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Viel Furor unm Reformen, doch wenig Beachtung für die tatsächlichen Lernbedingungen der Berliner Kinder.

© dpa

Bildungspolitik: Berlins Grundschulen dürfen keine Versuchsanstalt sein

Der Berliner Reformfuror ist vorbei, vom versprochenen Schulfrieden sind wir weit entfernt. Denn die Bildungsverwaltung hat die realen Lernbedingungen für die Kinder aus den Augen verloren und ignoriert, was sie nicht wissen will.

Sind so schwache Schultern. Und müssen mehr tragen, als gut für Erstklässler sein kann. Berliner Eltern haben das seit 2007 gespürt, als ihre Kinder mit fünfeinhalb Jahren eingeschult – Rückstellungen verboten – und mit jahrgangsübergreifendem Lernen konfrontiert wurden. Dass die speziellen Ausländerförder- und auch die Lernbehindertenklassen abgeschafft wurden, kam hinzu. Schulsenator Klaus Böger lobte sich, dass Berlin als erstes Bundesland mit einem neuen Schulgesetz auf die desaströsen Pisa-Ergebnisse reagierte. Von den Schulkindern sprach niemand. Ignoriert wurden Eltern, die über schlechte Lernerfolge und überforderte Kinder klagten. Ignorieren, was man nicht wissen will: danach handelte die Bildungsverwaltung und gab nie eine Studie in Auftrag.

Kann Reform genannt werden, wenn danach die Kinder in Kernfächern wie Deutsch und Mathematik schlechter abschneiden, was jetzt eine alarmierende Studie belegt? Welchen Schaden richten wir bei Kindern an, denen wir doch vor allem Lust aufs Lernen mitgeben müssen, wenn ihr Schulalltag stattdessen von Versagen, Überforderung und Misserfolg begleitet wird? Reformen sind für die Kinder da und nicht gegen sie.

Das Berliner Schulgesetz von 2004 war der Beginn einer Sturzflut von 22 Neuerungen, auch unter Bögers Nachfolger Jürgen Zöllner. Die Strukturreformen, wie etwa die neuen Sekundarschulen, die es allen Kindern möglich machen, zum Abitur zu gelangen – in 13 oder 12 Jahren, ob Sekundarschule oder Gymnasium –, haben Berlin bildungspolitisch einen guten Ruf verschafft. Die realen Bedingungen, unter denen Kinder lernen müssen, sind dabei aus den Augen geraten. Reformen aber sind nur so gut wie die Verhältnisse, unter denen sie umgesetzt werden. Selbst Lehrer, die sich bis zur eigenen Erschöpfung einsetzen – und davon hat Berlin glücklicherweise Tausende –, können mangelhafte Einführung, fehlende Kollegen und geringe Ressourcen nicht aufwiegen. Und auch fürsorgliche Eltern können bei den Hausaufgaben nicht ausgleichen, was täglich in der Klasse schiefgeht.

Bildergalerie: Ob JüL klappt, hängt von der Klasse ab:

Der Berliner Reformfuror ist vorbei, vom versprochenen Schulfrieden sind wir weit entfernt. Ob sie gewillt ist, auf die Erfahrungen der Eltern zu hören, Unbrauchbares auszusortieren und Neuerungen zu justieren, wo sie ihr Ziel verfehlen, hat Bildungssenatorin Sandra Scheeres noch nicht recht erkennen lassen. Doch nur mit einer Senatorin, die sich als Reformerin der Reformen versteht, können die Ergebnisse der Grundschüler wieder besser werden. Was zum Beispiel beim jahrgangsübergreifenden Lernen (JüL) unter idealen Bedingungen mit Kindern aus bildungsbürgerlichen Familien und zusätzlichen Lehrern funktionieren kann, scheitert in den Berliner Kiezen mit migrantischen und bildungsfernen Kindern und fehlendem Personal. Wenn zudem die jüngsten Erstklässler der Bundesrepublik mit JüL konfrontiert werden, sind Misserfolge garantiert.

Einiges ist gemildert worden: Schulen können entscheiden, ob sie am jahrgangsübergreifenden Lernen festhalten. Auch Rückstellungen überforderter Kinder sind wieder erlaubt. Doch die Bildungsverwaltung muss mehr tun. Die Integration von körper- und lernbehinderten Kindern in die Grundschulklassen steht an, ohne dass bislang die Lehrer ausreichend auf diese zusätzliche Aufgabe vorbereitet werden. Eltern haben ein Recht darauf, dass die Landesregierung ihre Sorgen endlich ernst nimmt. Schulen sind kein Ort für Kinder-Versuche.

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