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Seit Anfang Juni 2012 führt Katja Kipping die Linke. Sie weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist.

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Katja Kipping im Interview: „Das Projekt Linkspartei ist nicht gefährdet“

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping spricht im Tagesspiegel-Interview über die jüngsten Wahlschlappen ihrer Partei, sympathische Methoden der Piraten – und ihre rotgefärbten Haare.

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Frau Kipping, Sie sind seit einem Monat Vorsitzende der Linken. Welches Gefühl überwiegt: Macht oder Ohnmacht?

Keines von beiden, sondern eher die Freude an der Zusammenarbeit.

Sie sind auf dem Parteitag in Göttingen angetreten unter dem Stichwort „Dritter Weg“. Was machen Sie anders als Tony Blair oder Gerhard Schröder?
„Der dritte Weg“, das Schröder-Blair-Papier von 1999 hat die Agenda 2010 eingeleitet. Wir kämpfen hingegen couragiert gegen das Hartz-IV-Sanktionssystem.

Kommt der ewig gleiche Slogan „Weg mit Hartz IV“ überhaupt noch an?
Der Kampf gegen Hartz IV bleibt für mich eine zentrale Aufgabe. Allerdings müssen wir unser Anliegen anders thematisieren. Inzwischen weckt der Slogan „Weg mit Hartz IV“ bei manchen die Angst, man wolle ihnen auch noch das wenige Geld nehmen. Wir wollen eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Die Erzählung der Herrschenden ist ja immer, der Verkäuferin würde es besser gehen, wenn es der Erwerbslosen schlechter gehe. Das Gegenteil ist der Fall. Im Zuge von Hartz IV wurde das Lohngefüge generell nach unten gedrückt.

Ihr Lieblingsthema: das bedingungslose Grundeinkommen. Wird das beschlossen?
Ich werde immer deutlich herausarbeiten, dass meine Meinung in dieser Frage nicht die Meinung der gesamten Partei ist. Die meisten Mitglieder sind noch gar nicht entschieden. Wir gönnen uns den Luxus, offene Fragen zu haben. Ein solches Projekt muss, weil es einen so großen Kulturbruch darstellt, so polarisierend ist, aus der Bevölkerung heraus mehrheitsfähig werden, nicht aus den Parteien heraus. Ich setze auf eine Volksabstimmung.

Die Linke: Von der Gründung bis zur Zerreißprobe

Welche Argumente gegen das Grundeinkommen begegnen Ihnen am häufigsten?
Zuerst: Wer macht dann die Toiletten sauber? Das sagen häufig die Leute, die weder zu Hause noch auf der Arbeit damit zu tun haben. Dabei gibt es schon, wie auf Autobahnraststätten erprobt, tolle Maschinen, die Klos reinigen können. Dann wird gefragt, wer die schwierigen Jobs in der Pflege übernehmen soll. Die sollen und dürfen natürlich keine Automaten übernehmen. Meine Antwort ist: Bessere Bezahlung, kürzere Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen verbessern.

Kann das Grundeinkommen auch über Generationen funktionieren? Werden wir nicht eines Tages die Verfestigung einer Transfermentalität erleben?
Die Lösung ist eine gerechte Aufteilung der Erwerbsarbeit zwischen denen, die derzeit gar nichts haben und denen, die überarbeitet sind. Das kann man aber nicht über die Daumenschraube Existenzangst lösen, sondern muss es mit Bildungspolitik angehen. Ob Menschen Lust auf sinnvolle Arbeit haben, wird doch schon im Schulalter festgelegt.

Wie sich Kipping von Gysi und Lafontaine emanzipieren will

Seit Anfang Juni 2012 führt Katja Kipping die Linke. Sie weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist.
Seit Anfang Juni 2012 führt Katja Kipping die Linke. Sie weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist.

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Wie gefährdet ist das Projekt Linkspartei?
Wir haben nach Göttingen den Negativtrend in den Umfragen gestoppt. Das Projekt an sich ist nicht gefährdet, auch wenn die jüngsten Wahlergebnisse uns nicht glücklich machen.

Wie wollen Sie sich von den alten Herren Gysi und Lafontaine emanzipieren?
Da ich nie ein politisches Ziehkind von einem der beiden war, habe ich auch kein Abgrenzungsbedürfnis, sondern freue mich, dass die beiden mit und für die Linke unterwegs sind. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi stehen beide mit ihrem Gesicht für die Linke. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass sie sich produktiv einbringen. Es würde mir Sorgen bereiten, wenn die beiden noch einmal so aufeinanderprallen würden wie in Göttingen.

Warum sind in Ihrer Partei Enthusiasmus und Aufbruch abhanden gekommen?
Ich denke, es gibt bei uns noch genügend Enthusiasmus. Hermann Hesse hat geschrieben: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der ihn schützt. Diese poetische Feststellung trifft auch auf Parteien zu. Erst der Zauber der Neugründung, dann die Mühen der Ebene. Das sieht man gerade bei den Piraten.

Macht Sie deren Erfolg neidisch?
Dort gibt es die ersten Zerfallserscheinungen. Ich werde mich am 2. August mit dem Vorsitzenden Bernd Schlömer treffen – und öffentlich diskutieren, ob unser politisches Betriebssystem ein Update braucht. Oder ob, wie ich meine, ein Wechsel des Betriebssystems nötig ist.

Wetteifert die Linke mit den Piraten um die Rolle der Protestpartei?
Ich würde es anders ausdrücken: Ich sehe bei den Piraten viele sympathische Forderungen und Methoden. Ihr Problem ist, sie verneinen, dass es politisch ein Links-Rechts-Schema in dieser Gesellschaft gibt. Das ist antiaufklärerisch, denn es gibt doch immer noch unterschiedliche ökonomische Interessen. Das erzeugt dann auch Widersprüche wie den, dass sie gegen höhere Steuern für Reiche sind und gleichzeitig einen kostenlosen Bus- und Bahnverkehr wollen.

Ist das Gespräch mit Schlömer Ihr erstes Treffen mit einem anderen Parteichef?
Wenn man von der Runde der Parteivorsitzenden zum Fiskalpakt im Kanzleramt absieht, ja.

Warum tut sich zwischen Linken und SPD nichts mehr? Die rot-rot-grünen Zirkel sind zum Sektenprogramm geworden.
Das stimmt nicht. Unser Institut Solidarische Moderne lebt und im September, wenn in der Summer Factory über Europa debattiert wird, werde ich dabei sein. Für Rot-Rot-Grün gibt es aber eine gewisse Ernüchterung, weil die SPD sich in so vielen Ländern anders entschieden hat. Und natürlich wird das Crossover, über die Parteigrenzen hinweg zu handeln, nicht leichter, wenn die Konkurrenz uns sogar die Existenzberechtigung abspricht.

Die Strategie der SPD, die Linke in den Ländern rauszudrängen und im Bund überflüssig zu machen, scheint aufzugehen, oder?
Das könnte aber zu einem Problem für die SPD selbst werden. Sie legt sich damit auf Dauer auf eine große Koalition fest. Für einen Politikwechsel wäre unser aller politische Praxis nötig, die ökologische, die soziale und – dafür stehen wir – die konzernferne.

Warum Kipping Rosa Luxemburg gegenüber Willy Brandt bevorzugt

Seit Anfang Juni 2012 führt Katja Kipping die Linke. Sie weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist.
Seit Anfang Juni 2012 führt Katja Kipping die Linke. Sie weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist.

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Ist die Außenseiterrolle der Linken notwendig für ihren Erfolg?
Die Rolle wählen wir nicht selbst. Beim Fiskalpakt wäre es uns lieber gewesen, kein Alleinstellungsmerkmal zu haben und die Zweidrittelmehrheit dafür zu verhindern.

Hat Ihre Opposition gegen den Fiskalpakt jetzt, da sie nach Karlsruhe gehen, nicht einen dicken Schönheitsfehler? Souveränität als Argument riecht ein wenig deutschnational.
Es geht ja nicht um das deutsche Volk, sondern um das europäische. Wir setzen den Verhandlungen zwischen ein paar Regierungschefs die Idee des europäischen Demos und dessen Souveränität entgegen. Das ist übrigens auch eine Frage der Legitimation der EU. Man muss die soziale Dimension Europas endlich stärken. Gerade geschieht aber das Gegenteil.

Was bedeuten Ihnen Träume in der Politik?
Manchmal genügt es schon, keine Albträume zu haben. Doch, Träume sind wichtig. Gerade in meinem Fach, der Sozialpolitik, braucht man so etwas wie ein überschießendes Moment, die Vorstellung von einer möglichen anderen Gesellschaft, um im Hamsterrad nicht den Überblick zu verlieren. Sonst ist man 24 Stunden nur mit Abwehrkämpfen beschäftigt. Wenn ich mich für einen Weihnachtszuschuss für die Ärmsten einsetze und im Bundestag auf eine Front der Ablehnung treffe, brauche ich eine Vorstellung davon, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen könnte.

Eine, die Sie fertig aus der Schublade ziehen, wenn es so weit ist?
Ach, Schublade, heute geht es doch eher um Files auf dem Laptop, die man öffnet! Aber im Ernst, ich habe mit zwölf Jahren die Wende erlebt, einen Umbruch, den man bis kurz zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Auch die Gründung der Linken war so nicht planbar. Nehmen Sie die Bankenrettung, da war – auch wenn das in eine Richtung ging, die ich mir nicht wünsche – auf einmal unglaublich viel möglich.

Sie haben einmal in Berlin mit der großen alten Dame der italienischen Linken, Rossana Rossanda, diskutiert, sie richtig ausgefragt. Was haben Sie von ihr gelernt?
Sie hat damals etwas sehr Schönes gesagt: no leaderismo. Führertum, das sei ein Konzept der Rechten, es sollte keines von Linken sein.

Und hier in Ihrem Arbeitszimmer, dem früheren Büro von Klaus Ernst, haben Sie Willy Brandt ab- und Rosa Luxemburg aufgehängt. Was sagt uns das?
Nichts gegen Willy Brandt. Ich finde die Pop-Art-Luxemburg einfach schöner. Aber es gab hier im Karl-Liebknecht-Haus an den Wänden auch einen Männerüberhang.

Ihre roten Haare sind auch ein politisches Statement?
Eher ein ästhetisches. Die Farbe darunter ist ziemlich langweilig. Und ich trage dieses Rot schon länger als mein Parteibuch. Ich ging noch zur Schule und auf einer Party haben wir uns aus Jux die Haare gefärbt, den Farbton passend zum Rotwein. Ich hatte damals eine tolle Englisch-Lehrerin. Als sie uns am nächsten Tag sah, stellte sie sofort ihr Programm um und ließ uns auf Englisch diskutieren, ob Haarefärben ökologisch korrekt sei.

Mit Erfolg?
Teilerfolg. Es gibt ja inzwischen ökologisch ausgerichtete Kosmetikfirmen.

Frau Kipping, wie ersparen Ihnen die Dauer-Gretchenfrage, wie Sie das denn alles schaffen, so als junge Mutter. Erlauben Sie uns eine andere typische Frauenfrage: Was macht das Vorsitzende-Sein mit Ihrem Kleiderschrank?
Gegen die Frage habe ich gar nichts. Es wird jedenfalls schwieriger mit dem Kleiderschrank. Frauen haben im Grunde nur die Wahl zwischen Girlie und dem klassischen Bürolook.

Das Gespräch führten Andrea Dernbach und Matthias Meisner.

Wer ist Katja Kipping?

Die Pionierin

Katja Kipping wurde am 18. Januar 1978 in Dresden geboren. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Ökonom bei Robotron. Als Schülerin war sie bei den Jungen Pionieren. Sie stand an der Schwelle zur Pubertät, als 1989 die Mauer fiel.

Die Engagierte

Nach der Wende engagierte sich die Schülerin Kipping politisch: Jugendverein Roter Baum, Umweltgruppe Platsch, Schülersprecherin. Mit 20 trat sie in die PDS ein, ein Jahr später wurde sie in den sächsischen Landtag gewählt, mit 27 Bundestagsabgeordnete, mit 29 Vizevorsitzende der Linkspartei.

Die Mutter

Im November kam ihr Töchterchen zur Welt. Die Erziehung will sie sich fifty-fifty teilen mit ihrem Mann, einem Politikwissenschaftler an der Universität Bremen.

Die Vorsitzende

Anfang Juni wurde Katja Kipping in Göttingen zur Linken-Chefin gewählt. Ihr „dritter Weg“ mit einer weiblichen Doppelspitze scheiterte. Zum Führungsduo gehört nun Bernd Riexinger, ein Gewerkschaftsfunktionär aus Stuttgart.

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