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Frauke Petry (l) und ihr Mann, Marcus Pretzell, haben der AfD den Rücken gekehrt.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Austritt aus der AfD: Petry und Pretzell - Freie Radikale

Erst bricht Frauke Petry mit der AfD und auch ihr Mann kehrt der Partei den Rücken. Der Coup wird ein Alleingang. Das Ende ihrer Politikkarrieren ist das noch lange nicht.

Sie haben sie gedemütigt. Haben ihren Antrag für einen realpolitischen AfD-Kurs nicht einmal behandelt und laut Bravo gerufen, als ihr Ko-Vorsitzender Jörg Meuthen sie attackierte. Mit fahlem Gesicht und zusammengekniffenem Mund sitzt Frauke Petry auf der Bühne, scheint tief getroffen. Es ist ein Samstag im April, Bundesparteitag in Köln und der Moment ihrer größten Kränkung. Frauke Petry verlässt schnellen Schrittes das Podium. Viele im Saal denken: Das war’s, jetzt tritt Petry als Vorsitzende zurück. Doch auf die Frage, ob diese AfD noch ihre Partei ist, sagt sie den Journalisten: „Ich werde mir bis zum Herbst ansehen, wie sich das weiter entwickelt.“

Frauke Petry wirkt an diesem Tag wie eine, die keine Optionen mehr hat. Doch tatsächlich ist für sie der Tag der großen Niederlage auch ein Neubeginn. Fünf Monate später betritt sie perfekt geschminkt, mit einem feinen Lächeln auf den Lippen den großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin. Es ist der Morgen nach der Bundestagswahl, die AfD hat gerade ihren großen Erfolg erzielt. Petry selbst hat in ihrem sächsischen Wahlkreis sogar ein Direktmandat errungen – im Gegensatz zu den Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland. Doch Petry sagt: Sie habe sich nach langer Überlegung dazu entschieden, „dass ich der AfD-Fraktion im deutschen Bundestag nicht angehören werde“. Petry verlässt erhobenen Hauptes den Saal. Sie wirkt jetzt wie eine, die einen Plan hat. Und alle fragen sich: Was hat sie vor?

Selbst Freunde glauben: „P & P“ haben sich grandios verkalkuliert

Während die Parteifreunde in den vergangenen Monaten Wahlkampf machten, Faltblätter verteilten, Reden hielten, hat Frauke Petry an ihrer Zukunft gearbeitet. Sie hat ein Kind bekommen und Gespräche geführt. Ausgelotet, wer zu ihr hält. Immer wieder mit ihrem Mann und engstem Verbündeten Marcus Pretzell gesprochen, nachgedacht, abgewogen. Er, der Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, gilt als geschickter Netzwerker, seine Gegner nennen ihn intrigant. Das Paar schmiedete einen Plan, der zumindest Anfang der Woche noch aufzugehen schien.

Nach dem Coup am Montag kündigte Petry am Dienstag an, als Parteivorsitzende zurückzutreten. Auch die Fraktion im sächsischen Landtag verlässt sie. Pretzell, das war der nächste Schritt, machte ebenfalls öffentlich, dass er der AfD und der Fraktion in Nordrhein-Westfalen den Rücken kehren will.

Sie haben der Partei die Show gestohlen, die Gründung der neuen Bundestagfraktion zur Nebensache gemacht. Doch was kommt jetzt? Selbst enge Vertraute glauben, dass sich „P & P“, wie sie intern genannt werden, grandios verkalkuliert haben. Petry habe damit gerechnet, dass viele Abgeordnete und Parteimitglieder ihr folgen würden. Doch nun könnte das, was als Befreiung aus parteiinterner Unmündigkeit geplant war, das Ende ihrer beider Politik-Karrieren bedeuten.

Als Bernd Lucke die Partei verließ, folgten 2000 Mitglieder

Denn egal wie gut die Sondierungsgespräche mit den potenziellen Verbündeten gelaufen sind – zumindest unter den neuen AfD-Abgeordneten im Bundestag will Petry momentan niemand in die Fraktionslosigkeit folgen. Als es am Dienstag in der konstituierenden Fraktionssitzung einen Zählappell gibt, sind alle 93 Abgeordneten gekommen. Petry fehlt als einzige. In den Kaffee- und Brötchenpausen kann man fragen, wen man will: Die AfD-Politiker geben sich unbeeindruckt von Petrys Schritt. Niemand wolle sich hier anschließen, heißt es. Dass Petry 35 weitere Abgeordnete für eine Fraktion mit sich zieht, scheint utopisch. Es könnte schon schwer werden, insgesamt drei Abweichler für eine Gruppe zusammenzubekommen. Denn selbst der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk, eigentlich ein Petry-Verbündeter, twittert: „Frauke Petry will also nicht unserer Fraktion angehören. Das ist schade!“ Abgeordnete der nordrhein-westfälischen Landesgruppe geben sogar eine Erklärung heraus, in der sie bekräftigen, mit der Bundestagsfraktion zusammenarbeiten zu wollen. Dabei hat Marcus Pretzell, als NRW-Landeschef, unter ihnen einige Freunde.

Es folgt am Mittwoch auch keine Welle von Parteiaustritten. Zwar haben mit Petry noch zwei weitere Abgeordnete die sächsische Landtagsfraktion verlassen, mit Pretzell ging ein Abgeordneter aus NRW. Am Mittwoch trat außerdem der sächsische Landesvize zurück. Aber als Parteigründer Bernd Lucke 2015 austrat, folgten ihm etwa 2000 Mitglieder in seine neue Partei Alfa.

„Ich bin schon so oft politisch totgesagt worden – es hat sich stets nicht bewahrheitet“, sagt Petry nun fast trotzig der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. „Ich gehe fest davon aus, dass dies auch diesmal nicht passieren wird.“ Denn Frauke Petry, das zeigt ihre Biografie, hat gelernt mit Niederlagen umzugehen. Privat, beruflich und politisch.

Joachim Gauck verlieh ihr den Bundesverdienstorden

Petry ist in der DDR aufgewachsen. Sie war damals gut in der Schule – und das musste sie auch, um voranzukommen: Ihre Eltern sind der Stasi mehr als einmal unangenehm aufgefallen. 1989 zieht die Familie in den Westen. Petry arbeitet hart, um sich dort als „Ossi“-Mädchen Anerkennung zu erkämpfen. Sie macht ihr Abitur als Jahrgangsbeste, auch ihre Doktorarbeit schließt sie mit Bestnote ab.

Später gründet Petry eine eigene Firma – „Purinvent“. Ihre Mutter hatte einen umweltfreundlichen Füllstoff erfunden, der Reifen von Baumaschinen länger haltbar machen sollte. Petry gewinnt den Sächsischen Gründerinnenpreis, bekommt mit 37 Jahren den Bundesverdienstorden von Joachim Gauck. Es läuft gut. Doch die Banken, bei denen sie Kredite hat, drängen sie, das Produkt rasch auf den Markt zu bringen. Zu früh. 2013 geht Petry mit der Firma pleite. Es ist die Zeit, in der sie beginnt, sich intensiv in der AfD zu engagieren.

Auch privat gerät Petry ins Straucheln. Die Beziehung zu ihrem Mann Sven Petry scheitert. Er ist ihre Jugendliebe, die beiden waren 18 Jahre lang verheiratet, haben vier Kinder. Dafür beginnt sie mit Marcus Pretzell eine Beziehung. Der hat auch vier Kinder und spielt sich im Kampf gegen Parteigründer Lucke mit ihr „die Bälle zu“, wie Pretzell einmal der „Bunten“ erzählt. In dem Gespräch fällt auch das berühmte Zitat von der „dämonischen Schönheit“ Petrys. Heute haben „P & P“ ein Kind miteinander.

Als ihr Erzfeind gewählt wird, bricht sie vor Delegierten in Tränen aus

Nachdem Petry 2015 Lucke als Parteichef ablöst, führt sie die AfD 2016 zu zweistelligen Ergebnissen bei mehreren Landtagswahlen. Bergab geht es vor allem seit 2017. Nachdem Björn Höcke seine umstrittene Dresdner Rede gehalten hat, ist Petry eine von denen, die den Parteiausschluss vorantreiben. Bei einem Landesparteitag im sächsischen Weinböhla wirft man vor, eine „Diktatorin“ zu sein. Die Parteikollegen wählen Petrys Erzfeind, den ultrarechten Richter Jens Maier, auf Platz zwei der Landesliste für den Bundestag. Petry bricht vor den Delegierten in Tränen aus. Die Kontrolle über ihren sächsischen Landesverband entgleitet ihr zusehends.

Auch im Bundesvorstand ist Petry nun weitgehend isoliert. Und die Verbündeten, die sie noch hat, trauen sich nicht, ihren Rivalen, den Spitzenkandidaten Alexander Gauland, wegen seiner rassistischen Entgleisungen zu tadeln.

„P&P“ also gegen den Rest der Welt. Nun planen sie offenbar die Gründung einer neuen Partei. Bereits Petrys Äußerung im Wahlkampf, sie könne Wähler verstehen, die entsetzt seien von den Schlagzeilen zur AfD, könnte darauf hindeuten, dass sie den Boden bereiten wollte – für eine Spaltung der AfD.

In der Partei ist man am Dienstag und Mittwoch damit beschäftigt, die neue Fraktion arbeitsfähig zu machen, Posten zu besetzen. Den Wahltriumph will sich die Führung jetzt nicht nehmen lassen. Dennoch könnte der Weggang von Petry, Pretzell und ihren Getreuen noch Konsequenzen haben: Derzeit schaut sich der Verfassungsschutz an, ob der „Einfluss von Rechtsextremisten jetzt größer wird“, heißt es in Sicherheitskreisen. Es sei nicht auszuschließen, dass Teile der Partei künftig als „extremistischer Einschluss“ bewertet und vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssten.

Die Blauen: Es gibt schon Gerüchte über eine neue Partei

Petry und Pretzell kann das nur recht sein. Auch ihnen ist die Partei zu rechts geworden. Zu radikal. „Ich habe fünf Kinder, für die ich Verantwortung trage, und am Ende muss man sich auch noch im Spiegel anschauen können“, sagt Petry. Sie wolle konservative Politik machen.

Pretzell heizt die Spekulationen um eine Neugründung am Mittwoch zuerst im ZDF-„Morgenmagazin“ weiter an. Er trägt ein hellblaues Hemd und blickt gut gelaunt in die Kamera. Derzeit, erklärt er dem Moderator, gebe es „nur eine relevante Volkspartei, das ist die CSU“. Diese habe sich aber regional beschränkt, sei handlungsunfähig. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagt er später noch, er finde das Modell einer bundesweiten CSU interessant. Dieses dürfe aber nicht die „Schwerfälligkeit des bayerischen Tankers“ haben. Auch an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seiner Bewegung En Marche würde Pretzell sich gerne orientieren. Einen Namen für die neue Partei gibt es aber offenbar noch nicht. Bereits im Juli hatte Petry die Internetdomain „dieblauen.de“ angemeldet. Dazu sagt Pretzell: „Blau ist eine schöne Farbe, aber kein Parteiname.“

Das Spiel mit der Aufmerksamkeit gelingt Petry und Pretzell perfekt. Am Mittwochabend trat Petry auch noch bei „Maischberger“ auf. Bislang ist der Plan also tatsächlich aufgegangen. Ein Vertrauter aus Petrys Umfeld, sagt aber: Petry habe sich „wie so oft“ überschätzt.

Um Inhalte sei es ihnen nie gegangen

Einer von Petrys Gegnern, der sie bereits seit Gründung der Partei kennt, spricht sogar von „Hybris“, von grenzenloser Selbstüberschätzung. Die habe auch Pretzell – im Zusammenspiel potenziere sich das. Sie seien Opportunisten, denen es nie um Inhalte gegangen sei, sondern um Macht. Sie seien auch nicht gegangen, weil ihnen die Partei zu rechts sei, sondern weil sie den Machtkampf gegen ihren Rivalen, Gauland, verloren hätten. Was geschieht aus Überzeugung und was aus Kalkül?

Pretzell gesteht die Niederlage nicht ein. Dem Tagesspiegel sagt er am Mittwoch: „Es werden definitiv Leute folgen.“ Und selbst wenn dies scheitert, keiner sie unterstützen will: Es ist Petry und Pretzell zuzutrauen, dass sie noch Trümpfe haben. Es war auffällig, wie die Anführer der rechtspopulistischen Parteien in Europa nur Petry zum Wahlerfolg in Deutschland gratulierten. Sie ist unter ihnen gut vernetzt. Anfang des Jahres hatte sie bei einer Konferenz der europäischen Rechtspopulisten in Koblenz unter anderem die Front-National-Vorsitzende Marine Le Pen, Geert Wilders, den Vorsitzenden der niederländischen Freiheitspartei PVV und Harald Vilimsky von der österreichischen FPÖ getroffen. Gut vorstellbar, dass eine europaweit vernetzte rechtskonservative Partei der nächste Teil ihres Plans ist.

Es gibt aber noch eine ganz andere Theorie: Petry, sagt ein Vertrauter, spekuliere vielleicht darauf, in ein paar Jahren zur CDU zu wechseln. Aber nur, wenn das mit der eigenen Partei nicht klappe.

Mitarbeit: Armin Lehmann und Frank Jansen

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