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Bundesverfassungsgericht urteilt: Gauck und die NPD: Im Grenzbereich der Schmähkritik

Die NPD unterliegt vor dem Bundesverfassungsgericht: Bundespräsident Gauck durfte Anhänger der Partei „Spinner“ nennen. Was folgt aus dem Urteil?

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag in einem wegweisenden Urteil das freie Rederecht des Bundespräsidenten gestärkt. Danach durfte Bundespräsident Joachim Gauck die NPD und ihre Anhänger als „Spinner“ bezeichnen. Er bewegte sich mit dem Ausdruck allerdings an der Grenze zur Schmähkritik. Die Klage der NPD wegen Eingriffs in die Chancengleichheit blieb ohne Erfolg.

Wie begründen die Karlsruher Verfassungsrichter ihre Entscheidung?

Die Karlsruher Verfassungsrichter betonten die Integrationsaufgaben des Bundespräsidenten. Seine Aufgabe bestehe vor allem darin, die – bei allen unterschiedlichen Auffassungen im Einzelnen – bestehende Einheit der Gesellschaft zu betonen und kraft seiner Autorität zu verkörpern. Integrierend könne er aber nur wirken, wenn er nicht nur „Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher benennen“ könne. Bei aller parteipolitischen Distanz des Bundespräsidenten verbinde die Verfassung mit seinem Amt nicht die Vorstellung eines „politisch indifferenten Amtswalters“. Seine Äußerungen seien so lange nicht zu beanstanden, wie sie „erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und nicht auf Ausgrenzung … einer Partei um ihrer selbst willen angelegt sind“, heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich. Damit wurde dem Bundespräsidenten ausdrücklich ein weiter Gestaltungsspielraum gegeben, aber auch Grenzen aufgezeigt.

Wann ist nun die Schwelle zur Ausgrenzung überschritten?

Bei der Schmähkritik. Schmähkritik ist ein juristischer Begriff und meint so viel wie Beleidigung. Sie ist erfüllt, wenn es nicht mehr um die Sache, sondern um die Herabsetzung einer Person oder einer Partei insgesamt geht. Schmähkritik stehe mit „der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr in Einklang“, setzt das Urteil die Grenze. Denn der Bundespräsident stehe nicht „über den Gesetzen“.

Ist der Begriff „Spinner“ also keine Beleidigung?

Hier ist Gauck tatsächlich an die Grenze des Möglichen gegangen, das macht die Urteilsbegründung deutlich. Denn darin heißt es, das Wort „Spinner“ beinhalte ein negatives Werturteil, „das isoliert betrachtet durchaus auf eine unsachliche Ausgrenzung … hindeuten kann“. Dann weisen die acht zuständigen Richterinnen und Richter aber auf den Kontext hin. „Spinner“ sei hier zusammen mit den Begriffen „Fanatiker und Ideologen“ als Sammelbegriff für Menschen verwendet worden, die die „Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale … Überzeugungen vertreten“. Das Fazit des Bundesverfassungsgerichts: Gauck habe die „Grenzen negativer Äußerungen über politische Parteien nicht überschritten“. (Aktenzeichen: 2 BvE 2/13)

Wäre es also unzulässig gewesen, wenn Gauck isoliert gesagt hätte, die Mitglieder der NPD seien Spinner?

Das ist anzunehmen. Denn dann wäre die sachliche Auseinandersetzung wohl verlassen worden. Liest man übrigens noch einmal die Auszüge aus der Diskussionsveranstaltung mit Schülern Ende August 2013 im Zusammenhang mit von der NPD unterstützten Protesten gegen ein Asylbewerberheim in Berlin nach, sieht man, dass Gauck recht differenziert argumentierte. Er war zunächst gefragt worden, ob er auch dabei mitmachen würde, NPD-Plakate abzureißen, wenn er nicht Bundespräsident wäre. Er hatte das klar verneint. Darauf weisen auch die Karlsruher Verfassungsrichter ausdrücklich hin. Außerdem fragte ein Schüler, ob ein Verbot der NPD nicht richtig sei, damit rassistisches Gedankengut nicht in die Mitte der Gesellschaft vordringe. Ungekürzt lautete Gaucks Antwortsatz: „Übrigens: Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft.“

Setzt das Urteil neue Maßstäbe auch für die Zukunft?

Das Bundesverfassungsgericht musste sich erstmals konkret mit der Redefreiheit des Bundespräsidenten auseinandersetzen. Dabei ging es auch auf den Unterschied zwischen der Redefreiheit des Bundespräsidenten und der der Bundesregierung ein. Wenn Vertreter der Bundesregierung im Wahlkampf eine nicht verbotene Partei als Verfassungsfeinde bezeichnen, kann das nämlich durchaus ein unzulässiger Eingriff in die Chancengleichheit sein. Die Redefreiheit des Bundespräsidenten geht aber weiter, wie das Urteil jetzt feststellt. Anders als die Parteien steht der Bundespräsident auch nicht im Wettbewerb um Wählerstimmen.

Das Bundesverfassungsgericht wies am gleichen Tag auch eine zweite Klage der NPD gegen die Bundesversammlungen von 2009 und 2010 zurück. Worum ging es dabei?

Die Wiederwahl von Horst Köhler im Mai 2009 sowie die Wahl Christian Wulffs im Juni 2010 waren verfassungsrechtlich in Ordnung. Das Bundesverfassungsgericht wies mit diesen Feststellungen eine Organklage des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Pastörs zurück, der unter anderem ein Rederecht für den NPD-Kandidaten erstreiten wollte. Pastörs hatte 2009 einen eigenen Tagesordnungspunkt „Vorstellung der Kandidaten“ aufnehmen lassen, Bundestagspräsident Norbert Lammert ließ dies jedoch nicht zu. 2010 beanstandete Pastörs die Delegiertenauswahl in zehn Bundesländern. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, die eigens dafür zusammentritt. „Ohne Aussprache“, heißt es in Artikel 54 des Grundgesetzes ausdrücklich.

Die Anträge, die Wahl wegen angeblich falscher Auswahlverfahren für ungültig erklären zu lassen, wies das Gericht als unzulässig ab: Ein Urteil in einem Organstreitverfahren könne keine rechtsgestaltende Wirkung entfalten, so die Richter. Es dürfe nur festgestellt werden, ob eine Maßnahme gegen das Grundgesetz verstoße. Auch sei Kläger Pastörs nicht befugt, die fehlerhafte Zusammensetzung des Wahlgremiums zu rügen. Einspruchsberechtigt wäre er nur im Hinblick auf die Auswahl der Delegierten in Mecklenburg-Vorpommern gewesen, zu denen er selbst gehörte. Diese hatte er jedoch nicht gerügt.

Unbegründet sind die Anträge Pastörs auf ein Rederecht für seinen Kandidaten. Die Bundesversammlung sei ein „reines Kreationsorgan“. Zudem sei der Bundespräsident keiner der drei klassischen Gewalten zuzuordnen, er verkörpere die „Einheit des Staates“, Autorität und Würde seines Amtes kämen gerade darin zum Ausdruck, dass der Präsident geistig-moralisch wirke. Die Bundesversammlung solle durch ihr Wahlverfahren die „besondere Würde“ des Amtes unterstreichen. Es komme auf die „realen und symbolischen Dimensionen“ der Abläufe an; eine öffentliche Debatte sei gerade nicht vorgesehen. „Das Ausspracheverbot schützt die Würde des Wahlakts, der dem parteipolitischen Streit enthoben sein soll.“

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