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In vielen arabischen Staaten ist die Polygamie legal. Können bald auch in Deutschland solche Vielehen geschlossen werden?

© Franziska Kraufmann dpa/lsw

Leserbeitrag zu Polygamie: Die Vielehe – eine Neiddebatte?

Entspricht Harald Martensteins Bild der muslimischen Vielehe den Tatsachen oder gleicht es eher einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht? Unser Leser antwortet hier auf die jüngste Glosse unseres Kolumnisten.

Warum ruft die Vielehe solche Ablehnung hervor? Ist es die Angst vor dem Familiennachzug oder davor, dass dieses Beispiel in Deutschland Schule machen könnte? Beruht sie am Ende auf einem Gefühl, auf Neid?

Mal ganz ehrlich, die Polygamie im arabischen Raum ruft doch ein Bild vor Augen: das eines fast zahnlosen Lustgreises, umgeben von seinen blutjungen Gespielinnen, ihm zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Widerstand und Widerworte sind zwecklos. Ein Hauch von Harem liegt in der Luft, ein wenig Tausendundeine Nacht.

Der Deutsche muss sich mit einer Ehefrau begnügen, der Genießer der Vielehe dagegen schwelgt im Luxus. Während sich Ehefrau eins um die Kinder kümmert, Ehefrau zwei den Haushalt macht und Ehefrau drei ihm Wind zufächelt, kümmert sich Ehefrau vier um die körperlichen Bedürfnisse des Gatten. Selbst bei noch so viel Multitasking: Kinder und Haushalt bekommen viele Frauen unter einen Hut. Vielleicht schaffen es Wenige sogar einhändig, während sie fleißig fächeln. Aber spätestens, wenn der Gatte gleichzeitig hundert Prozent Einsatz fordert, ist die Einehefrau überfordert.

Der Ehevertrag - Fluch oder Segen?

Einen weiteren Vorteil verbucht der greise Gatte dann beim Thema der falschen Partnerwahl. In Deutschland ist das Mittelalter vergangen, die Schuldfrage gegessen und vom Tisch. Schon kurz nach der Eheschließung kann die holde Gattin ihrem Mann ungehorsam sein, Widerworte geben, ihm Hörner aufsetzen, die jeden Hirsch neidisch machen. All das berührt diverse Ansprüche nur wenig. Genau dieser Umstand führte zur Erfindung des Ehevertrages, zur Freude der Advokaten. Was ein Ehevertrag ist, muss dem Haushaltsvorstand eines orientalischen Kleinharems unter Umständen erklärt werden. Er wird zuhören und dem Gesprächspartner dann ein Lächeln schenken. Eines von der Sorte, das sonst nur dem Dorftrottel gilt.

Wozu haben Männer einst die Scharia verfasst, mit ihren so trefflich eingerichteten Vorschriften für die Ehescheidung? Es gilt einige Fristen einzuhalten und insgesamt drei Mal „Ich verstoße Dich“ zu rufen - schon ist der Fall erledigt. Die Frau bekommt noch etwas Geld mit auf den Weg und dann war es das. Nichts zu holen für Advokaten, keine Daueraufträge, Mahnungen, Pfändungen. Und so, frisch geschieden, kann auch gleich wieder auf Freiersfüßen gewandelt werden. Viele schöne Töchter hat der Orient!

Die Vielehe ist auch auf dem Abstieg

Doch auch die Nachteile der Vielehe sollen nicht verschwiegen werden: Es gibt Männer, die wollen oder können sich nicht von ihrer Frau oder ihren Frauen trennen. So kann diese Ehe ein Leidensweg sein, eine Qual. Die Einfrauenehe bietet diesen Männern wenigstens ab und zu eine kurze Pause: wenn die Gattin außer Hause ist oder schläft. Dieser Segen wird dem Ehemann vieler Frauen nicht zuteil. Zwei Frauen können sich ablösen beim Feuermachen in der Ehehölle. Für drei Frauen ist schon fast ein normaler Arbeitstag organisierbar, vier Frauen können sogar 30 Tage Urlaub einplanen.

Die Vielehe ist ein eher absterbender Ast. Schuld daran sind die steigenden Kosten und die Erfindungen von Teufels Großmutter: Bildung, Emanzipation und das Internet. Es fällt heute erheblich schwerer, Frauen in den Harem zu locken. Auch – und das hat Herr Martenstein vergessen – stellt die Vielehe Ansprüche an den Ehemann. Die finanzielle und sogar emotionale Gleichbehandlung aller Frauen muss gewährleistet sein. Das muss man erst einmal hinkriegen! Und wo wir beim Thema Finanzen sind: Wer keine zweite Ehefrau ernähren kann und trotzdem heiratet, begeht eine Sünde. Da war der Prophet ganz eindeutig.

Vielehe als Form der Versorgungsehe

Es gibt in einigen Ländern die Praxis, genau diese Frage der Finanzierung des Lebensunterhaltes zu prüfen. In Syrien kann zum Beispiel ein Gericht die Führung einer Vielehe untersagen, wenn diese die Frauen in die Armut führen würde. Letztendlich – und dies ist in der heutigen Zeit ein häufiger Grund – ist die Vielehe auch eine Form der Versorgungsehe. Witwenrente ist etwas, das viele Staaten nicht kennen, auch ist gerade bei jungen Witwen der soziale und rechtliche Status angreifbar.

Es ist oft auch eine Frage der Sicherung von Erbe und Eigentum, wenn diese Witwe in den Haushalt eines Schwagers einheiratet. Denn sonst würde ihr Eigentum komplett an einen Ehemann übergehen, der eben nicht zur Familie gehört und die meisten Witwen heiraten wieder. Solche Versorgungsehen sind meist nicht sexueller Natur oder auf die eheliche Gemeinschaft hin ausgerichtet.

Gleiches gilt auch für Mädchen, die zu Waisen werden. Adoption ist im arabischen Raum weitestgehend unbekannt, für minderjährige Mädchen ist ein selbstständiges Leben mehr oder weniger unmöglich. Auch das „Unter einem Dach leben“ in einem fremden Haushalt kann sich schwierig gestalten, wenn junge, unverheiratete Männer im Hause sind. So werden Ehen geschlossen, meist nur auf Zeit verabredet, ohne dass diese Ehe auch vollzogen würde.

Es ist keine Frage, die Vielehe wird sich in Deutschland so schnell nicht durchsetzen. Sie wird, wenn überhaupt, einen ebenso langen Weg gehen müssen wie die Ehe für Alle. Kirchen, Parteien und Organisationen werden Stellung beziehen. Die Gesellschaft wird es diskutieren, vielleicht sogar intensiver als die Ehe für Alle. Am Ende ist wichtig, wer mit wem warum verheiratet ist. Noch wichtiger ist, dass alle in dieser Ehe glücklich sind und sich lieben. Wäre das die Grundlage aller geführten Ehen, wäre die Welt ein besserer Ort. Auch für die Kinder dieser Ehen.

Mein Dank an Community-User mogberlin für die Sonntagsarbeit, das kritische Gegenlesen und Anregungen!

Andreas van Lepsius

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