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Seit knapp zwei Wochen leben drei Roma-Familien im Görlitzer Park.

© dapd

Kontrapunkt: Machen es sich Roma in der Opferrolle bequem?

Seit einigen Tagen leben im Görlitzer Park drei Familien aus Rumänien. Wieder ist die Debatte über Roma entbrannt. Die Probleme mit der Minderheit sind alt und betreffen ganz Europa.

Ob auf der Friedrichstraße oder auf dem Alexanderplatz, überall trifft man auf zum Teil aggressiv bettelnde Roma aus Rumänien und Bulgarien. Drei Familien leben derzeit im Görlitzer Park, sie schlafen auf Matratzen unter einem Gebäudedach neben dem Café Edelweiß. Vor knapp zwei Wochen wurden die Familien aus Rumänien aus ihrer Wohnung in Tiergarten verwiesen. Die Anwohner fühlten sich vom Verhalten der Roma belästigt.

Was im Görlitzer Park passiert, ist Beispiel eines europaweiten Problems. Roma bilden auf dem ganzen Kontinent eine Parallelgesellschaft. Hätte diese vielschichtige Minderheit einen eigenen Staat, es wäre der mit der neuntgrößten Bevölkerung in der ganzen Europäischen Union. Nur wenige schaffen es, sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Ein Grund ist ihre Jahrhunderte lange Diskriminierung. Sie hat eine europäische Parallelgesellschaft geschaffen, deren Strukturen kaum zu brechen sind. Kriminalität entschuldigt das nicht. Dass Roma vor allem durch Betteln, Scheibenwischen und Prostitution auffallen, verdeutlicht aber eines: Viele haben sich mit ihrer Stellung am Rand abgefunden und scheinen es sich in ihrer Opferrolle bequem zu machen.

Aber wie kriegt man sie aus dieser Rolle? Wie motiviert man Roma dazu, ihre Kinder statt zum Betteln in die Schule zu schicken? Wie lassen sich erwachsene Roma in den regulären Arbeitsmarkt integrieren? Roma brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Wie das zu bewerkstelligen ist, muss auch in Brüssel diskutiert werden. Denn mit der Reisefreiheit im Schengenraum sind die Probleme in Rumänien und Bulgarien längst zu europäischen geworden.

Das Klischee, Roma würden ohnehin in Wohnwagen hausen und von Ort zu Ort ziehen, ist nicht der Grund dafür. Die meisten Roma leben längst sesshaft. Die Familien im Görlitzer Park sind weder auf Wanderung noch als Touristen in Berlin. Sie haben ihre Heimat vor mehr als einem Jahr verlassen, um aus der dortigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Diskriminierung zu fliehen.

Rassismus gegen Roma ist in Rumänien allgegenwärtig. „Zigeuner“ ist ein äußerst gängiges Schimpfwort, das selbst von ranghohen Politikern zu hören ist. Roma sind die Gruppe mit der geringsten Bildung und der höchsten Arbeitslosigkeit. Es ist für sie fast unmöglich, eine qualifizierte Tätigkeit zu finden und sich so in der Gesellschaft zu etablieren.

Zu groß sind der Hass und die Vorurteile – die allerdings werden tagtäglich bestätigt. Szenen von Roma-Frauen, die mit Baby auf dem Arm bettelnd über öffentliche Plätze ziehen, sind in Bukarest und anderen rumänischen Städten genauso häufig wie auf dem Alexanderplatz. Mit einem Unterschied: Die Rumänen reagieren meist deutlich abweisender.

In Rumänien waren Roma bis vor knapp 150 Jahren noch Sklaven. Vom gesellschaftlichen Rand, an dem sie nach ihrer Befreiung standen, konnten bis heute nur Einzelne den Weg in die Mittelschicht finden.

Auch in Deutschland ist das Problem alt: Die Verfolgung begann hierzulande zu Beginn des 16. Jahrhunderts und mündete in dem schrecklichen Genozid der Nazizeit, bei dem etwa eine halbe Millionen Sinti und Roma ihr Leben verloren haben. Schon im Mittelalter kam der Terror vom Staat. Deutsche Fürsten zahlten Kopfgelder für lebend und tot gefangene Roma.

Dass die Nachfahren von Opfern staatlich verordneter Gewalt wenig Vertrauen in Behörden setzen, ist nicht verwunderlich. So leben viele Roma außerhalb der staatlichen Strukturen. Um sie in die Gesellschaft zu holen, muss man ihnen dabei helfen, sich selbst zu helfen. Unterstützung muss von nichtstaatlichen Organisationen kommen. Denn die Roma, die derzeit im Görlitzer Park schlafen, würden sich mit ihren Problemen auch in Rumänien nicht an die Behörden wenden. Zuflucht in der rumänischen Botschaft zu suchen, kommt für sie nicht in Frage.

Die Familien scheinen aber zu wissen, dass es so wie bis jetzt nicht ewig weiter gehen kann. Ihre Kinder schicken sie auf Berliner Schulen. Zumindest ein kleiner Schritt von Seiten der Minderheit, ob er jedoch Richtung Integration führt, bleibt abzuwarten.

Was aber kann Berlin tun? Eine Brücke zwischen Staat und Minderheit ist bereits gebaut. In Berlin helfen Roma-Vereine den Menschen bei der Wohnungs- und Jobsuche sowie bei Behördengängen. Ihre Mitarbeiter sind oft selbst gut integrierte Roma, die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Die Wartezimmer dieser Vereine sind voll, die Streetworker ausgebucht. Ihre Kassen sind hingegen leer, ihre Mitarbeiter unterbezahlt oder ehrenamtlich tätig. Für Roma ist Berlin aber dann scheinbar doch zu pleite.

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