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Maschinen, die dazu lernen: Das ist die Zukunft.

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Digitale Intelligenz: Unsere neue Religion

Künstliche Intelligenz kennt kein Leid – und kein Mitleid - und auch kein soziales Bewusstsein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Gerade verteilt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine kleine Broschüre mit dem Titel „Digitalisierung und du“. Das ist kein Heftchen nur für die Jugend, Minister Gabriel duzt alle Bundesbürger/innen, denn es gehe darum, „die Wirtschaftsleistung in Deutschland bis zum Jahr 2020 um weitere 82 Milliarden Euro“ zu steigern, „wenn wir digitale Technologien konsequent nutzen“. Bevor man sich fragt, wieso exakt 82 Milliarden, folgt schon der Appell: „Wir müssen heute entscheiden, wie wir morgen leben wollen.“
Alles klar. Weil, so heißt es ein paar Seiten weiter: „Digital ist das neue Normal.“ Das wiederum „sagt Gesche Joost, Internetbotschafterin der Bundesregierung“. Gesche Joost forscht unter anderem im boomenden Bereich der Interaktion von Mensch und Maschine, lehrt an der Berliner Universität der Künste Designtheorie und ist eine renommierte Expertin. Aber dass die Regierung eine eigene „Internetbotschafterin“ hat (im Internet, für das Internet oder gar beim Internet?) wird manchen doch überraschen.

„Auf jeden Menschen kämen dann rechnerisch etwa 60 vernetzte Objekte, Maschinen und Sensoren“

Angesichts einiger maroder deutscher Schulen und überfüllter Universitäten wirkt auch diese Aussage beeindruckend: „Noch nie hat Bildung so viel Spaß gemacht.“ Gemeint sind freilich „Tablets im Unterricht, Webinare, virtuelle Workshops, Onlinekurse“, da sei die „Bildung oft nur einen Mausklick entfernt“. Webinare statt Seminare? Solche Sätze stehen unter dem Motto „Lernen“. Doch dieses die Menschen meist mehr als die Klickmaus beschwerende Lernen wird hier einfach übersprungen. Man ist sogleich: gebildet. Überhaupt geht es bei allen IT-Start-ups, neuen Arbeitsplätzen und uns selbst um die „Vernetzte Welt“. Die Vorhersage lautet: „2015 waren 20 Milliarden Geräte und Maschinen über das Internet vernetzt, 2030 werden es eine halbe Billion sein.“ Das sind weltweite Zahlen, und auf der entsprechenden Website des Ministeriums kann man dazu lesen: „Auf jeden Menschen kämen dann rechnerisch etwa 60 vernetzte Objekte, Maschinen und Sensoren.“ Es ist die schöne neue Welt der smarten Dinge und der über Minicomputer in Uhren, Brillen, Implantaten nie mehr abreißenden Kommunikation zwischen Mensch und Maschinen – und immer mehr Datennutzern (Versicherungen, Produktherstellern, Vertriebsfirmen). Beschworen werden dabei auch ökologische Effekte, Energieeinsparungen durch intelligentes Management, vom häuslichen Kühlschrank bis zum E-Mobil. Merkwürdigerweise aber wird nie mit eingerechnet, was die Hardware kostet; dass es von den benötigten Rohstoffen und den damit verbundenen menschlichen Arbeitsbedingungen her bis heute noch kein „sauber“ hergestelltes Smartphone gibt; dass die expandierende digitale Wirtschaft immer mehr Strom verbraucht. Und wer spricht im Land des legendären Waldsterbens und des Atomausstiegs eigentlich noch vom Elektrosmog? Nun, da er um uns alle herum immer dichter werden müsste, hat er sich offenbar aufgelöst. Ein verblasster Mythos?

KI-Jünger beschwören so schon die Überlegenheit der Maschine gegenüber dem Menschen

Ich bin kein Fortschrittsfeind. Doch die digitale Revolution zeitigt mit der grenzenlosen IT-Gläubigkeit auch eine neue technologische Religion. Man sieht es gerade am Kult um die Künstliche Intelligenz, den der Sieg der Google-Software AlphaGo über einen koreanischen Großmeister im Go-Spiel noch steigert. Im Unterschied zum IBM-Computer Deep Blue, der einst Schachweltmeister Garri Kasparow bezwang, ist AlphaGo ein weit differenzierteres, die neuronalen Netzwerke des menschlichen Gehirns adaptierendes und zugleich schier unbegrenzt selbst lernendes System.

KI-Jünger beschwören so schon die Überlegenheit der Maschine gegenüber dem Menschen. Selbst bei kritischen Forschern und ihrer Warnung vor autonomen Robotern, die sich gegen ihre eigenen Schöpfer wenden könnten, ist erstaunlich selten davon die Rede, dass Menschen neben der Ratio auch eine emotionale Intelligenz besitzen. Ein soziales Bewusstsein, das so etwas wie Moral kennt. Und Mitleid – um von Liebe noch gar nicht zu sprechen.
Auch die künstliche Intelligenz wird dereinst wohl künstliche Gefühle entwickeln. Aber die bleiben virtuelle Simulationen, weil allein organische Wesen real empfinden können und Schmerz oder Freude mehr sind als nur errechenbare Hirnreize. Oder sagen wir es ganz anders: Ich möchte keinem Menschen ein Haar krümmen. Aber ich hätte keine Skrupel, einen aggressiven KI-Roboter auf Bitte seines Besitzers in Stücke zu hacken. Mögliche Skrupel unterscheiden so den natürlichen Auftragskiller vom künstlich intelligenten Täter.

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