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Nicht-körperliche Gewalt wie Mobbing ist auf dem Vormarsch.

© imago/photothek

Mobbing in Berliner Schulen: "Vom Krankenwagen aus der Schule abgeholt“

Der Tagesspiegel hat dazu aufgerufen, von Erfahrungen mit Schulmobbing zu berichten. Aus Berlin-Mitte erzählen heute Eltern eines Viertklässlers.

Der Tagesspiegel berichtet im Rahmen eines Schwerpunkts zu Schulgewalt und Mobbing. Wir haben Betroffene gebeten, sich zu melden. Auf unseren Aufruf hin erreichten uns viele Wortmeldungen. Hier lesen Sie eine Auswahl weiterer Berichte von Betroffenen, teilweise aufgezeichnet von Tagesspiegel-Redakteuren.

Als „Schweinedeutscher“ beleidigt

„Unser Sohn besucht die vierte Klasse einer Schule in Mitte und wird seit dem ersten Schuljahr gemobbt. Er wurde beschimpft, geschlagen und getreten, weil er Deutscher ist. Mitschüler bezeichnen ihn als ‚Schweinedeutscher‘, ‚Schweinechrist‘ und als ‚deutsche Kartoffel‘. Auf seiner Schule sind hauptsächlich Kinder mit Migrationshintergrund. Die meisten sind Muslime.

Wir leben in einem multikulturellen Kiez, wir leben dort gerne, wir haben einen kunterbunten Freundeskreis. Aber dass unser Sohn gemobbt und angegriffen wird, weil er angeblich Schweinefleisch isst, ist für uns einfach unerträglich. Er isst nicht einmal welches, wir sind Vegetarier.

Neben unzähligen Beleidigungen, die er sich täglich anhören muss, wurde unser Sohn eine Treppe hinuntergetreten und mehrmals auf dem Schulhof zusammengeschlagen – teilweise vor den Augen der Lehrer. Er wurde mehr als ein Mal vom Krankenwagen aus der Schule abgeholt.

Einmal musste er ein Wochenende im Krankenhaus bleiben, weil ihm ein Mitschüler so heftig in den Bauch getreten hatte, dass die Ärzte nicht wussten, ob Organe verletzt waren. Ab der dritten Klasse haben wir angefangen, die gewalttätigen Übergriffe bei der Polizei anzuzeigen. Sechs Anzeigen gab es bisher, in nur einem Jahr. Wir wollen das nicht mehr hinnehmen.

Die Täter haben kaum Sanktionen zu erwarten: Die Anzeigen verlaufen im Sand, weil die noch nicht strafmündig sind. Einmal sagte einer, nachdem er unseren Sohn geschlagen hatte: ‚Zeig mich ruhig an, ich bin noch nicht 14.‘ Meist gab es nach solchen Vorfällen nur ein Gespräch mit Sozialarbeitern, es wurde sich artig entschuldigt – und einen Tag später schlägt dasselbe Kind wieder zu.

Unser Sohn sagte einmal zu uns: ‚Mama, ich kann nicht mehr hören, dass die, die das machen, so viel Potenzial haben und eigentlich ganz nett sind. Die spielen jetzt draußen und mir tut alles weh.‘ Da kamen uns die Tränen. Die Polizei hat uns gesagt: ‚Ziehen Sie am besten in einen anderen Bezirk.‘

Unser Sohn ist offen und freundlich, er hat jede Entschuldigung von denen, die ihn geprügelt haben, angenommen. Das wirkt vielleicht naiv, aber er ist einfach so. Seit der dritten Klasse ist er wegen der Angriffe in psychotherapeutischer Behandlung. An der Schule herrscht ein Klima der Gewalt, manche Lehrer trauen sich selbst nicht, einigen Schülern in die Augen zu gucken, weil die Zehnjährigen so schnell in ihrer Ehre verletzt werden. Dass es das gibt, möchte keiner hören: vom Rektor bis zur Schulsenatorin. Ein Schulwechsel wird nicht helfen, glauben wir. Denn das Klientel an den anderen Schulen in unserem Einzugsgebiet ist leider die gleiche.“

Mobbing in Allahs Namen

„Mein Sohn wurde an seiner Grundschule in Wedding über Jahre hinweg von seinen Mitschülern gemobbt. Ich bin selbst muslimisch aufgewachsen, habe mich aber von meiner Familie losgesagt und auch von dem Glauben. Das musste mein Sohn leider sehr zu spüren bekommen. Vor allem arabische Kinder haben ihn gemobbt, haben ihm Mädchennamen gegeben und ihn schwul genannt, weil er lange Haare hat. Er ist halb deutsch, halb arabisch. Die Kinder sagten ihm, er sei kein richtiger Araber, so sähe man als Araber nicht aus. Sie sprachen immer wieder von Allah.

Auf meinen Sohn wurde in der Schule und auch außerhalb eine regelrechte Jagd veranstaltet. Er musste im Winter barfuß nach Hause, weil sie seine Schuhe geklaut haben, sie haben ihn beschimpft und getreten. Das ging so weit, dass er in der Schule kollabiert ist und ins Krankenhaus musste. Auch heute bekommt er noch epileptische Anfälle.

Die Schule hat alles abgewiegelt, wollte uns nicht helfen. Das sei ein Einzelfall, Mobbing sei kein Problem an der Schule, sagte man mir. Mein Sohn müsse sich anders verhalten und ich sei eine überängstliche Mutter. Jetzt ist mein Sohn auf der Oberschule, dort ist es leider nicht wirklich besser. Zwei seiner alten Peiniger sind mit ihm gewechselt und alles geht wieder von vorne los, auch wenn sich jetzt immerhin einige Schüler vor ihn stellen und versuchen, ihn zu verteidigen.“

Mobbing in den Neunzigern

„Meine große Tochter ist in Berlin-Mitte zur Schule gegangen, Ende der 90er Jahre, als Kind von klar erkennbaren Westeltern. Damit kannte sie an der Schule benutzte Begriffe wie ‚Muttiheft‘, ‚Plaste‘, ‚frühs‘ oder ‚Broiler‘ nicht. Sie war zudem sehr groß gewachsen und eher introvertiert und freundlich. Das genügte, um sie zum Opfer zu machen.

Es wurde gelacht, wenn sie sich im Unterricht meldete, sie wurde nie zu Geburtstagen anderer Kinder eingeladen und auf dem Hof in den Pausen von den anderen Kindern geschubst und verhöhnt. Somit drückte sie sich, so gut es ging, während der Pausen in den Fluren herum und versuchte förmlich, zu verschwinden. Lehrer und Erzieher befeuerten das Spiel sogar noch.

Mein Kind wurde immer trauriger und wechselte dann irgendwann die Schule nach Charlottenburg – zehn Wochen später war sie dort Klassenbeste und es startete die schönste Schulzeit ihres Lebens. Leider ist auch meine jüngere Tochter eher mit einer zarten Seele ausgestattet und sehr groß gewachsen.

Sie wehrt sich in der Regel nicht, wenn jemand ungerecht oder böse ist, sondern geht nur weg. Das allein reichte in der ersten Klasse, um sie zum Opfer zu machen. Sie wurde ausgegrenzt, keiner wollte mit ihr spielen, es wurde über ihre Unterrichtsbeiträge gelacht oder gelästert.

Schon nach wenigen Wochen wurde aus einem lachenden, fröhlichen und wissbegierigen Kind ein missmutiges, ängstliches und stummes Kind, das permanent Durchfall und Magenschmerzen hatte. Ich habe trotz vormaliger Erfahrung wochenlang wenig gemerkt. Wohl hatte ich die Klassenlehrerin danach gefragt, ob meine Tochter sich umsetzen dürfe, weil sie von einem Mädchen manchmal traktiert würde. Die Lehrerin tat das mehrfach ab und meinte, das hätte sie im Griff.“

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