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Meinung: Grüne im Paradies

Auf dem Weg in die Zweistelligkeit ist die Partei sich selbst genug

Kennen Sie noch Christine Scheel oder Fritz Kuhn? Das waren Wirtschafts- und Finanzpolitiker, mit denen die Grünen auftrumpfen konnten. Scheel war bis 2005 Chefin des Finanzausschusses, Kuhn sogar Partei- und Fraktionschef. Die Grünen wurden als Gesprächspartner bis hinauf in höchste Wirtschaftskreise geschätzt. Finanzen, Haushalt, Demografie, das alles nahmen sie sehr ernst, weil auch sie endlich ernst genommen werden wollten. Ob Hartz IV, Rente, Steuerreform – mehr als die SPD waren die inspirierten Grünen der vernunftgetriebene Motor von Schröders Rot-Grün.

Scheel und Kuhn sitzen heute in den hinteren Reihen der grünen Bundestagsfraktion. Der Bedeutungsverlust ihrer ökonomischen Vordenker paart sich mit der Gefühlslage einer Partei, die sich auf dem Weg in die Zweistelligkeit selbst genug zu sein scheint.

Vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass die Grünen in Baden-Württemberg den Regierungschef stellen. Es wäre aber auch undenkbar gewesen, dass sie jeden Gestaltungsanspruch fahren lassen, der über Ökologie, Verkehr und Hochschulen hinausgeht – und da waren sie noch keine präsumptive Volkspartei! Ohne Not haben sie in Stuttgart nicht nur ein Superministerium Wirtschaft und Finanzen dem SPD-Newcomer Nils Schmid überlassen, gleiches gilt für Arbeit, Inneres, Justiz. Schon in NRW hatte die Partei alles außer Umwelt, Schule und Frauen links liegen gelassen.

In ihren Programmen sprechen die Grünen von „grüner Marktwirtschaft“ oder wahlweise „Green New Deal“. Die Wirtschaft mit der Umwelt zu versöhnen, das klingt schön. Doch was verbirgt sich dahinter? 2007 stellte der damalige Parteichef Reinhard Bütikofer ein Papier dazu vor. Man verfolge eine „ökologisch aufgeklärte, ordo-liberale Wirtschaftspolitik“, klärte er auf. Die Grünen wenden sich gegen „Marktvergötterung“ und „Staatsfetischismus“. Im Programm sieht das dann so aus, dass die Grünen einen Hartz-IV-Satz von 420 Euro für richtig halten, gleichzeitig aber bei der Höhe des Spitzensteuersatzes mit 45 Prozent selbst hinter der Forderung der SPD von 49 Prozent zurückbleiben. Beides passt nicht zusammen.

Wie sollte es auch? Die Wähler der Grünen sind bürgerlich-ökologisch, jedenfalls in zunehmendem Maße. Doch die Mehrheit an der grünen Basis ist weiterhin strukturell links und setzt im Zweifelsfall lieber auf staatliche Umverteilung statt ökowirtschaftliche Selbstheilungsverheißungen.

Diesen Konflikt werden die Grünen auszufechten haben, und er wird nicht ohne Blessuren ablaufen, ähnlich wie die Hartz-IV-Debatte in der SPD oder Merkels gescheiterte Marktliberalisierung der Union. Ansonsten ereilt die Grünen das Schicksal der FDP, die als widerspruchsfreie Verheißungspartei massiv an Vertrauen verlor.

Die Zeit sozialer Verteilungskämpfe ist nicht vorbei, sie hat womöglich erst begonnen. Die Grünen machen es sich deshalb zu einfach, wenn sie die Ökologisierung der Gesellschaft als Win-Win-Situation anpreisen, in der alle profitieren und niemand etwas zu verlieren hat. Der Markt ist kein Selbstzweck, da haben die Grünen recht. Aber auch die Ökologie rechtfertigt sich nicht von selbst.

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