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Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher

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Europa in der Krise: Schwarz-Rot-Gold – nicht Schwarz-Weiß-Rot!

Über die Krise in Europa wird viel geredet – auch neonationalistisches Blech, meint Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Gastkommentar. Doch die Lage ist ernst, denn dem Kontinent droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit.

Europa erlebt eine schwere Krise. Eine Finanzkrise? Gewiss, aber nicht nur. Der Europagedanke ist im Gerede. Die Folge könnte der Absturz unseres Kontinents in die globale Bedeutungslosigkeit sein. Was man zu hören bekommt – nicht zuletzt auch bei uns in Deutschland – lässt Zweifel aufkommen, ob die alte Weisheit gilt: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Nicht alles Reden ist Silber, vieles ist auch Blech – neonationalistisches dazu.

Andere wiederum sagen, der Euro führe Europa nicht zusammen, sondern auseinander. Ist es wirklich der Euro oder sind es nicht politische Fehlentwicklungen in der Währungsunion oder in einzelnen ihrer Mitgliedstaaten? Die Entscheidung, den Euro – damals auch im Blick auf den bevorstehenden gemeinsamen Binnenmarkt – zu schaffen, war richtig. Die Chance der Einheit des ganzen Europa 1990 gab einen zusätzlichen historischen Impuls. Der Eintritt in die Globalisierung machte aus diesem Impuls eine historische Notwendigkeit.

Das alles steht auf dem Spiel und dazu noch, ob wir weiter zu der Entscheidung der freien Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg stehen: Nie mehr gegen einander, nur noch gemeinsam! Eine Krise haben wir nicht wegen des Euro, sondern weil nach Einführung von Binnenmarkt und Euro das Haus Europa nicht weiter gebaut wurde in Richtung auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Im Gegenteil, was vereinbart war, wurde verletzt, was geschaffen war, wurde zum Teil rückgebaut, so als Deutschland die 3-Prozent-Verschuldungsmauer durchbrach oder als es der Kommission der EU das Recht verweigerte, die von den Mitgliedstaaten der Währungsunion gelieferten Zahlen zu überprüfen. In die Geschichte wird das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als das „verlorene“ eingehen. Die Verantwortung dafür trifft alle – auch Deutschland.

Wir Deutschen haben nicht das Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen

Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher
Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher

© dpa

Wir Deutschen haben nicht das Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir müssen uns auch daran erinnern, dass zur neuen Kultur des Zusammenlebens in Europa die Einsicht gehört, dass Größe und Stärke nicht mehr Rechte verleihen, wohl aber mehr Verantwortung übertragen. Dieser Verantwortung müssen wir auch mit der Sprache gerecht werden, mit der wir die Debatte über die Zukunft Europas führen.

Die Anstrengungen, die in anderen Ländern derzeit unternommen werden, sollten wir nicht unterschätzen. Das gilt in diesen Wochen gerade auch für die neue Regierung in Athen und hier zuallererst für ihren neuen Ministerpräsidenten. Deshalb geziemt es sich, den Bericht der Troika abzuwarten und sein Ergebnis nicht vorwegzunehmen.

Die Lösung der Finanzfragen wird schwer genug. Aber deshalb die Parlamentsrechte einschränken? Nein. Europa hat nur demokratisch verfasst eine Zukunft. Die Völker warten auf klare Signale ihrer Regierungen. Sie werden schmerzhafte finanzielle Einbußen auf Dauer nur dann akzeptieren, wenn sie Teil eines realistischen Zukunftskonzepts sind.

Der Weg nach vorn war noch immer die bessere Alternative zum Rückfall in die Fehler der Vergangenheit. Die verantwortungsvoll und solidarisch handelnde Bundesregierung und SPD und Grüne haben sich bisher bei den parlamentarischen Entscheidungen zu einer europäischen Verantwortungsgemeinschaft zusammengefunden. Sie sollten nun in dieser europäischen Verantwortungsgemeinschaft ein Zukunftskonzept vorlegen für die Politische Union. Sie zu schaffen – jetzt und nicht irgendwann – ist dringlicher denn je. Gibt es die Politische Union, dann werden auch finanzielle Möglichkeiten eröffnet, die derzeit verschlossen erscheinen. Deutschland - Regierung und Opposition - sollte jetzt die Initiative für die Politische Union ergreifen.

Als unmittelbare Partner für eine solche gemeinsame Europainitiative 2012 brauchen wir Frankreich und, nach Ende des Kalten Krieges, auch Polen. Unsere Verfassung legt uns fest auf den Willen, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Für das Europäische Deutschland bleibt es dabei: Die Farben unseres Landes sind Schwarz-Rot-Gold und nicht Schwarz-Weiß-Rot.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland.

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