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Frauen in der Neonazi-Szene: „Die Waffe bin ich selbst“

Immer mehr Frauen drängen in die NPD. Und Ricarda Riefling ist Mitglied des Bundesvorstands. Begegnung mit einer vierfachen Mutter mit extremen Ansichten.

Sie kommt im weiten Mantel und mit braunem Herrenhut im Retro-Stil. Die Treppe in das Café am Bahnhof in Hannover läuft sie unsicher hinauf, als fühle sie alle Blicke auf sich gerichtet. Aber es guckt gar keiner. Am Tisch zittern die Hände, dann hat sie sich drei Stunden lang unter Kontrolle, redet ruhig, antwortet gelassen.

Nur einmal reagiert Ricarda Riefling, eine der ranghöchsten Frauen der NPD, Mitglied des Bundesvorstands, verheiratet mit einem vorbestraften Neonazi, wütend. Als das Gespräch auf Beate Zschäpe kommt, die Frau aus der rechten Terror-Zelle, ruft Riefling, die sei kein Vorbild, sondern eine Verräterin. „Für Menschen wie die, die keine Persönlichkeit haben, empfinde ich nur Mitleid.“

Dagegen findet Ricarda Riefling, dass sie selbst eine Persönlichkeit ist. Und dass sie den Auftrag, „meinen Auftrag“, wie sie es nennt, besser zu erfüllen versteht als diese Frau aus Thüringen, die sie gar nicht kenne: das deutsche Volk retten, vor Überfremdung, Verrohung, Kinderlosigkeit, Zerfall. Beate Zschäpe, glaubt Riefling, habe diesen Auftrag diskreditiert. Mord und Gewalt seien die falschen Mittel, sagt sie. Sie will den Deutschen „ihre Ängste persönlich mitteilen“, „mit schönen Worten“ kämpfen. Man könnte auch sagen mit dem schönen Schein.

Der Rechtsextremismus ist nicht nur gefährlich, weil er Gestalten wie Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hervorbringt. Er ist gefährlich, weil viele denken, dass er nur dumpf ist. Ricarda Riefling ist hellwach, intelligent. Ihr Abitur hat sie im niedersächsischen Peine mit der Note 1,5 gemacht, nebenbei mit 17 ihr erstes Kind bekommen, nun ist sie 28 Jahre, verheiratet, Mutter von vier Kindern.

Ihr Gesicht verrät keine Härte. Sie fällt nicht auf in diesem Café. Man muss wissen, dass sie aktiv ist als Organisatorin der Initiative „Zukunft statt Überfremdung“, als Vorsitzende im Unterbezirk Oberweser, als Sprecherin der NPD-Niedersachsen und demnächst wohl als Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen. „Eine schillernde Figur“, wie es der Verfassungsschutz in Niedersachsen ausdrückt.

Sie plaudert so unschuldig wie ein junges Mädchen, aus dem Mund dieser Frau ist der von der NPD angestrebte Rassenstaat ein harmloses, aber starkes Volksparadies. Eingebettet in ein bürgerliches Milieu, fleißig und engagiert auftretend, soll sich Bahn brechen, was auch Ricarda Rieflings Ziel ist: Ausländer rausschmeißen, „rückführen“, wie es im traditionellen NPD-Sprech heißt, Kinderschänder töten lassen, Homosexualität unter Strafe stellen, eine homogene neue Volksgemeinschaft bilden. Ricarda Riefling drückt das so aus: „Wir wollen unbequem sein und auf den Putz hauen, aber als Vertreter und Sprachrohr unseres Volkes und nicht als Schreckgespenst. Wir müssen als Teil unseres Volkes und nicht in einer Parallelwelt leben … als Kümmerer vor Ort.“

Ginge es nach ihr, würde die NPD vor allem über „Familienpolitik“ reden und über die Gefahr, dass das „deutsche Volk“ aussterbe. Egal, was sie sagt, immer steht am Anfang das Bekenntnis zur Mutterschaft. Es ist Trick und Überzeugung zugleich. Im Rückblick, sagt sie, sei die Geburt ihres ersten Kindes ein Schlüsselerlebnis gewesen. Fortan sah sie lauter Menschen wie sich selbst, die, wie sie findet, „vom Staat alleingelassen werden, wenn sie Kinder haben“. Das sei der Grund, warum sie immer politischer geworden ist.

Ihr eigentlicher Auftrag lautet, einer menschenverachtenden Partei ein menschliches Gesicht zu geben.

Immer mehr Frauen wollen in der NPD an die Spitze.

Die Wahrheit ist, dass die NPD die Überhöhung der Mutterschaft zu einem der wichtigsten Instrumente ihres politischen Kampfes gemacht hat. Auch deshalb ist eine Beate Zschäpe, kinderlos, aus Rieflings Sicht unwürdig für den nationalen Widerstand. Ricarda Riefling aber ist zu einer idealen Verfechterin dieser Politik herangewachsen, die von einem thüringischen NPD-Frauen-Netzwerk so kommentiert wird: „Gerade als Frauen tragen wir die Pflicht, unser Volk nicht aussterben zu lassen. Wir sind es, die die ehrenvolle Aufgabe haben, ein Volk großzuziehen und es zu formen. Doch leider zählt dies in der heutigen Zeit nicht mehr allzu viel. Man will keine deutschen Familien, wo Kindern noch nationale Identität gegeben wird. Diese Gesellschaft hetzt systematisch Mann und Frau gegeneinander auf.“

Ricarda Riefling sagt, der Nationalismus sei keine Geschlechterfrage. Und dieser Satz ist durchaus als Drohung an die Männer ihrer Partei zu verstehen. Denn während sich viele Frauen in der rechtsextremen Bewegung bis Ende der 90er Jahre mit der Mitläuferrolle begnügten, hat die neue Generation der Frauen um Ricarda Riefling und anderen Funktionärinnen sich den Gang durch die Parteiinstanzen zum Ziel gesetzt.

Bis zu 30 Prozent der Mitglieder der NPD, etwa in Thüringen, sind weiblich, 25 Prozent sind es in Niedersachsen, immer mehr Frauen sind in Parteiämtern aktiv. Die „quantitative und qualitative Beteiligung“ von Frauen, so formuliert es der Verfassungsschutz umständlich, steige stetig. Aber das Rollenverständnis bleibe gleich. Wenn sich die Geheimdienstler da mal nicht irren.

Riefling kann sich vorstellen, dass irgendwann einmal „eine Frau Vorsitzende der NPD wird“. Der „Ring Nationaler Frauen“, in dem Riefling genauso aktiv ist wie in der noch immer männerdominierten NPD, mischt sich ein nach dem Motto „antifeministisch, traditionsbewusst und volkstreu“. Geschickt docken diese Frauen in der Gesellschaft an, gehen als Elternvertreter in Schulen, Kitas oder Sportvereine. Auch Riefling war als ehrenamtliche Betreuerin einer Kinder-Schwimmgruppe aktiv, bis sie geoutet wurde. Der gesellschaftliche Diskurs wird unnachgiebig für die eigene Sache benutzt und Protagonisten aus dem demokratischen Lager vereinnahmt.

Von Christa Müller etwa, Ex-Frau von Oskar Lafontaine und ehemalige familienpolitische Sprecherin der Linken im Saarland, war Riefling „begeistert“. Müller hatte in ihrer aktiven Zeit ein sozialversicherungspflichtiges Erziehungsgehalt in den ersten drei Lebensjahren des Kindes in Höhe von 1600 Euro im Monat und bis zum sechsten Lebensjahr 1000 Euro für alle Eltern gefordert und erläutert, „auf dieser finanziellen Grundlage können dann die Eltern selbstbestimmt entscheiden, was sie mit dem Geld machen“. Riefling sagt, was viele denken, dass nämlich die Wahlfreiheit von Eltern gar nicht existiere. Ein Kind, findet sie, gehöre in den ersten drei Jahren in keine Krippe, sondern zur Mutter. Wer wollte einer solchen Frau Gewaltbereitschaft unterstellen?

Mit 14 Jahren hört sie rechten Hardrock, geht auf Konzerte und trinkt mit den örtlichen Skinheads im heimatlichen Peine abends Bier an einem See. Sie hat keine Berührungsängste mit den harten Jungs, sie hat in der Familie ohnehin nur Brüder, sie spielt als einziges Mädchen Fußball, und sie sagt, sie wollte genau wissen, was diese Rechten, „diese verruchten, verbotenen Typen“, eigentlich tun. Und so reist sie 1997 mit einigen Skinhead-Freunden nach Dänemark und nimmt am „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ teil. Die Rechten skandieren: „Rudolf Heß – das war Mord!“ Sie findet es faszinierend, „dass Menschen sich so für ihre Sache einsetzen“.

Ricarda Riefling sagt, es stimme nicht, dass ihr Vater ein bekennender Republikaner war, wie ein Journalist schrieb. Ihre Eltern seien unpolitisch gewesen, die Mutter eine Grüne, ihr Elternhaus intakt, „überzeugte Ökos“, wie sie es beschreibt, die Selbstanbau betreiben und keinen Fernseher haben. Die Eltern lassen die Tochter gewähren und eintauchen in die rechte Welt. Als sie schwanger wird von einem Mann aus der Szene, lassen die Eltern sie nicht fallen, sie macht die Schule zu Ende und schließt mit 21 eine Ausbildung zur Sozialassistentin ab. Dann beginnt sie zu studieren, heiratet Dieter Riefling, einen Bäcker und seit vielen Jahren umtriebigen Aktivisten der Neonazi-Szene, der schlimme Hassreden auf Veranstaltungen hält, die sie organisiert. Sie bekommt mit ihm drei weitere Kinder. Sie sagt, „ich bin das Geschenkpapier und er die Alufolie“.

Wenn sie den Wahl-O-Mat bedient, sagt sie, sei sie immer eine Linke.

Einmal geht sie auf eine Demonstration der Rechten gegen die umstrittene Wehrmachtsausstellung. Am Straßenrand sieht sie einen Mann sitzen, der weint und sagt: „Wir waren doch keine Verbrecher.“ Solche Geschichten sollen es sein, die sie politisiert, ja radikalisiert haben.

Die stolze Mutter „mit Leib und Seele“ treibt ihre politische Karriere, wie sie betont, nach der Arbeit als Hausfrau voran. Am Abend. Dann schreibt sie Flugblätter, verfasst familienpolitische Schriften, liest historische Bücher und entdeckte etwa Königin Luise von Preußen für sich. An einer Fernuniversität studiert sie Kulturwissenschaften. Sie backt, kocht, strickt, und sie ernährt sich mit ihren Kindern nur saisonal, Erdbeeren gibt es also nur im Sommer. Sie engagiert sich für den Umweltschutz und für gesunde Ernährung, sie geht auf Anti-Atomkraft-Demos, und wenn sie den Wahl-O-Mat bedient, sagt sie, sei sie immer eine Linke.

Sie kann gut kokettieren. Gerne erzählt sie die Geschichte, warum sie Richard Wagner hört. Er sei nicht nur ein herausragender Kulturschöpfer, sondern das neunte Kind seiner Familie, so wie Mozart das siebte Kind gewesen sei. Wenn es also damals nicht diese großen Familien gegeben hätte, dann hätte es auch diese großartigen Künstler nicht gegeben. Auf diesem Niveau bewegen sich ihre Argumente.

Ricarda Rieflings eigene innere Welt funktioniert vermutlich ganz einfach. Sie ist nämlich immer heil, sie ist immer selbstbestimmt, sie ist mitfühlend, aber niemals schlecht. Das denkt sie wirklich. Niemals habe sie unter Neonazis Gewalt erfahren oder andere Frauen Gewalt erfahren sehen, obwohl Gewalt gegen Frauen ein Merkmal der Szene ist. Die eigene Familie hat sie so sein lassen, wie sie ist, und ihr Mann ist ein fürsorglicher Vater, der kochen und den Babys die Windeln wechseln kann.

Man glaubt ihr, dass sie sich in dieser Welt wohlfühlt, denn in dieser Welt zählt die unangenehme Wahrheit nichts. In dieser Welt kann es den Holocaust nicht gegeben haben. Das macht es so einfach. Wenn es in Rieflings Welt den Mut zur Wahrheit gäbe, dann existierte diese Welt nicht mehr.

Ein Gespräch über Gewalt kann man mit einer extremen Nationalistin wie Ricarda Riefling nicht wirklich führen. Sie ist ein geschulter Kader, hat die notwendigen Verhaltensregeln einer Rechtsextremistin ausgiebig trainiert. Denn jeder mögliche Verdacht, dass die NPD Gewalt billigt, vorbereitet oder zur Gewalt aufruft und somit in ihrem Namen Straftaten, ja Morde geschehen könnten, würde dem Staat die Möglichkeit bieten, ein zweites, dieses Mal womöglich erfolgreiches Verbotsverfahren zu führen.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat dies sinngemäß so formuliert. Wo Gefahr im Verzug ist, wo Menschen zu Opfern werden könnten, muss der Schutz für diese Menschen wichtiger sein als der Schutz einer politischen Partei mit all ihren Grundrechten. Auch deshalb versucht der Staat nun alles, um Verbindungen zwischen der rechten Terrorzelle, dem selbst ernannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), und NPD-Funktionären zu finden.

Das Geschäft der geistigen Brandstiftung kann funktionieren. Man braucht dafür geeignete Grenzgänger, die es verstehen, die Grauzone vor der Gewaltzone mit brauner Ideologie auszuleuchten. Gewaltbereitschaft leugnen und anderen das Zuschlagen oder gar Morden überlassen ist keine Erfindung der NPD. Aber handelt sie nach diesem Prinzip?

Im Nachhinein jedenfalls, wenn es geschehen ist, wenn es Opfer gibt, kann man als Funktionär auf die Täter herabsehen, wie auf Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe, kann ihnen die Persönlichkeit absprechen. Ricarda Riefling verachtet Beate Zschäpe vor allem deshalb, weil sie nicht zur intellektuellen Ikone taugt. Riefling wäre gerne eine solche Ikone, deshalb bewundert sie auch eine andere Frau: die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof.

Sie verurteile Meinhof zwar dafür, dass sie ihre Kinder verlassen und Menschen bei Bombenanschlägen getötet habe, aber Meinhof „beeindruckt mich als Überzeugungstäterin“. Sie sei in der Lage gewesen, „so viele Dinge vorzugeben“. Ricarda Riefling bezeichnet sich als eine „Schreibtischtäterin“. Sie findet, dass sie keine Waffe braucht, denn die „Waffe bin ich selbst“.

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