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Eine syrische Frau wartet mit ihrem Kind in der Türkei auf die Erlaubnis, in die EU weiterreisen zu dürfen.

© REUTERS

Flüchtlingskrise: Syrer in der Türkei - Gäste ohne Rechte

Zwei Millionen Syrier hat die Türkei bisher aufgenommen. Doch die meisten Flüchtlinge sehen dort keine Perspektive, weil sie kaum Rechte haben.

Mit einer kräftigen Finanzhilfe will die EU die Bemühungen der Türkei bei der Betreuung von Flüchtlingen aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien unterstützen. Uneigennützig ist die Überweisung nach Ankara nicht: Das Geld soll dazu beitragen, Syrer in der Türkei zu halten, damit nicht noch mehr von ihnen nach Europa kommen. Doch die Millionen aus Brüssel ändern nichts an den Gründen, warum syrische Flüchtlinge die Türkei in Scharen verlassen und nach Westeuropa drängen.

Fast sieben Milliarden Euro hat Ankara für die Versorgung ausgegeben

Mit der Aufnahme von rund zwei Millionen Flüchtlingen aus Syrien hat sich die Türkei in den vergangenen Jahren weltweit Respekt erworben. Moderne Flüchtlingslager und eine "Politik der offenen Tür", die alle Neuankömmlinge ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit akzeptiert, haben vielen Menschen das Leben gerettet. Fast sieben Milliarden Euro hat Ankara bisher für die Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben. Nicht ganz zu Unrecht streichen türkische Politiker heraus, wie großzügig ihr Land mit dem Problem umgeht, und wie zögerlich bis abweisend die wesentlich wohlhabenderen Europäer agieren. Dennoch ist die Türkei zum Ausgangspunkt eines Exodus‘ Richtung Europa geworden. Die türkischen Behörden müssen sich fragen lassen, warum tausende Syrer lieber ihr Leben aufs Spiel setzen, als in der Türkei zu bleiben.

Die Syrer wollen vor allem deshalb fort, weil sie in der Türkei keinen Flüchtlingsstatus erhalten, nicht arbeiten dürfen und nur eingeschränkten Zugang zum Schul- und Gesundheitssystem haben. Ankara erkennt grundsätzlich nur Flüchtlinge aus Europa als asylberechtigt an. Die Syrer dagegen werden als "Gäste" bezeichnet. Das klingt freundlich, doch der Migrationsforscher Murat Erdogan von der Hacettepe-Universität in Ankara merkt an: "Gäste haben keine Rechte, Flüchtlinge schon." Obwohl viele Syrer seit Jahren in der Türkei leben und obwohl bereits rund 100.000 syrische Kinder in der Türkei auf die Welt gekommen sind, gibt es kaum Maßnahmen zur Integration der "Gäste". Vielen Syrern geht nach der langen Wartezeit in der Türkei das Geld aus – Europa erscheint als letzter Ausweg.

Es regt sich Widerstand gegen eine "Arabisierung" der Türkei

Zwar könnte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit neuen Gesetzen an der Lage etwas ändern, doch damit würde sich die Regierung bei vielen Türken unbeliebt machen. Schließlich steigt die Arbeitslosigkeit, zudem regt sich Widerstand gegen eine "Arabisierung" der Türkei durch die vielen Neuankömmlinge. In vielen Städten gehören arabische Ladenschilder längst zum Alltag; in der Grenzstadt Kilis leben inzwischen mehr Syrer als Türken. Einer Untersuchung des Migrationsforschers Erdogan aus dem vergangenen Jahr empfindet einer von zwei Türken syrische Nachbarn als störend und befürchtet, dass die "Gäste" den Türken die Arbeitsplätze wegnehmen; 30 Prozent sind sogar dafür, die Flüchtlinge wieder nach Hause zu schicken.

Eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent der Türken ist dagegen, die Syrer einzubürgern. Integrationsmaßnahmen, die zum Beispiel eine Besserstellung der Syrer auf dem Arbeitsmarkt beinhalten würden, wären angesichts dieser Stimmung in der Bevölkerung höchst unpopulär. Es gibt Hinweise, dass die Regierung das ganze Thema am liebsten totschweigen würde: Seit April diesen Jahres müssen Umfragen zur Flüchtlingsproblematik vom Innenministerium in Ankara genehmigt werden.

Kritiker befürchten, dass die Regierung das Flüchtlingsproblem eher verschlimmert

Kritiker befürchten, dass die Regierung das Flüchtlingsproblem eher verschlimmert als lindert und der Türkei auf Jahre hinaus Schwierigkeiten beschert. So wies der Journalist Yilmaz Odabasi in der regierungskritischen Zeitung "Meydan" darauf hin, dass viele syrische Jugendliche, die keine vernünftige Schul- oder Berufsausbildung in der Türkei erhalten, in den kommenden Jahren in die Kriminalität abrutschen könnten.

Zumindest kurzfristig ist dennoch keine neue Haltung der Türkei zu erwarten: In sechs Wochen stehen Parlamentswahlen an. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu setzt weiter auf die Einrichtung einer militärisch gesicherten Pufferzone im Norden Syriens, um zumindest einigen Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen und den Wählern zu signalisieren, dass nicht an einen Daueraufenthalt der Syrer in der Türkei gedacht wird. Ob und wann die Pufferzone entstehen wird, ist jedoch völlig offen.

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