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Wie viel digitale Bildung an der Schule soll sein?

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Digitale Bildung: Warum noch Lesen und Schreiben lernen?

Wird es bald besser sein, Kindern das Programmieren beizubringen, statt Lesen und Schreiben? Die Antwort auf diese Frage ist nicht schwer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Kürzlich fragte einer der führenden Volkswirte des digitalen Zeitalters, warum Kinder immer noch das Schreiben und das Kopfrechnen oder gar Latein lernen, anstatt beispielsweise ihre Kenntnisse im Umgang mit digitaler Technik systematisch zu verbessern. Schreiben sei eine Kompetenz des 20. Jahrhunderts, die bald überflüssig werde.

Das mag stimmen. Aber: Wer nicht mehr schreibt und liest, wer nicht rechnen will, wird nicht klüger. Er wird dümmer. Das mag im Interesse vieler großer Unternehmen sein, die digitale Intelligenz verkaufen. Gut für die Menschen, für das Gemeinwesen, für die Demokratie ist es ganz sicher nicht.

Das Argument der Digitalfraktion klingt so einleuchtend wie der Tweet, mit dem die Kölner Schülerin Naina Anfang 2015 berühmt wurde. Sie habe bald ihr Abitur, könne aber weder einen Mietvertrag verstehen, noch eine Versicherung abschließen. Dafür könne sie Gedichtanalyse. In vier Sprachen.

Hier wird vermeintlich unnütze Bildung gegen nützliches Wissen ausgespielt. Der Volkswirt geht noch weiter. Er findet, dass Schüler mit dem Erlernen komplizierter Kulturtechniken gequält werden, die demnächst so überflüssig sein werden wie das richtige Stopfen von Socken oder das kundige Pökeln von Schweineschinken.

Die digitale Spracherkennung mache so rasante Fortschritte, dass man schon in Kürze gar nicht mehr schreiben werde. Auch komplexe Texte würden künftig einfach und komfortabel übermittelt, mit Bildern, Grafiken und Filmen so ergänzt, dass das Verstehen sogar schneller gehe, als wenn man nur Buchstaben entziffere. Wichtiger als Lesen und Schreiben sei es in Zukunft, Kindern das Programmieren beizubringen. Dann könnten sie die Welt, die sie umgibt, beherrschen und in ihrem Interesse nutzen. Warum also sollen Kinder einfach nicht das lernen dürfen, was sie künftig brauchen?

Die Antwort ist nicht schwer. Weil es wahrscheinlicher ist, dass es umgekehrt käme: Wer nicht mehr lesen, schreiben und rechnen kann, kann auch nicht denken. Er verlernt zu unterscheiden, richtig und falsch zu bewerten, Wahres und Gelogenes auseinanderzuhalten. Er wird die digitale Welt nicht regieren. Er wird von ihr regiert.

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