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Grundschulvergleich: Warum schneidet Berlin so schlecht ab?

Im Ländervergleich der Grundschüler schneidet Berlin schlecht ab. Was wurde bewertet – und wie kommt es zu den Unterschieden?

Lesen, Zuhören, Mathematik – diese Fähigkeiten wurden bei mehr als 27.000 Schülerinnen und Schülern der vierten Jahrgangsstufe aus ganz Deutschland im vergangenen Jahr getestet. Es ist der erste rein deutsche Leistungsvergleich von Grundschulen. Untersucht wurde, ob die Schüler die bundesweiten Bildungsstandards in Deutsch und Mathematik erreichen. Diese Standards ließen die Kultusminister nach dem Pisa-Schock entwickeln. Am Freitag stellten am IQB-Ländervergleich beteiligte Experten die Resultate in Berlin offiziell vor.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Der Süden schneidet am besten ab. In allen drei getesteten Disziplinen stehen Bayerns Schülerinnen und Schüler an der Spitze. Beim Zuhören folgt Baden-Württemberg, beim Lesen und in der Mathematik stehen zudem Sachsen und Sachsen-Anhalt mit vorn. Berlin liegt dagegen wie die anderen Stadtstaaten Bremen und Hamburg in allen Disziplinen auf den hintersten Rängen. Im Lesen etwa sind die Viertklässler im Vergleich zum Bundesschnitt ein halbes Jahr zurück. Nirgendwo verfehlen so viele Schüler die Mindeststandards wie in Berlin, jeder fünfte schafft die Mindestanforderungen im Lesen nicht, sogar jeder vierte nicht in Mathematik. Im Bundesschnitt erreichen jeweils 88 Prozent die Mindeststandards.

Nirgendwo sind auch die Leistungsunterschiede zwischen den Schwächsten und den Stärksten so groß wie in Berlin. Der Hauptstadt gelingt es aber nur mäßig, Schüler zu Spitzenleistungen zu bringen. Während im bundesweiten Schnitt in allen Bereichen etwa 40 Prozent der Schüler zu den Leistungsstärkeren zählen, sind es in Berlin im Lesen 27 Prozent, in der Mathematik 24 Prozent.

Bei Leistungsvergleichen schneiden die Stadtstaaten regelmäßig schlechter ab, was der Mischung aus hoher Arbeitslosigkeit und einem großen Anteil bildungsferner Migranten zugeschrieben wird. Der Test zeigt jetzt, dass Großstädte nicht zwangsläufig schwächer dastehen müssen. Die Studie weist eine Gruppe „Großstädte“ separat aus. Diese erzielen bessere Ergebnisse als die Stadtstaaten.

Welche Rolle spielt die soziale Herkunft?

Schon aus früheren Studien ist bekannt, dass die Kompetenzen von Schülern in Deutschland eng mit ihrer sozialen Herkunft zusammenhängen. Diesen Befund bestätigt die neue Studie. Die Wissenschaftler führen 13 Prozent der Unterschiede bei der Lesekompetenz der Viertklässler auf den sozioökonomischen Status der Eltern zurück. In Berlin ist der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Lesefähigkeit etwas größer, er hat hier einen Anteil von 16 Prozent. Der Lernabstand zwischen Kindern aus Familien mit geringem Bildungsniveau und solchen mit hohem Bildungsniveau beträgt in Berlin im Schnitt ein Schuljahr. Die Forscher stellen mit Blick auf die Ergebnisse der Iglu-Studie von 2006 aber fest, der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leseleistungen sei damals in Berlin und Hamburg bundesweit noch am höchsten ausgefallen – nun lägen die Werte im Durchschnittsbereich.

Auffällig ist, dass sich die soziale Herkunft bei Schülern in den ostdeutschen Ländern im Schnitt weniger stark auf die Lesekompetenzen auswirkt. Am besten gelingt es Sachsen (rund sieben Prozent Einfluss) gefolgt von Rheinland-Pfalz (rund neun Prozent) und Sachsen-Anhalt (9,5 Prozent), die Leseleistung von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. In Mathematik gelingt das Brandenburg bundesweit am besten.

Welche Rolle spielt ein Zuwanderungshintergrund?

Berlin hat der Studie nach einen Anteil von rund 36 Prozent an Viertklässlern mit Migrationshintergrund, rund 16 Prozent haben nur ein Elternteil, das im Ausland geboren wurde. In Hamburg ist der Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund noch höher (44 Prozent), in Bremen ebenfalls (42 Prozent). Der Bundesschnitt von Viertklässlern mit Migrationshintergrund liegt der Studie zufolge bei 25 Prozent. Die ostdeutschen Länder haben alle einen Anteil von unter sieben Prozent, in Brandenburg liegt er bei 5,5 Prozent.

Im Lesen haben Kinder mit zwei im Ausland geborenen Eltern im Bundesschnitt einen Lernabstand von fast einem Jahr gegenüber Kindern ohne Zuwanderungshintergrund (61 Punkte). In Berlin ist die Kluft am größten (70 Punkte). Den größten Rückstand gegenüber den Mitschülern ohne Migrationshintergrund haben demnach die Viertklässler mit türkischen Wurzeln (89 Punkte), gefolgt von denen mit zwei Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien (68 Punkte Rückstand) und der ehemaligen Sowjetunion (29 Punkte) sowie anderen, nicht einzeln aufgeführten Ländern (45 Punkte Rückstand). Kinder mit polnischen Eltern haben hingegen keine „Kompetenznachteile“.

Dass Kinder mit türkischen Eltern auch bei gleicher sozialer Herkunft und wenn Deutsch die Familiensprache ist, schlechter abschneiden als ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund, wurde schon in anderen Studien festgestellt. Forscher können das nicht erklären, zumal das Bildungsstreben türkischer Eltern sehr hoch sei. Möglich sei, dass die Eltern oft so schlecht über das deutsche Bildungswesen informiert seien, dass sie ihre Kinder nicht „zielgerichtet“ unterstützen könnten. Aber auch negative Stereotypen seien „sehr mächtige Einflussfaktoren“.

Warum gibt es so große Unterschiede zwischen den Ländern?

Neben den sozialen Strukturen ist auch die Ausbildung der Lehrkräfte entscheidend. Vielfach unterrichten Grundschullehrer Deutsch und Mathematik, ohne das Fach studiert zu haben, wie aus der Studie hervorgeht. Schüler bei Lehrern mit Fachstudium liegen im Schnitt in Deutsch aber sieben Leistungspunkte über den fachfremd unterrichteten Schülern, in Mathematik sogar 18 Punkte darüber. In den Ländern, die gut abgeschnitten haben, ist der Anteil von Lehrern, die fachfremd unterrichten, sehr klein. Berlin will deshalb das Studium der Grundschullehrer verlängern.

Offenbar gibt es auch Mängel in der Fortbildung. Zwar nehmen fast alle Lehrer an Angeboten teil. Doch zwei Drittel sehen für sich einen Bedarf an Kursen zum Umgang mit lernschwachen Schülern. Unklar ist, wie die Sprachförderung sich auf die Schüler auswirkt. Überall gibt es dazu Angebote. Doch in elf Ländern folgen die Schulen keinem bestimmten Konzept.

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