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PORTRÄT HAMADI JEBALI FOLTEROPFER, REGIERUNGSCHEF:: „Einen demokratischen Staat errichten“

Für das gestürzte Regime in Tunesien war er Staatsfeind Nummer eins: 15 Jahre lang saß Hamadi Jebali unter Diktator Zine el-Abidine Ben Ali hinter Gittern. Diese Woche wurde der 62-Jährige zum Regierungschef ernannt.

Für das gestürzte Regime in Tunesien war er Staatsfeind Nummer eins: 15 Jahre lang saß Hamadi Jebali unter Diktator Zine el-Abidine Ben Ali hinter Gittern. Diese Woche wurde der 62-Jährige zum Regierungschef ernannt. In den nächsten Tagen will er sein Koalitionskabinett präsentieren, dem auch Minister der linksliberalen Partei „Kongress für die Republik“ und der sozialdemokratische Ettakatol angehören. Mit ihrem islamistisch-säkularen Profil könnte die erste demokratische Regierung Tunesiens Vorbild für andere post-revolutionäre Staaten in der arabischen Welt werden.

Hamadi Jebali wurde 1949 in der südtunesischen Hafenstadt Sousse geboren. Er studierte Ingenieurwissenschaft in Tunis und Paris, spezialisierte sich auf alternative Energien und gehörte in seiner Heimat zu den Mitbegründern der zwei Jahrzehnte lang verbotenen islamistischen Ennahda-Partei, deren Vize-Chef er heute ist.

Als 1991 die systematische Jagd auf Ennahda-Mitglieder begann, war Jebali einer der ersten Verhafteten. Das Regime behauptete, die Aktivisten hätten geplant, Präsident Ben Ali zu ermorden und eine islamische Republik auszurufen. Im August 1992 wurde Jebali zusammen mit 170 Gesinnungsgenossen des Hochverrats angeklagt und zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. In der Untersuchungshaft schwer gefoltert, präsentierte der Angeklagte im Gerichtssaal die Spuren seiner Misshandlung an Füßen und Oberkörper, ohne dass die Militärrichter den Vorwürfen nachgingen. Elf der 15 Jahre hinter Gittern verbrachte Jebali in einer Einzelzelle. Mehrfach trat der politische Gefangene in Hungerstreik. Ärztliche Versorgung und Besuch von Familienangehörigen wurden ihm verweigert. Jebalis Frau und seine beiden Töchter wurden von der Staatssicherheit schikaniert. Erst im Februar 2006, anlässlich des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit Tunesiens, kam Jebali zusammen mit 75 weiteren Langzeitgefangenen der Ennahda frei.

Die lange Haft hat ihn nicht verbittert. „Die Jahre im Gefängnis haben einen Charakter aus Stahl geformt“, sagen Freunde über ihn. Jebali gehört dem Reformflügel seiner Partei an, er gilt als moderat. Den Frauen im Land verspricht er gleiche Rechte, von Kopftuchzwang oder Wiedereinführung der Vielehe will er nichts wissen. „Wir wollen einen demokratischen Staat errichten“, lautet sein Credo. „Und basieren soll die Gesellschaft auf Pluralismus und dem Respekt vor der Freiheit aller Bürger und Gruppen.“ Martin Gehlen

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