NSU-Terroristen machen Urlaub. Der Verfassungsschutz ahnt nichts:

„Wie lange noch?“ – munkelte 1990 der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gerhard Boeden. Diese Antwort ist heute klarer denn je und damit auch die Alternative zu mehr oder weniger weitreichenden Reformen: Die Ämter für Verfassungsschutz können binnen fünf Jahren geordnet abgewickelt werden, fähiges Personal kann man in den polizeilichen Staatsschutz eingliedern. Dieser ist die seit jeher für politisch motivierte Straftaten zuständige „politische Polizei“. Die Arbeit speziell ausgebildeter Kriminalbeamter greift nicht aus in ein diffuses Feld des „Extremismus“, sondern orientiert sich an der Verfolgung und Verhütung von Straftaten (in der Regel Gewalt- und ausnahmsweise Propagandadelikte wie Volksverhetzung).

Die Perspektive, den Verfassungsschutz abzuwickeln, sollte, so unser Vorschlag, von zwei Maßnahmen flankiert werden: Damit polizeilicher Staatsschutz nicht nur den Ansprüchen professioneller kriminalistischer Arbeit entspricht, sondern auch unvoreingenommen ermittelt und seine Vorfeldaufklärung nicht unnötig ausdehnt, sind die bestehenden parlamentarischen Gremien, die bislang dem Verfassungsschutz galten, auf die Kontrolle der „politischen Polizei“ umzustellen. Und eine unabhängige „Bürgerstiftung zur Verteidigung der Demokratie“ kann Antidemokraten, Rassisten und Antisemiten aller Schattierungen künftig Paroli bieten – wo immer sie auftreten.

Die Alternative zum ideologischen Verfassungsschutz ist ein gefahrenbezogener Republikschutz. Der ist zwar Aufgabe staatlicher Sicherheitsorgane, muss aber, weiter gefasst, zu einer Sache der Zivilgesellschaft werden. Ihre besten Waffen sind neben dem Stimmzettel die politische Aufklärung und die Verschärfung der Debatte aller über alles.

Von den Autoren erschien soeben die Streitschrift "Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik", Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2012.

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