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Arabische Revolution: Mit Cola gegen Tränengas

SPD-Chef Sigmar Gabriel trifft in Berlin Protest-Aktivisten aus der arabischen Welt und will dabei vor allem zuhören. Das ist gut, denn so erfährt er, dass die Arabische Revolution Unterstützung von oben bekam. 

Die Absolution erhält Sigmar Gabriel von einem, der an der Spitze der Proteste in Ägypten stand. Der SPD-Chef hatte gerade eingeräumt, dass er von den Umstürzen in der arabischen Welt "unglaublich überrascht" gewesen sei, davon, dass die Menschen auf die Straße gegangen seien, Leib und Seele riskiert und Diktaturen „weggefegt“ hätten. Er sei oft in der Region unterwegs gewesen, „aber ich hätte nie gedacht, dass die Menschen dort eine Demokratiebewegung starten“, sagt Gabriel. Ziyad El-Alimi, der mit zu den ersten Protesten in Ägypten am 25. Januar aufgerufen hatte, ging es aber genauso: "Herr Gabriel, Sie waren nicht alleine. Auch wir dachten, dass sich die Menschen nicht bewegen würden."

Aber die Menschen haben sich bewegt, und sie tun es noch immer. In Tunesien und Ägypten haben sie die seit Jahrzehnten herrschenden Machthaber aus den Ämtern getrieben, in Syrien und im Jemen gehen sie für einen politischen Wandel auf die Straße, in Libyen sind die Proteste gar in einen Bürgerkrieg ausgeartet, in den die Nato militärisch eingreift. Die Courage, mit der die Demonstranten dabei der brutalen Repression der Sicherheitskräfte die Stirn boten und bieten, scheint viele der Aktivisten selbst zu überraschen.

Vier von ihnen, aus Ägypten und Tunesien, und einen Experten aus dem Jemen hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung am Dienstagabend in die Berliner Kalkscheune eingeladen, um über die mutige arabische Jugend, den Wandel hin zur Demokratie und die Rolle von Facebook und Co. bei den Protesten zu diskutieren. Gabriel und er selbst wollten dabei "mehr zuhören als selber reden", hatte Peter Struck angekündigt, Vorsitzender der Stiftung und einst SPD-Fraktionsführer im Bundestag. Und der SPD-Chef hält sich an die Vorgabe, lehnt sich in seinen roten Sessel zurück und lauscht die meiste Zeit den Ausführungen der Gäste, die beinahe noch atemlos von den Vorgängen der vergangenen Monate berichten.

Mit Pepsi gegen Tränengas

Nur eine Demonstration geben El-Alimi und eine Handvoll Mitstreiter für den 25. Januar in Kairo bekannt, um die Sicherheitskräfte abzulenken und Raum zu schaffen für weitere Demonstrationen am gleichen Tag. "Wir dachten, vielleicht schließen sich ein paar Leute an", erzählt der Anwalt. Dann werden aus dutzenden Demonstranten hunderte, schließlich 10 000 Demonstranten, denen sich 10 000 weitere eines zweiten Protestzugs anschließen. "Dafür waren wir gar nicht vorbereitet", sagt El-Alimi.

Vorbereitetet waren die Demonstranten aber auf das Eingreifen der Sicherheitskräfte. Über Internet verbreiteten die Aktivisten Tipps, wie man sich vor Tränengas schützen kann – mit Taschentüchern, Essig, Zwiebeln und Pepsi, um die Augen auszuwaschen. Die Tipps machten offenbar sehr schnell die Runde: "All das haben uns die Leute von den Balkonen zugeschmissen, alles was wir brauchten", erzählt El-Alimi, als staune er noch heute über die Unterstützung aus den oberen Stockwerken.

Aus Journalisten werden Demonstranten

Die Journalistin Nesma Tellema staunt darüber, dass die Proteste ausgerechnet am 25. Januar begannen. Denn das sei schließlich in Ägypten der "Tag der Polizei", ein Feiertag. "Wir wussten nicht, ob das ein Witz ist", sagte Tellema über den Aufruf auf Facebook. "Kann man an diesem Tag überhaupt eine Revolution machen?" Zunächst über Facebook verfolgt die Journalistin die Ereignisse, sie bekommt mit, dass viele Menschen dem Demonstrationsaufruf folgen, dass Demonstranten Sperrzäune durchbrechen. Etwas Großes ist im Gange, merkt Tellema und geht ebenfalls auf die Straße. Eigentlich um zu berichten – bis sie plötzlich merkt, dass sie keine distanzierte Berichterstatterin mehr ist, sondern dazu gehört. "Viele Journalisten, die über die Proteste berichten wollten, sind Teil der Proteste geworden", sagte Tellema.

Angesteckt durch das Internet?  Der Aufruf zu Demonstrationen in Ägypten wurde auf der Facebook-Seite "Wir sind alle Khaled Said" veröffentlicht, die aus Protest gegen den Tod eines jungen Bloggers eingerichtet worden war, der in Alexandria auf offener Straße von Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Auch in anderen arabischen Staaten wurde im Internet zu Protesten aufgerufen. In Tunesien wurde das im Dezember ins Internet gestellte Video der Selbstverbrennung eines Händlers aus Protest gegen Polizeiwillkür zur Initialzündung der Unruhen. Ist die Revolution in der arabischen Welt also eine Facebook-Revolution, wie immer wieder behauptet wird?

Botschaften von Mund zu Mund

Der tunesische Internetaktivist Amine Sami Ben Sassi sagt, ohne das Internet, ohne Facebook und Twitter, wäre die Protestbewegung nie von den ländlichen Gebieten seiner Heimat in die Städte gelangt. Schon zwei Jahre zuvor habe es ähnliche Proteste gegeben, die aber wegen der fehlenden Verbreitung keine Durchschlagskraft entfaltet hätten. Ja, Facebook sei schon wichtig gewesen, sagt die ägyptische Journalisten Tellema. Aber als die Behörden die Internet-Verbindungen gekappt hätten, seien die Proteste weitergegangen. "Dann gingen die Botschaften von Mund zu Mund, man hat den Nachbarn eben gesagt: morgen ist eine Demonstration."

Die Friedrich-Ebert-Stiftung jedenfalls will an dem Abend in der Kalkscheune auf die moderne Internetkommunikation nicht verzichten. Per Livestream wird die Podiumsdiskussion übertragen, im Chat können Zuschauer Fragen stellen, auch wenn am Ende nur eine davon weitergereicht wird. 2500 Zuschauer hätten der Podiumsdiskussion über Internet gefolgt, heißt es am Ende des Abends, davon auch einige in Tunis und Kairo. Aus der ägyptischen Hauptstadt kommen indes Klagen über die Qualität der Übertragung – anscheinend ist dort die Verbindung zu langsam.

Fabian Schlüter

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