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Besseres Leben per Abrissbagger? Ein palästinensischer Beduine vor den Resten seiner zerstörten Bleibe südlich von Hebron im Westjordanland. Foto: Abed al Hashlamoun/epa

© picture alliance / dpa

Politik: Beduinen in der Drei-Zimmer-Wohnung

Israels Regierung will auch die letzten Nomaden der Negev-Wüste in moderne Ortschaften zwingen Doch sie wollen nicht für jüdische Siedlungen weichen – und erst recht keine Städter werden.

Die Wüste ist eine harte Lehrmeisterin. Die glühende Sonne, die Trockenheit, die Weite – Leben ist hier immer auch Kampf ums Überleben. Dieses Leben hat sie stark gemacht, das weiß Amah. Vor allem weiß sie aber, dass sie nicht aufgeben will. Die Beduinin sitzt auf dem Boden in einem Zelt, ihre nackten Füße schiebt sie immer wieder unter eines der geblümten Kissen, die um sie herum verteilt sind. So als wollte sie noch ein bisschen mehr Schutz suchen.

Draußen vor dem Zelt türmen sich die Reste dessen, was einmal das Haus von Amah und ihrer Familie war. Von der israelischen Regierung geschickte Abrissbagger haben in den vergangenen zwei Monaten in mehreren Wellen die 30 Betonunterkünfte und Hütten der Beduinensiedlung Atir im Nordosten der Negev- Wüste zerstört. Atir ist eines von 35 Beduinendörfern, die der Staat als illegal betrachtet. Deshalb stellt er dort auch keine Infrastruktur zur Verfügung. Fließendes Wasser, Strom aus der Steckdose und städtische Abfallbeseitigung gibt es nicht.

Amah und ihre Familie wollen trotzdem nicht weichen. Im Zelt stehen Waschmaschine und Kühlschrank, den Strom dafür erzeugen Solaranlagen, die Spender aus dem Ausland finanziert haben. Das Wasser wird in Tankwagen herangeschafft. Die staatliche Schikane ist Teil eines großen Plans, der nach seinen Autoren Prawer-Begin-Plan heißt. Die Regierung preist ihn als großzügiges Entwicklungsprogramm für die verarmten Beduinen. 245 Millionen Euro will sie in das Projekt stecken, Schulen bauen, Industrie ansiedeln. Die Betroffenen sehen darin ein umfassendes Enteignungsprogramm.

„Israel ist eine typische Siedlergesellschaft wie die USA, Brasilien oder Australien“, sagt Oren Jiftachel, ein jüdischer Israeli, der politische Geografie und Stadtplanung an der Ben-Gurion-Universität in Beerschewa lehrt, der Hauptstadt des Negev. Der weiße Mann kam eben nie in ein leeres Land, auch nicht in der Wüste Negev, wo die Beduinen mindestens seit dem siebten Jahrhundert umherzogen, von Viehzucht und Ackerbau lebten. Nach der Staatsgründung 1948 flohen Zehntausende von ihnen in die arabischen Nachbarländer oder wurden vertrieben.

Die rund 11 000 Beduinen, die blieben, siedelte der neue jüdische Staat zwangsweise um, in den am wenigsten fruchtbaren Landstrich im Nordosten des Negev, ein Dreieck zwischen Beerschewa, Arad und Dimona. Heute ist die Beduinen-Bevölkerung wieder auf mehr als 200 000 Menschen angewachsen, die Geburtenrate ist eine der höchsten der Welt. Die Hälfte von ihnen lebt in anerkannten modernen Ortschaften, die die israelische Regierung bauen ließ. Die aktuellen Umsiedlungspläne der Regierung betreffen noch bis zu 40 000 Beduinen, die Nichtregierungsorganisation Adalah spricht sogar von nur bis zu 7000.

Wie Amah erscheint Hussein al Madschira das Leben in der Stadt wenig verlockend. Die weit verzweigten Familien- und Clanstrukturen passen nicht zur Enge einer Drei-Zimmer-Etagenwohnung. Auch gibt es in den anerkannten Gemeinden nicht genügend Jobs, die Arbeitslosenquote liegt bei 30 Prozent. Drogenhandel und Kriminalität sind weit verbreitet. Der 45-jährige al Madschira ist in Assir geboren, auch eine illegale Siedlung. Von dort aus blickt man auf die Skyline von Beerschewa, die in der flimmernden Hitze wie eine Fata Morgana erscheint. Erste und Dritte Welt in Sichtweite voneinander.

Al Madschira fürchtet, durch den Prawer-Begin-Plan alle Besitzansprüche zu verlieren, die seine Familie erhebt. Denn wenn der Plan erst einmal Gesetz ist, wird er juristisch nichts mehr ausrichten können. Und er sorgt sich um den Verlust der Tradition. So ist er hin- und hergerissen zwischen früher und heute. Er will eine gute Bildung für seine Kinder, Söhne und Töchter, fügt jedoch hinzu: „Aber die israelische Regierung plant eine Verschwörung: Sie will nur, dass wir weniger Kinder haben.“ Er selbst ist stolzer Vater von 17 Jungen und Mädchen, die ihm seine zwei Ehefrauen geboren haben. Sein Vater hatte 19 Kinder: „Das will ich auch schaffen.“

Die Regierung sieht Entschädigungen für Beduinenland vor, in Form von Geld oder Bodentausch. Aus Sicht des Wissenschaftlers Jiftachel ist dabei viel staatliche Willkür im Spiel. Nur Familien, die in den 70er Jahren ihre Besitzansprüche geltend gemacht haben, sollen Entschädigung bekommen. Damit würde wohl nur ein Viertel der Ansprüche anerkannt, sagt Jiftachel.

Dabei wäre im Negev Platz für alle. Die Wüste macht 60 Prozent des israelischen Staatsgebiets aus. Drei Prozent beanspruchen die Beduinen, das ist etwa die Größe des Stadtstaats Bremen. Wenn Amah und ihre Familie Atir räumen, wissen sie jedenfalls, wer in dem Fall nachrücken wird: Atir soll dann Hiran heißen und eine rein jüdische Siedlung werden.

Ulla Thiede[Beerschewa]

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