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Klaus Mertes

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Jürgen Trittin, der Wahlkampf und die Pädophilie-Debatte: Jesuitenpater Klaus Mertes: Die Instrumentalisierung dieses Themas ekelt mich an

Äußerst scharf hat der Jesuitenpater Klaus Mertes kritisiert, dass die Pädophilie-Debatte um den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin in den Wahlkampf gezerrt wird: "Mich ekelt jede Form der Instrumentalisierung dieses Themas schlicht an".

Von Matthias Meisner

2010 hatte der Jesuitenpater Klaus Mertes am Berliner Canisius-Kolleg die Debatte über Missbrauch in der katholischen Kirche ins Rollen gebracht. Jetzt ist er empört, wie in der heißen Wahlkampfphase mit dem Thema umgegangen wird. Bezogen auf den Streit um den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, der 1981 für ein Kommunalwahlprogramm in Göttingen presserechtlich verantwortlich zeichnete, sagte Mertes am Donnerstag in einem Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg: "Mich ekelt jede Form der Instrumentalisierung dieses Themas und jede damit verbundene Selbstgerechtigkeit schlicht an." Der von den Grünen mit der Aufarbeitung beauftragte Politologe Franz Walter hatte aus dem 32 Jahre alten Dokument zitiert, in dem für eine strafrechtliche Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen plädiert wird.

Mertes ist heute Leiter der Jesuitenschule Sankt Blasien im Schwarzwald. Er sprach sich stattdessen dafür aus, den grundsätzlichen Umgang mit Sexualität in der Gesellschaft zu thematisieren - und etwa die Frage zu diskutieren, wie der Blick geschult werden könne, um den Unterschied zwischen Liebe und Missbrauch von Sexualität zu erkennen. Auf die Frage, ob die Grünen in Sachen Aufarbeitung bei der katholischen Kirche und kirchlichen Schulen lernen könne, sagte der Jesuitenpater: "Man sollte sich nie selbst als Vorbild anpreisen. Wer Fragen an uns hat, wie wir das Thema kirchlicherseits bisher aufgearbeitet haben, kann sich aber jederzeit gerne an uns wenden."

Jesuitenpater lobt "Fallen von Tabus in Sachen Homosexualität"

Mertes sagte weiter: "1968 hatten wir die sexuelle Revolution, in deren Folge auch extreme Haltungen und Positionen ideologisch legitimiert wurden. Und heute stellen wir nun fest, dass wir hier als Gesellschaft - nicht bloß die Grünen - in einigen Schritten zu weit gegangen sind. Die Enttabuisierung von Pädophilie ist eine Katastrophe - das Fallen von Tabus in Sachen Homosexualität dagegen in vieler Hinsicht ein Gewinn an Humanität."

Vor Mertes hatte bereits der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen sexuellen Missbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, im Gespräch mit dem Tagesspiegel betont, "in Ruhe und losgelöst vom Wahlkampf und von populistischen Forderungen" müsse entschieden werden, wie man "angemessen und sensibel" auf die Opfer zugehe. Er bescheinigte den Grünen, mit der unabhängigen Aufarbeitung ihrer Gründungszeit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. "Auch schmerzhafte Ergebnisse werden veröffentlicht, das ist genau der richtige Weg."

Renate Künast und Jürgen Trittin
Das waren noch Zeiten. Renate Künast, Jürgen Trittin bei der Party am Abend des Bundestagswahlsonntags 2009

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Trittin warf der Union am Mittwoch bei einer Wahlkundgebung in Hamburg eine Schmutzkampagne vor und reagierte damit auf Rücktrittsforderungen. "Wir lassen uns 15 Jahre, nachdem wir mit dieser falschen Politik gebrochen haben, nicht von Leuten aus der Union als Pädo-Kartell oder Ähnliches denunzieren", sagte Trittin in Anspielung auf einen entsprechenden Vorwurf von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Die Grünen hätten zwar zu lange eine falsche Haltung zum sexuellen Missbrauch von Kindern eingenommen. Doch sie hätten daraus gelernt und sich später gegen Gewalt gegen Kinder und für die Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe eingesetzt - im Gegensatz zu Mitgliedern der Union. Diese meinten aber heute, sie könnten die Grünen über ihre Fehler belehren.

Renate Künast denkt "mit Grausen" an Fehler in der Grünen-Geschichte

In der ARD-Fernsehsendung "Anne Will" sagte Renate Künast, die gemeinsam mit Trittin an der Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion steht, sie denke "mit Grausen" an die "massiven Fehler", die Anfang der 80er Jahre in dieser Frage gemacht worden seien. Es sei „Irrglaube und Irrsinn“ gewesen zu glauben, dass Kinder in einem sexuellen Verhältnis zu Erwachsenen nicht immer Zwang erlebten. „Das ist unerklärbar. Da kann man nur mit Grausen dran denken, was wir Menschen damit angetan haben, überhaupt so eine Debatte zu führen.“

Auf Wills Frage, was die Debatte für das Wahlergebnis der Grünen am Sonntag bei der Bundestagswahl bedeuten werde, sagte Künast, das werde sich zeigen. "Das ist ja eigentlich auch eine Frage, die nicht zulässig ist. Wir haben massive Fehler gemacht – und da müssen wir jetzt durch. Wir haben zu spät Schärfe gezeigt, was die Aufarbeitung betrifft. Und da ist die allererste Frage: Welches Leid haben wir damit ausgelöst?"

Die Grünen stehen in den Umfragen derzeit nicht besonders gut da, ihnen wurden zuletzt für die Bundestagswahl zwischen neun und elf Prozent vorausgesagt, deutlich weniger als noch im Sommer prognostiziert. Die Befragungen der Meinungsforscher fanden noch vor der jüngsten Pädophilie-Diskussion um Trittin statt. Auch das Ergebnis bei der Bayern-Wahl am vergangenen Sonntag war für die Öko-Partei ernüchternd, mit 8,6 Prozent lag sie um 0,8 Punkte unter dem Ergebnis von 2008.

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