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Anhänger des bewaffneten Flügels der Hamas betrauern einen Toten.

© rtr

Palästinensischer Chefunterhändler Erekat: "Warum sollte Hamas keinen Frieden wollen?"

Saeb Erekat, Chefunterhändler in Friedensfragen mit Israel, glaubt nicht, dass Premier Benjamin Netanjahu eine Zweistaaten-Lösung will. Die radikalen Islamisten dagegen hält er durchaus für zum Frieden fähig.

Herr Erekat, im Westjordanland sind drei israelische Jugendliche entführt worden. Was kann die palästinensische Autonomiebehörde tun, um die Schüler zu finden?
Präsident Mahmud Abbas hat mit Israels Premier Benjamin Netanjahu über die Entführung gesprochen. Und er versprach ihm, mit den israelischen Sicherheitsbehörden zu kooperieren, um die Jugendlichen zu finden. Aber man darf nicht vergessen: Seit die Schüler verschwunden sind, haben sechs Palästinenser bei Zwischenfällen ihr Leben verloren. Wir haben die Entführung verurteilt und Netanjahu aufgefordert, das Gleiche im Fall der Toten im Westjordanland zu tun.

Und?
Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil. Der Premier nutzt die Entführung als Vorwand, um brutal gegen die Bevölkerung vorzugehen. Die israelische Armee bestraft die Menschen in Hebron, Nablus und Jericho kollektiv. Und der Westen drückt einfach alle Augen zu, wenn sich Israel über das Gesetz stellt.

Israels Regierung setzt nun mal alles daran, die Schüler zu finden, und Sie halten das für eine Überreaktion?
Auf jeden Fall! Sie können doch nicht jeden im Westjordanland für das Kidnapping verantwortlich machen. Die Leute wollen nur zur Arbeit, ihr Leben leben. Wenn Israel so brutal vorgeht, bringt das die Jugendlichen auch nicht wieder zurück.

Israel macht die islamistische Hamas für ihr Verschwinden verantwortlich. Wer steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Kidnapping?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.

Mal angenommen, die Hamas hat das Verbrechen begangen – wäre das ein Grund für Abbas, die gerade gebildete Einheitsregierung aufzukündigen?

Saeb Erekat (59) ist seit Jahren Chefunterhändler der Palästinenser bei den Friedensverhandlungen mit Israel. Der Fatah-Politiker wurde in Jerusalem geboren und studierte in den USA.
Saeb Erekat (59) ist seit Jahren Chefunterhändler der Palästinenser bei den Friedensverhandlungen mit Israel. Der Fatah-Politiker wurde in Jerusalem geboren und studierte in den USA.

© Mike Wolff

Das ist eine theoretische und damit spekulative Frage. Noch haben wir keinerlei Erkenntnisse über die Hintermänner. Wir klagen keine Menschen ohne Beweise an. Das macht nur Netanjahu.

Viele Beobachter glauben nicht daran, dass die Aussöhnung zwischen Ihrer Fatah und der Hamas Bestand haben wird. Was antworten Sie diesen Skeptikern?
Dass die Hamas eine von vielen palästinensischen Parteien ist. Wenn ich mit den Israelis verhandele, lautet eine meiner Fragen stets: Was wollt Ihr mit Gaza machen?

Dort herrschen die Islamisten seit 2007…

Dann gibt es von Israel keine Antwort. Dabei ist doch klar, dass es eine Lösung des Nahostkonflikts nur geben kann, wenn Gaza mit einbezogen wird. Und dazu gehört eben auch, die Hamas davon zu überzeugen, dass über eine gemeinsame palästinensische Führung bei demokratischen Wahlen abgestimmt werden muss. Die Islamisten müssen einsehen: Kugeln und Bomben führen zu keinen eigenen Staat. Und da sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Hamas will alle Forderungen nach einer friedlichen Lösung erfüllen.

Dennoch werden von Gaza aus weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert. Ziel der Islamisten bleibt es offenbar, den jüdischen Staat zu vernichten. Kein Wunder, dass Israel Verhandlungen mit der Einheitsregierung ablehnt, oder?
Das ist doch nur ein vorgeschobenes Argument. Israel verhandelt nicht mit einer Partei, sondern mit den Vertretern der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Und die repräsentiert das ganze Volk. Dazu hat sich auch die Hamas bekannt, einschließlich einer Lösung des Nahostkonflikts durch Verhandlungen.

Glauben Sie ernsthaft, dass die Hamas den bewaffneten Kampf gegen Israel einstellt?

Warum sollten Sie nicht? Es gab ja in der Vergangenheit schon mehrfach Vereinbarungen zwischen Hamas und Israel, zum Beispiel, um eine Waffenruhe zu erzielen.

Die blieben ebenso ergebnislos wie jetzt die Nahost-Friedensgespräche unter der Vermittlung der USA. Woran sind die jüngsten Verhandlungen gescheitert?
Netanjahu will einfach nicht akzeptieren, dass es Frieden nur geben kann, wenn eine Zweistaatenlösung auf den Grenzen von 1967 beruht. Und deshalb unterminiert er die Gespräche gezielt durch den rapiden Ausbau jüdischer Siedlungen. Damit wird die Grundlage für einen eigenständigen, lebensfähigen palästinensischen Staat zerstört.

Die Schuld für das vorläufige Ende der Gespräche trägt Israel?

Ich verhandele seit mehr als 20 Jahren und versichere Ihnen: Mir ist allein an Frieden gelegen. Daran, Leben zu retten – palästinensische wie israelische. Das will auch die Führung um Abbas will. Leider gilt das nicht für die israelische Seite. Dort haben jene das Sagen, die gegen eine einvernehmliche Lösung sind.

Sie unterstellen Israel, keinen Frieden zu wollen?
Viele Menschen in Israel wollen den Frieden genau so wie die meisten Palästinenser. Aber es gibt tatsächlich einige auf beiden Seiten, die anders denken. So lange wir uns von diesen Menschen das Handeln diktieren lassen, wird es keinen Frieden geben. Das ist offenbar Benjamin Netanjahus Problem.

Gibt es unter diesen Bedingungen überhaupt noch Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf! Israel hat drei Optionen. Die erste und beste für alle: eine Zweistaatenlösung auf der Basis der Grenzen von 1967. Das würde eine vernünftige Einigung über Flüchtlinge und den Status von Jerusalem einschließen. Die zweite Option ist die Einstaatlösung: Palästinenser und Israelis leben gemeinsam in einem Land mit den gleichen Rechten. Doch das will die Regierung Netanjahu nicht, mit dem Hinweis, eine derartige Regelung würde den jüdischen Charakter des Staates infrage stellen.

Und die dritte Möglichkeit?
Alles bleibt, wie es ist.

Das heißt?
Israel hält die Besatzung aufrecht und entwickelt sich weiter zu einem Apartheidstaat. Doch das kann einfach nicht in seinem Interesse sein. Schauen Sie, was in der Region passiert, in Syrien, im Irak, in Libyen. Überall sind die Kräfte des Bösen auf dem Vormarsch. Aber militärische Gewalt hält keine Fanatiker und ihre Ideen auf. Der Gefahr kann man nur mithilfe der Demokratie Herr werden. Und die Araber wollen Demokratie. Sie sehnen sich danach ebenso wie nach einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern.

Dann machen Sie doch ein Angebot!
Wir fordern Netanjahu auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und als Erstes über die Grenzen zu verhandeln.

Das Gespräch führten Christian Böhme und Ruth Ciesinger

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