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Bislang blieben bei allen rechten Kundgebungen gegen das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf die Gegendemonstranten in der Überzahl.

© dpa

Gastbeitrag: Deutschland behandelt Asylbewerber falsch

Dass gegen Asylbewerberheime demonstriert wird, hat auch mit einer verfehlten Flüchtlingspolitik zu tun. Die deutschen Behörden behandeln Asylfragen als Verwaltungsangelegenheit, dagegen müssten sie eine gesellschaftspolitische Aufgabe übernehmen. So ließe sich auch die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern.

Die Asylbewerberzahlen in Deutschland steigen. Doch ist dies nicht, wie manche denken, der Grund für die anhaltenden Konflikte rund um Asylbewerberheime. Die momentanen Proteste gegen die Unterkünfte sind vielmehr Ausdruck von ungenügender Planung, einer verengten Verwaltungssicht und behördlichem Unverständnis für die Umstände der Schutzsuchenden.

Die Auseinandersetzungen in Berlin-Hellersdorf, die durch einige Anwohner und rechtsextreme Parteien eskaliert wurden,  haben viele Probleme im öffentlichen Umgang mit Asylbewerbern sichtbar gemacht. Ablehnende Reaktionen auf neue Asylbewerberheime werden in allen sozialen Schichten und geographischen Regionen geäußert. Nicht immer wird dabei der Hitlergruß zum Empfang gezeigt. In Reinickendorf wird gegen eine Unterkunft geklagt und Flüchtlingskindern der Zugang zum Spielplatz verwehrt; im niedersächsischen Undeloh lehnte der Gemeinderat ein Asylbewerberheim ab, nachdem in der Versammlung Angst vor „Dunkelhäutigen“ und „Asylanten“ geäußert worden war. Bundesweit, in Ost und West, in Städten und in Dörfern, stoßen Pläne zur Unterbringung von Flüchtlingen auf Unverständnis und Ablehnung. Dabei richtet sich Kritik oft gegen die Gemeinschaftsunterkünfte ebenso wie gegen die Heimbewohner selbst, mit variierenden Graden rassistischer Motivation. Doch Konflikte, zumal wie jetzt in Berlin-Hellersdorf, sind vielschichtig und vermeidbar.

Seit Anfang der 1990er Jahre, als jährlich mehrere hunderttausend Anträge gestellt wurden, hat die Zahl der Asylbewerber in Deutschland stetig abgenommen und erreichte einen Tiefpunkt im Jahr 2007. Gründe hierfür waren vielfältig: Sie reichten von europäischer Grenz- und Flüchtlingspolitik hin zu einer Abnahme neuer Krisen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nahm dies zum Anlass, Infrastruktur zur Bearbeitung von Asylanträgen abzubauen, einschließlich der Schließung von Sammelunterkünften. Doch seit 2008 verzeichnet Deutschland wieder eine Zunahme an Anträgen. Der „arabische Frühling“ vertrieb Hunderttausende aus Nordafrika und nun Millionen aus dem Nahen Osten, von denen Zehntausende nach Europa kamen. Der neue Trend wurde als vorübergehend eingeschätzt und Flüchtlinge wurden in Notunterkünften untergebracht. Zugleich war der Anstieg an Asylverfahren eine Belastung für das personell reduzierte BAMF.

Anstatt das Defizit durch mehr Personal auszugleichen, wurden nun „offensichtlich unbegründete“ Anträge vorgezogen. Doch damit verzögerten sich andere Verfahren, was für viele Asylbewerber zu einem längeren Aufenthalt in Heimen und zu einem noch höheren Bedarf an Unterkünften führte. Das aktuell hastige Herrichten von früheren Schulen und Hotels, von Bürogebäuden und Kasernen für Asylsuchende ist Resultat einer minimierten Kapazität in der Flüchtlingsverwaltung. Die Konflikte um die Unterkünfte sind dem Versuch geschuldet, den steigenden Asylbewerberzahlen durch provisorische Maßnahmen zu begegnen. Die angespannte Einrichtung von Unterkünften ist ungenügend, nicht nur für die Flüchtlinge. Anwohner werden ebenso überrascht von Plänen für Wohnheime wie lokale Behörden. Häufig ist eine der zentralen Klagen von Bürgern vor Ort, dass sie nicht vorab informiert worden seien. Daher ist vor allem eine langfristige Planung durch das BAMF nötig, in Zusammenarbeit mit den Ländern, mit der flexibel auf sich ändernde Umstände eingegangen werden kann. Auch Gemeinden könnten zu einem flexibleren Umgang mit schwankenden Asylbewerberzahlen beitragen, indem sie vor allem dezentrale Unterbringungen einrichten. Dies würde zudem neue Sammelunterkünfte in Nachbarschaften vermeiden, als auch die Lebensbedingungen für Asylbewerber verbessern.

Ein grundsätzliches Problem ist neben der Art der Unterbringung und ihrer Planung allerdings das Verständnis der behördlichen Arbeit selbst. Das Asylverfahren wird vom BAMF lediglich als eine Verfahrensangelegenheit betrachtet und nicht als die gesellschaftspolitische Aufgabe, die es ist. Während Asylverfahren auf Bundes- und Länderebene betrieben werden, sind es lokale Behörden, die die Unterbringung organisieren müssen. Doch die Verwaltungen der Gemeinden stehen der Unterbringung von Flüchtlingen oft ebenso unwissend gegenüber wie die Anwohner der Gemeinschaftsunterkünfte. Dies ist nicht nur eine Frage der Kurzfristigkeit mit der sie informiert werden, sondern hängt auch mit einem Mangel an Wissen und Informationen über Flüchtlinge, über deren besondere Situation und Bedürfnisse zusammen. So werden verunsicherte Behördenmitarbeiter mit der Aufnahme der Flüchtlinge und mit der Skepsis der Anwohner alleine gelassen. Manchmal mag den Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte tatsächlich eine ideologisch verhärtete Ablehnung von Flüchtlingen zugrunde liegen, doch oft sind es lediglich ein diffuses Halbwissen und Vorurteile. Nicht selten mischen sich letztere mit Neugier und Empathie, an die Aufklärung und Informationskampagnen anknüpfen könnten.

Eine Aufgabe des BAMF sollte es daher sein, Informationen für Gemeinden, lokale Behörden und Anwohner bereit zu stellen. Verwaltungen könnten über Best Practice Beispiele beraten werden, wie die Einrichtung neuer Heime für Anwohner und für Flüchtlinge so reibungslos wie möglich verlaufen kann. Hierzu würden auch Programme und Informationskampagnen gehören, die darüber aufklären wer ein Flüchtling ist und wie ein Asylverfahren läuft, was die Rechte von Asylbewerbern und was ihre legalen Einschränkungen sind, wie ein Zusammenleben aussehen und Unterstützung geleistet werden könnte. Dies schließt die Bekämpfung von rechtsextremen Positionen nicht aus, entzieht Agitatoren aber gewisse Anknüpfungspunkte. Voraussetzung hierfür ist, Asyl nicht nur als ein Problem anzusehen, das bewältigt werden muss, sondern als Aufgabe einer menschenrechtlichen und demokratischen Gesellschaft.

Das BAMF muss sich darauf einstellen, dass Flüchtlingsbewegungen kommen und gehen. Die Asylbewerberzahlen werden im nächsten Jahr weiter ansteigen. Sie werden aber auch wieder sinken. Die Behörde muss in der Lage sein, darauf zu reagieren ohne lokale Verwaltungen, Anwohner oder Flüchtlinge mit den Konsequenzen alleine zu lassen. Das BAMF trägt Verantwortung nicht nur für den Asylprozess sondern ebenso für jene, die davon betroffen sind. Es sollte sich mit NGOs, mit Vertretern von Städten und Gemeinden, mit Experten und mit Flüchtlingen besprechen, um Perspektiven und Programme zu entwickeln, die Umstände für Anwohner und Behörden, aber insbesondere auch für die Asylbewerber selbst transparenter und verständlicher machen. Flüchtlingsschutz ist eben eine langfristige Aufgabe der Gesellschaft und nicht bloß ein Verwaltungsproblem.

Der Autor arbeitet als Postdoc am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück.

J. Olaf Kleist

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