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Proteste gegen Finanzmärkte: "Besetzt die Wall Street" macht Schule

Das Aufbegehren gegen die Macht der Finanzmärkte erreicht Deutschland. Welches Ausmaß werden die Proteste haben?

Sie fühlen sich abgehängt – und sie machen dafür vorrangig die Banken und die Finanzmärkte verantwortlich. Seit am 17. September in New York ein paar Menschen auf die Straße gingen und zur Besetzung der Wall Street, also des Zentrums der internationalen Finanzwelt, aufriefen, haben sich ihnen viele angeschlossen. Nun schwappt die Protestwelle auch auf Deutschland und Europa über. Für den heutigen Samstag ist ein globaler Protesttag geplant.

Was ist genau geplant – in Deutschland und anderswo?

Weltweit sollen nach Angaben der Organisationsplattform 15october.net Aktionen in 951 Städten in 82 Ländern stattfinden. In Deutschland sind Proteste in mehr als 50 Städten geplant, darunter in Berlin, Stuttgart und Frankfurt am Main. In Berlin wollen die Aktivisten vom Roten Rathaus zum Kanzleramt marschieren. In Frankfurt am Main soll es neben einem Protestzug durch die Stadt auch eine Blockade der Europäischen Zentralbank (EZB) geben. „Wir werden auf der Taunusanlage und dem Willy-Brandt-Platz Zelte aufbauen. Die Aktionen sind mit den Behörden abgesprochen und haben eine unbestimmte Dauer“, sagt Herr Below, Organisator der Frankfurter Proteste. Wie viele Menschen teilnehmen werden, ist dem 22-jährigen selbstständigen Webentwickler weitgehend unklar. Stephan Lindner vom Koordinierungskreis der beteiligten Organisation Attac sagt: „Wir sind selber ganz gespannt, eine solche Aktion haben wir noch nicht durchgeführt.“

Wie wurden die Proteste organisiert – und von wem?

Die Protestaktionen werden von keiner zentralen Stelle koordiniert, sondern hauptsächlich von lokalen Gruppen über Facebook und Youtube organisiert. „Die verschiedenen Gruppen sind verbunden durch die gleichen Motive, die gleiche Meinung und die gleichen Ziele. In ihrer Organisation sind aber alle unabhängig“, sagt Below. Ursprünglich gehe der Aufruf zu dem globalen Protesttag auf die spanische Demokratiebewegung Democracia Real Ya! (Echte Demokratie Jetzt!) zurück, sagt Attac-Koordinator Lindner. Attac habe sich dann angeschlossen. Viele lokale Gruppen orientieren sich an der New Yorker „Occupy Wall Street“-Bewegung, etwa „Occupy Hamburg“ oder „Occupy Frankfurt“. Von langer Hand geplant sind diese Aktionen nicht, die Frankfurter Gruppe hat sich erst vor etwa zwei Wochen gegründet. Auch die Linke und ver.di wollen sich an den Protesten beteiligen.

Wogegen wird protestiert – und wie wollen es die Demonstranten ändern?

Unter den Mottos „Wir sind die 99 Prozent“ und „United for a global change“ gehe es hauptsächlich um die Durchsetzung „echter Demokratie“ und darum, die Macht der Banken einzuschränken, sagt Stephan Lindner. „Wir wollen, dass die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden und systemrelevante Banken zerschlagen werden.“ Der 20-jährige Wolfram Siener, Sprecher von „Occupy Frankfurt“, sagt, das Volk sei unzufrieden. „Die Politik muss aufhören, sich von den Banken an der Nase herumführen zu lassen und muss wieder für die Bürger agieren.“ Derzeit sei man von drei Seiten umzingelt. „Die Wirtschaft droht mit Entlassungen und die Banken drohen, den Geldhahn zuzudrehen, wenn ihnen nicht gefällt, was die Politik tut. An den unregulierten Märkten findet vielfach Missbrauch statt“, sagte Siener. Die Bewegung, die sich als offenes Netzwerk versteht, fordert die Politik auf, endlich die internationalen Finanzmärkte zu regulieren.

Der Elitensoziologe Michael Hartmann von der TU Darmstadt ist jedoch skeptisch, ob der Protest gegen wachsende Ungleichheit Folgen haben wird: „Beeindrucken lassen wird sich die Elite nur durch sehr massiven politischen Druck, den ich aber zurzeit weder bei uns noch in den USA sehe.“ Was die Vermögensverteilung angehe, gebe es „in Deutschland ebenso viel Grund zu Protest wie in den USA“, sagt Hartmann. Die Berliner Ökonomen Stefan Bach, Martin Beznoska (DIW) und Viktor Steiner (FU) haben errechnet, dass ein Prozent der Deutschen 35,8 Prozent des gesamten privaten Reichtums besitzt. Die Reichtumskonzentration ist damit fast so hoch wie in den USA: Dort nimmt man an, dass 40 Prozent des Reichtums dem einen Prozent ganz oben gehören. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte eine einmalige Abgabe von deutlich unter einem Prozent auf die größten Vermögen dem Fiskus 100 Milliarden Euro bringen – selbst bei hohen Freibeträgen.

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