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Georgien: Und es hat Boom gemacht

Alles in ihrem Land gebe es im Überfluss, sagen die Georgier. Früchte, Wein, Wälder und Palmenstrände. Auch ihr Präsident Michail Saakaschwili versprach das Paradies. Am Wochenende wählt die Kaukasusrepublik ein neues Staatsoberhaupt. Nach neun Jahren ersetzen sie enttäuscht den Helden ihrer friedlichen Revolution.

Von Julia Prosinger

Als Gott die Erde schuf, als er jedem Volk, das sich geduldig in die lange Schlange einreihte, ein Stück Land zusprach, da waren die Georgier, weil sie mal wieder lange gegessen und getrunken hatten, zu spät. Gott hatte bereits alles verteilt. Die Georgier aber priesen seine Herrlichkeit, bis Gott ihnen schließlich schenkte, was er für sich selbst reserviert hatte, seinen Garten. So, erzählt man sich im Kaukasus seit Jahrhunderten, sollen die Georgier zu einem paradiesischen Fleck gekommen sein: dichte Wälder, fruchtbare Täler, hohe Berge, Palmenstrände.

Eine andere Legende erzählt man sich seit einem Jahrzehnt. Es ist die vom georgischen Boom. Ihr Held ist Michail Saakaschwili, der große Mischa, PR-Experte, in den USA ausgebildet, ein Visionär, den die Georgier nach ihrer friedlichen Rosenrevolution 2003 mit 98 Prozent der Stimmen zum jüngsten Staatschef Europas wählten, da war er gerade 36. Am kommenden Sonntag stimmen sie für einen neuen Mann. Mischa können sie nach zwei Amtszeiten nicht nochmal wählen, sie würden es aber auch nicht. Damit endet seine Legende.

Wenn es einen Ort gibt, an dem diese Legende vom Boom spielt, dann ist es Batumi. Saakaschwili hat die Stadt am Schwarzen Meer, 180 000 Einwohner, direkt an der Grenze zur Türkei, seine Tochter genannt. Zehn Jahre hat er diese Tochter reich beschenkt. Einst kauften sich hier im subtropischen Klima die Nobels und Rothschilds große Villen, zu Sowjetzeiten machten Parteikader in Batumi Urlaub. Heute sind nachts mediterrane Piazzas violett und orange ausgeleuchtet, die sowjetischen Plattenbauten tragen bunte Fassaden, am Strand schraubt sich das georgische Alphabet wie eine DNA zu einem Turm hinauf. Daneben steht das höchste Gebäude der Region, 200 Meter misst es, mit einem goldenen Riesenrad in der Spitze. Hier soll die Universität einziehen, und jeder soll sehen: Georgien ist in Bewegung. An sieben Kilometern Strandboulevard hat Mischa 700 Palmen pflanzen lassen, aus einem Bambushain strömt klassische Musik, selbst die McDonald’s-Filiale ist die schönste der Welt, ein zackiger Glasbau mit Indoor-Blumenbeeten. Und aus einem Brunnen sprudelt täglich ein paar Minuten lang Chacha, der georgische Nationalschnaps.

In den Jahren nach der Rosenrevolution haben in Batumi ein Sheraton, ein Radisson und ein Kempinski eröffnet. Kasachische und türkische Investoren haben aus 3000 nun 10 000 Hotelbetten gemacht, die Immobilienpreise haben sich verdreifacht. Aserbaidschaner und Iraner kommen wegen der zahlreichen Casinos – Glücksspiel ist bei ihnen verboten – Armenier wegen des Meeres, Europäer zieht die Architekturkunst an, der deutsche Architekt Jürgen Mayer H. ist einer von Saakaschwilis Lieblingen. Georgien – Schlaraffenland, Disneyland, Boomland.

Saakaschwili glaubt an Winston Churchills Spruch: „Wir formen erst unsere Gebäude, und danach formen sie uns.“ Gleich nach seiner Wahl vor fast zehn Jahren, ließ er graue Häuser bunt streichen. Dem Misstrauen der Georgier in die Politik setzte er ein durchsichtiges Innenministerium entgegen, luftige Bürgerämter und gläserne Polizeistationen in Pyramidenform. Und Mischa pflegt mit Vorher-Nachher-Bildern georgischer Schulen zu werben. Vorher: Kinder mit Mützen in ungeheizten Klassenzimmern. Nachher: moderne Schulräume, glückliche Kinder mit Tabletcomputern.

Noch immer leben 40 Prozent der Georgier unterhalb der Armutgrenze

Einer, der erklären will, was der Preis für diesen Boom ist, sitzt in einem der neuen Cafés der ebenfalls renovierten Tifliser Altstadt – orientalische, byzantinische, klassizistische Architektur mischen sich hier. Der Mann heißt Soso Mekvevrishwili, also eigentlich Soso, alle nennen sich in der Region beim Vornamen. Soso ist 42, hat braune Augen und ein frisch gestärktes weißes Hemd, ein Profiteur von Saakaschwilis Boom. Trotzdem hat er sich von ihm abgewandt. Vor ein paar Jahren hat er ein Abenteuercamp eröffnet. Mit Gästen aus dem Oman, aus Frankreich und Amerika macht er Raftingtouren, fährt Ski auf neuen Pisten, backt georgisches Brot. Seit der Rosenrevolution stieg die Touristenzahl bis auf fast drei Millionen jährlich – bei nur gut 4,5 Millionen Einwohnern. Dennoch, vor einem Jahr, als der Regierungschef gewählt wurde, hat sich Soso gegen Saakaschwilis Partei entschieden. Der Unternehmer hat seine Stimme – wie die Mehrheit der Georgier – einem anderen mächtigen Mann gegeben, Bidsina Iwanischwili.

Der Premier ist das Gegenteil vom großen Mischa. Schmal, schmächtig ist er, redet leise, spricht schlecht Englisch, lebt zurückgezogen. Bis vergangenes Jahr nannte man ihn „das Phantom“: Jeder Georgier kannte seinen Namen, aber man sah ihn nie. Sein Vermögen, geschätzte 6,5 Milliarden US-Dollar, mehr als der gesamte georgische Haushalt, machte er als Banker und Industrieller in Russland. Bevor er sich mit Saakaschwili zerstritt, steckte er es in viele von dessen Projekte.

Saakaschwili versprach nicht nur Privatinvestoren einen Boom, viele Gelder kamen auch aus öffentlichen amerikanischen, europäischen Töpfen und Stiftungen. 3000 Kilometer Autobahn entstanden, 400 Brücken, 10 Tunnel. Mehr als 1600 Stadien und Arenen ließ er bauen, über 600 orthodoxe Klöster und Kapellen restaurieren. Batumisierung wird diese Politik genannt. Alles Fassade, ein Schauspiel für den Westen. „Mischa hatte Lieblingsorte, Lieblingsviertel, Lieblingsleute“ , sagt Soso.

Auf den meisten Straßen Georgiens kommen Schweine noch immer besser vorwärts als Autos, hinter rostigen Gartentoren bearbeiten Bauern ihren Boden mit der Hacke. Manche Balkone in den abgelegeneren Tifliser Gassen sind so brüchig, dass sie hinabzustürzen drohen, durch prächtige Jugendstilvillen ziehen sich tiefe Risse. Am Ufer des Tifliser Flusses Kura warten morgens Tagelöhner mit ihren Bohrmaschinen in der Hoffnung auf jemanden, der ihnen Arbeit gibt.

In den frisch angelegten Parks sitzen alte Frauen mit Kopftüchern und verkaufen Sonnenblumenkerne in Tütchen aus Zeitungspapier. Nachts suchen Schrottmetallhändler nach alten Kühlschränken. Auf Grünstreifen zwischen den Plattensiedlungen bauen Familien Kürbisse an.

Mehr als die Hälfte der Georgier hat solche Subsistenzwirtschaft nötig. 40 Prozent von ihnen leben laut Weltbank unterhalb der Armutsgrenze, die höchste Rate der Region. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 15 Prozent, Experten gehen von bis zu 50 Prozent aus.

Der Boom, nur eine Legende? Mischas Bauwahn, ein Täuschungsmanöver?

Das Land musste ja unbedingt einen Krieg anzetteln

Beim „Ease of doing business Index“ der Weltbank stieg Georgien in den Saakaschwili-Jahren immer weiter auf, wurde zum Vorbild für Transformation, bekam den Titel „Topreformer“. Auch Transparency International attestierte dem Land beste Werte. Eine der ersten Reformen Saakaschwilis war es, die korrupte Verkehrspolizei durch eine kleine Truppe zu ersetzen. „Wenig Aufwand, schneller Effekt“, sagt Soso. Alltagskorruption sei verschwunden, aber auf höherer Ebene so gängig wie zuvor. Saakaschwili habe mit Steuererleichterungen große Unternehmen und schnelles Geld ins Land gelockt. Doch mangelnde richterliche Unabhängigkeit und Angst vor Enteignungen hemmten die Wirtschaft. Die Weltbankanalysen zeigen es inzwischen.

Saakaschwili hatte politischen Gegnern zuweilen die Staatsbürgerschaft entziehen lassen. Wer der Opposition einen Raum vermieten wollte, dem schickte er den Geheimdienst vorbei. Aber erst, als Soso, der europäisierte Unternehmer, an das Jahr 2008 denkt, fängt er richtig zu schimpfen an. Vorbei mit Mischas Heldengeschichte war es da. Einen Krieg musste er auch noch anzetteln. Der kostete fast 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes, Abchasien und Südossetien. „Das hat uns wirtschaftlich zehn Jahre zurückgeworfen“, sagt Soso. Die Luxusbetten in Batumi blieben leer, und jeder zwölfte Georgier ist ein interner Flüchtling.

Warum, fragt Soso, soll Georgien, klein wie Österreich, Geld für Militär ausgeben? „Wir brauchen keine Panzer, wir brauchen wirtschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn. Man kann in dieser Region nicht ohne Russland existieren.“ Das hat Soso in seiner eigenen Familie erlebt. Sein Vater ist Landwirt. Als Reaktion auf Saakaschwilis Westausrichtung hatte Russland 2006 georgische Importe verboten. Offiziell ging es um mangelnde Hygienestandards. Der Absatzmarkt brach um 80 Prozent ein. Wein, wie Sosos Familie ihn seit Jahrhunderten anbaut, Nüsse, das berühmte salzige Mineralwasser Borjomi, wurden nicht mehr verkauft. Plötzlich kosteten die edlen Superavi-Trauben statt 3 Lari das Kilo nur noch 50 Tetri. Das sind ein paar Cent, schon die Ernte ist teurer. Unter Saakaschwili lernten die georgischen Kinder kein Russisch mehr. Milliardär Iwanischwili versprach neue Beziehungen zum Nachbarn. Seit er regiert, verkauft Sosos Vater wieder Wein nach Norden.

Vielleicht verhält es sich mit dem Boom wie mit den Casinos in Batumi: schnelles Geld, hohes Risiko, am Ende steht der Verlust. „Zu hoch gepokert“, sagt Sandro, 29, gelbe Turnschuhe, gelbes Shirt. Auf den Unterarm hat er den Schriftzug „yellow“ tätowiert, weil er meistens gute Laune hat, sagt er. An der Ilia-Universität erforscht er den Nationalismus.

Einerseits, erklärt der Sozialwissenschaftler in seinem kleinen Kellerbüro, wollten die Georgier Teil der EU, Teil der Nato werden. Andererseits konnte Saakaschwili weder mit neuen Flaggen und neuen Feiertagen, noch mit einem Gesetz, das Sowjetsymbole verbietet, Stalin aus den Köpfen der Georgier vertreiben. Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der Georgier den Diktator weiterhin für einen Helden hält. Als dann der pro-russische Iwanischwili Regierungschef wurde, trauten sich die Stalin-Fans, in Dörfern alte Statuen wiederaufzustellen. Sandro und zwei Freunde hatten damals eine Idee für Bilder, die um die Welt gingen. Nachts schlichen sie zu den Stalin-Figuren und malten sie pinkfarben an.

„Saakaschwili ist zum Opfer seiner eigenen Prinzipien geworden“, sagt Sandro und meint: Auf seiner Suche nach Zustimmung habe er radikale Mächte stark gemacht. Da ist seine Null-Toleranz-Politik gegenüber Kriminellen. Die Gefängnisse waren überfüllt, Aufstände wurden brutal niedergeschlagen, es gab Tote. Außerdem hatte Saakaschwili versucht, die Kirche abzuspalten. Einen traditionell starken Einfluss der orthodoxen Kirche, sagt Sandro, hätte Mischas Westen doch als rückständig empfunden. Man habe die Kirche dafür mit Autos, Land und Geld entschädigt. „Als Folge haben wir Priester, die sich wie Extremisten benehmen.“

Damit bezieht sich der Soziologe auf den Mob aus bärtigen Männern und keifenden Hausfrauen, die am internationalen Tag gegen Homophobie auf etwa 90 Aktivisten in Regenbogenfarben einschlugen. Viele der Opfer erlitten Prellungen und Gehirnerschütterungen. Jeden dritten Tag, erzählen sie bei der Beratungsstelle für Schwule und Lesben, würde in Tiflis jemand zusammengeschlagen, es gebe vermehrt rassistische Angriffe. Dank Saakaschwilis Nationalismus würden im einstigen Vielvölkerstaat nun Minderheiten diskriminiert.

Manche fürchten das Ende des Booms. Und dass mit Iwanischwili die Sowjetunion zurückkehren werde, die dunkle Zeit ohne Strom, mit Warteschlangen für ein Stück Brot. „Quatsch!“, meint Sandro. „Sonst hätte man uns doch längst für die pinken Stalins bestraft.“

Am Sonntag könnte einer von Iwanischwilis Ministern, Georgi Margvaleschwili, Präsident werden. Iwanischwili will sich dann aus der Politik zurückziehen. Er hat aber versprochen, dem Staat notfalls mit seinem Privatvermögen auszuhelfen. Die Georgier, lacht Sandro, hoffen noch immer auf einen, der ihnen das Paradies schenkt.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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