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Netzausbau: Lange Leitungen

Fast 4000 Kilometer neue Hochspannungstrassen werden für den Ökostrom gebraucht – und treffen auf Widerstand. Eine Lösung bietet die Beteiligung der Bürger am Gewinn.

Wer auf der Autobahn von Berlin nach Hamburg fährt, dem bietet sich kurz hinter der Ausfahrt Zarrentin ein bizarrer Anblick. Unweit der Fahrbahn baumeln lose Kabel von einem 50 Meter hohen Mast einer Hochspannungsleitung frei in der Luft, gerade so, als hätte ein Riese die weiteren Masten ausgerissen.

Die tote Leitung mitten in der Landschaft ist das markante Symbol einer Misere, die für den weiteren Verlauf der Energiewende das größte Risiko birgt: Die Produktion von immer mehr Strom aus Windkraft und Biogas muss zu erheblichen Teilen in Norddeutschland erfolgen, weit weg von den Verbrauchszentren im Westen und Süden. Aber dafür mangelt es an Transportleitungen, weil diese bisher vornehmlich auf den Betrieb der Großkraftwerke zugeschnitten sind. Der notwendige Leitungsneubau ist jedoch teuer und langwierig.

Schon im August 2009 beschloss der Bundestag daher das „Energieanlagenausbaugesetz“ (EnLAG), um wenigstens für die 24 dringendsten Projekte den Bedarf gesetzlich festzuschreiben und damit das Planungsverfahren zu verkürzen (siehe Karte). Doch geholfen hat das wenig. Von den damals als vordringlich festgestellten 1800 Kilometern neuer Stromautobahnen sind bisher gerade mal knapp 220 Kilometer gebaut. Zwölf der 24 Projekte sind ein bis vier Jahre im Verzug.

So auch die im Nichts endende Trasse bei Zarrentin. Sie soll zwischen Schwerin und Hamburg als „Windsammelschiene“ dienen, um den ostdeutschen Windstrom in das westdeutsche Netz zu bringen. Bereits 2003 beantragte der damalige Netzbetreiber Vattenfall den Bau bei den Landesregierungen in Schwerin und Kiel. Fünf Jahre dauerte die Planfeststellung auf der mecklenburgischen Seite, aber dann wurde zügig gebaut. Im Juni 2010 war die Leitung fertig – jedoch nur bis zur Landesgrenze. Denn die zuständige Straßenbaubehörde in Kiel ließ sich Zeit. Eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung im Naturschutzrecht erforderte dann ein erneutes Verfahren, und so fehlen noch immer 19 Kilometer bis zum Umspannwerk am stillgelegten Akw Krümmel. Erst Ende April soll nun die Genehmigung kommen, und frühestens Ende des Jahres kann die Leitung in Betrieb gehen. Gleichzeitig fehlen auch der geplanten Leitung nach Bayern noch immer mehr als 100 Kilometer, weil in Thüringen der Widerstand der Bürger Neuplanungen erforderte.

Für die Netzbetreiber 50Hertz (ehemals Vattenfall) und Tennet (früher Eon-Netz) hat das drastische Folgen. Bisher verfügen sie nur über drei Verbindungen, die zusammen rund 5000 Megawatt Leistung transportieren können. Bei starkem Wind produzieren die Turbinen im Osten aber 10 000 Megawatt und mehr, die dort neben dem gleichzeitig produzierten Kohlestrom häufig nicht verbraucht werden können. Dann bleibt den Ingenieuren in den Leitwarten nichts anderes übrig, als Kohlekraftwerke auf der Ostseite der Stromgrenze zu drosseln und deren vorab im Westen verkaufte Strommengen bei dortigen Kraftwerken erneut einzukaufen. Dieser „Redisptach“ wurde vergangenes Jahr im Schnitt an jedem dritten Tag notwendig. An 45 Tagen reichte auch das nicht mehr, um den Windstrom zu verarbeiten, und die Netzwächter mussten einige Windparks vom Netz nehmen. All das kostete allein 2011 mehr als 100 Millionen Euro, die später über die Netzentgelte von den Verbrauchern bezahlt werden müssen – nach Meinung von Hans-Peter Erbring, dem Systemchef bei 50Hertz, eine „furchtbare Verschwendung“ und „schon fast die Hälfte der Kosten für die Leitung nach Hamburg“ (siehe Grafik).

Dabei sind die EnLAG-Projekte erst der Anfang. Der „Netzentwicklungsplan“, den die Bundesnetzagentur zurzeit erarbeiten lässt, wird wegen der geplanten Errichtung zahlreicher Windkraftwerke auf dem Meer vermutlich noch einmal Bedarf für rund 2000 Kilometer Leitungsbau feststellen. Bis 2022, so kalkulierte die Behörde, werde das mindestens drei Milliarden Euro jährlich kosten. Ob das gegen den Widerstand der betroffenen Bürger erreichbar ist, scheint ungewiss. Für die Investoren wird der Ausbau dagegen ein blendendes Geschäft. Ihnen winken neun Prozent Eigenkapitalrendite, und das gesetzlich garantiert.

Eben das könnte aber auch der Schlüssel sein, um die Bürger zu gewinnen. Das jedenfalls wollen die Gründer der Firma ARGE Netz, in der sich 200 Windparkbetreiber in Schleswig-Holstein zusammengeschlossen haben. Um die schnell wachsende Menge an Windstrom zu transportieren, wird eine 190 Kilometer lange Trasse von Dänemark bis Niedersachsen entlang der Westküste dringend gebraucht. Geht es nach den Plänen von Geschäftsführer Martin Grundmann und seinen Mitstreitern, dann soll die Trasse der erste Baustein für ein „Bürgernetz“ werden. So wie bisher schon bei den vielen Windparks im Land sollen Bürger und Gemeinden vor Ort sich auch am Stromnetz beteiligen können und so die nötigen 80 Millionen Euro Eigenkapital aufbringen. Das könnte, sagt Grundmann, „der Einstieg in eine vierte Säule der Altersversorgung sein“.

Diesen Plan hat sich auch die Führung des Netzunternehmens Tennet zu eigen gemacht. Bisher sei es leider so, dass die Menschen in den betroffenen Regionen nur die Nachteile des Leitungsbaus wie etwa ein verändertes Landschaftsbild ertragen müssten, sagt Christian Schneller, Manager bei Tennet. Die Wertschöpfung dagegen finde nicht vor Ort statt und bringe auch keine Jobs. Daran ändere auch die frühe Beteiligung bei der Planung wenig. Gelinge es dagegen, die Bürger als Anleger zu gewinnen, „dann bekommen wir Partizipation im wörtlichen Sinn“, erhofft sich Schneller. Gemeinsam mit den Initiatoren will das Unternehmen darum eine „Bürgernetz-Gesellschaft“ ins Leben rufen und ab August „mit einer Vielzahl von Veranstaltungen“ für den Kauf von Anteilsscheinen werben. Der eigentliche Bau werde dann nur ein paar Monate dauern. Und wenn es gut laufe, könne das Projekt bundesweit Schule machen. Vielleicht, sagt Schneller, bekommt der Netzausbau dann „einen sozialistischen Zug, im positiven Sinn“.

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