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Unter dem Stichwort "Inklusion" sollen behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam lernen. Kann das gelingen?

© dpa

Inklusion: Gleich ist nicht gerecht

Darf ein Junge trotz Down-Syndrom auf's Gymnasium? Harald Martenstein ist skeptisch. Unter der Parole "Inklusion" würden Unterschiede weggewischt wie ein "lästiger Staubfleck", meint er.

Seit einiger Zeit wird in Deutschland die "Inklusion" vorangetrieben. Darunter ist zu verstehen, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Sonderschulen soll es nicht mehr geben. Eine Schule für alle! Bei Kindern mit einer körperlichen Behinderung ist das vergleichsweise unkompliziert – sie können den Schulstoff genauso gut lernen wie Kinder ohne Handicap. Aber was ist mit den geistig Behinderten?

In Baden-Württemberg, im Ort Walldorf, streitet man über ein Kind, das Henri heißt. Henri hat das Down-Syndrom. Solche Kinder können viel mehr, als man ihnen früher zugetraut hat, einige schaffen sogar das Abitur. Es sind leichte Fälle. Henri ist kein leichter Fall. Seine Mutter besteht nun darauf, dass ihr Sohn nach der Grundschule zusammen mit einigen Klassenkameraden auf das Gymnasium wechseln darf, im Namen der Inklusion. Henri solle seine gewohnten Spielkameraden nicht verlieren. Eine Chance, den Schulstoff zu begreifen, hat er nicht. Das sieht auch die Mutter so.

Das Gymnasium hat Henri abgelehnt, die Schule steht seitdem unter schwerem öffentlichem Beschuss. Wer ist hier gut, wer ist böse? In Karlsruhe hat man seit einigen Jahren Erfahrung mit einem Schüler gesammelt, der ebenfalls unter dem Down-Syndrom leidet und ein Gymnasium besucht. Die Lehrer dort sagen: Wir schaden dem Kind, indem wir es im Mathe-Unterricht herumsitzen lassen. Wenn das Kind auf einer Sonderschule wäre, würde es Dinge lernen, die es im Leben brauchen kann. Wie koche ich ein Essen? Wie lese ich einen Fahrplan, wie kaufe ich ein?

Inklusion hat ihre Grenzen

Jahrelang habe ich von Bildungspolitikern den vernünftigen Satz gehört, dass Kinder möglichst individuell gefördert werden sollen. Die Menschen sind verschieden, der eine braucht dies, die andere braucht jenes. Unter der neuen Parole "Inklusion" wird diese Erkenntnis nun weggewischt wie ein lästiger Staubfleck.

Wenn die Lehrer es mit Klassen zu tun haben, in denen ein geistig behindertes Kind neben einem hörbehinderten Kind und neben einem hochbegabten Kind sitzt – wie sollen die Lehrer das eigentlich schaffen? Es ginge nur, indem in jeder Klasse künftig drei oder vier Lehrer unterrichten, kein Staat der Welt könnte das finanzieren.

Was bedeutet "Gleichheit"? Die Menschen sind ja nicht gleich, das ist offensichtlich. Meiner Ansicht nach bedeutet Gleichheit, dass jeder die gleichen Rechte und die Chance auf ein gelungenes Leben besitzen sollte, auch das gleiche Recht auf Respekt. Wenn wir alle in den gleichen großen Topf werfen, dann kommt dabei am Ende nicht Gerechtigkeit heraus. So einfach ist es leider nicht. Und dass die Menschen verschieden sind, anders als Roboter, ist ja auch ein großes Glück.

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