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Alles hört auf mein Kommando: Demokratie geht aber anders, als Donald Trump sich das vorstellt.

© Sean Wenig/dpa

"Trumpismus" in den USA: Warum wir Donald Trump dankbar sein sollten

An alle, die die Witze über den US-Präsidenten noch für das Beste an ihm halten: Besser ist, dass er die Demokratie wieder zum Nachdenken über sich selbst bringt. Ein Kommentar.

Es gibt Schrecksekunden, die dauern wochenlang. Kein Wunder, der Herr mit der wohl unvergesslichsten Frisur aller bisherigen US-Präsidenten befeuert den Schrecken schließlich so gut wie täglich: Präsentiert ein Kabinett aus Milliardären - Milliardärinnen fehlen weitgehend –, denen der Interessenkonflikt in ihre Steuererklärungen und die Geschichte ihrer Geschäftsbeziehungen geschrieben steht, regiert mit Dekreten, die schon in den ersten Tagen die Verfassung, die uralte US-demokratische Staatsräson „Einheit in Vielfalt“ und die Interessen eines global vernetzten Landes mit Füßen treten, und schmäht die Justiz, wenn sie ihm dabei in den Arm fällt.

The winner takes it all? Endlich wird darüber diskutiert

Kollateralwahnsinn inklusive: Schon am ersten Tag erklärte er gegen alle Evidenz seine Amtseinführung zur bestbesuchten der Landesgeschichte und drohte allen mit Klage, die anderes zählten. Wann wohl wird der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten den Sonnenaufgang verlegen und, im Falle des Nichterfolgs, die vor Gericht ziehen - vor welches dann? – die er für schuld daran hält?

Es ist wieder einmal schwierig, keine Satire zu schreiben. Nicht zu lachen oder zu verzweifeln oder beides zugleich. Wie wäre es aber mit einer dritten Lösung - Dankbarkeit? Hier zwei Vorschläge zur Schubumkehr im Blick auf den Trumpismus. Erstens: Erst Donald Trump hat aller Welt in aller Brutalität klar gemacht, dass die Demokratie nichts Selbstverständliches ist und dass sie verstanden werden will.

Endlich wird weltweit darüber debattiert, dass Volksherrschaft nicht „the winner takes it all“ heißt, dass das Stimmvieh sich nicht nach erfolgter Akklamation am Wahltag in die Scheunen und Ställe zurückzieht, sondern dass im Gegenteil die Zeit zwischen der Vergabe von politischer Macht - auf Zeit, als Leihgabe! - die ist, auf die es ankommt: Funktionieren da die kontrollierenden Gewalten, gewählte Parlamente und Justiz, sind in dieser Zeit Minderheiten und die Grundrechte aller geschützt, auch wenn die Mehrheit der Wähler mit ihrer Wahlentscheidung gezeigt hat, dass sie auf solche Rechte pfeift?

Wer Berlusconi vergaß, hat nun seinen Nachfolger

Wir in Europa hätten uns längst damit auseinandersetzen können. Schon Berluskaiser – wohl nicht zufällig auch er ein gewesener Immobilientycoon - meinte, als Wahlsieger sei er bis zur nächsten Wahl so frei wie ein absoluter Monarch. Nein, das ist in einerfunktionierenden Demokratie selbst der oder die Mächtigste nicht. Warum das so ist und so sein muss, hat zwar jede und jeder in der Mittelstufe gelernt, aber anscheinend kaum wer präsent. In den italienischen Medien und damit der Öffentlichkeit des Landes befeuerte der Berlusconismus so eine Demokratie-Debatte, von der sich hierzulande nur träumen lässt.

Es dürfte dieses aufgefrischte und wieder lebendige Wissen um die Mechanismen, aber auch den Kern der Demokratie sein, das die Mehrheit der Italienerinnen und Italiener am 4. Dezember bewog, mit beeindruckender Mehrheit für den Erhalt ihrer Verfassung zu stimmen, als Berlusconis Nachnachnachfolger Matteo Renzi sie für sein Projekt des persönlichen Durchregierens zurechtstutzen wollte. Weil wir in Europa eben auch lieber nach Amerika starren als in die europäische Nachbarschaft zu gucken – auch Ungarn oder Polen wären gut geeignet oder positiv die Demonstrationen in Rumänien - kann uns jetzt Trump lehren, was wir durch Berlusconi schon hätten begreifen können.

Zweite Lerneinheit: alternative Fakten, „alternative facts“, mit denen sich Trumps Beraterin Kellyanne Conway weltweit zur unsterblichen Lachnummer gemacht hat. Verständlich angesichts des Zusammenhangs – wieviele Menschen tatsächlich der Amtseinführung ihres Chefs zusahen, lässt sich zählen, da gibt es faktisch nichts Alternatives. Aber wer lacht eigentlich über die, die billigen Spott über „alternative Fakten“ verbreiten? Die es natürlich gibt: Ich kann Ausländerkriminalität mit denselben Zahlen für riesig halten oder sie auf die Delikte herunterrechnen, die Inländer gar nicht begehen können. Ich kann die EU-Handelspolitik mit den Augen eines Brüsseler Beamten oder einer tansanischen Bäuerin sehen.

Von Fakten und Meinungen

Wer dann, wie kürzlich der Nachrichtenchef eines zu Recht renommierten nationalen Senders, donnert, Meinungen könnten variieren, Fakten aber seien unverrückbar, dem kann man nur bescheinigen, dass er mit den philosophischen Minimalstandards seines Berufs erschütternd unvertraut ist. Wie hieß es doch einst in der Journalisten-Ausbildung über derlei falsche Wirklichkeitsgewissheit so schön: Wie gut, dass immer nur so viel passiert, wie in die Zeitung passt.

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