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Kulturkampf im Iran: Pomade für die Sittlichkeit

Erst wurden die Proteste auf den Straßen mit roher Gewalt niedergeknüppelt, jetzt will das Regime im Iran Front machen gegen die "kulturelle Invasion des Westens". Mit Folgen - nicht nur für die Haarmode.

Die Islamische Republik soll noch islamischer werden, auf allen Ebenen werden die Zügel angezogen. Ob männlicher Haarschnitt oder weibliches Kopftuch, ob Lehrbücher an Schulen oder Curricula an Universitäten, ob Filme, Bücher oder Konzerte – die allmächtigen Revolutionswächter haben ihren Kulturkampf ausgerufen gegen die verderblichen Einflüsse des Auslands. So präsentierte das iranische Kulturministerium zum „Festival für Schleier und Sittsamkeit“ neue Richtlinien für „islamisch korrekte“ Haarschnitte für Männer. Das Plakat zeigt bartlose Gesichter mit Scheitel, kurzem Haar und wuchtigen Koteletten, einige auch mit Pomade-Frisur – nie aber mit Pferdeschwänzen oder dem im Iran so populären Stachel-Look. Alle Designs seien auf „die Größe des Kinns eines typischen iranischen Mannes sowie dem Aussehen seines Nackens abgestimmt“, betonte Jaleh Khodayar, die das Festival organisierte. Die spezielle Mischung aus islamischer Tradition und modischem Schick sei geeignet, „den kulturellen Angriff des Westen auf unser Land zu parieren“. Bei jedem Coiffeur sollen die Modelle künftig hängen – neue Vorschriften für weibliche Haarmode unter dem Schleier hat sie bereits in Arbeit.

Schlecht verhüllte Frauen „sind wie Söldnerinnen der Vereinigten Staaten“, wetterte jüngst Ajatollah Ahmad Alam-al-Hoda in der Pilgermetropole Maschad. „Unsere Feinde wollen den Teppich der Religion unter den Füßen unserer Jugend wegreißen, indem sie schief sitzende Schleier verbreiten.“ Offiziell ist es Frauen verboten, Lippenstift und Nagellack zu benutzten, auch wenn der iranische Kosmetikverbrauch im Mittleren Osten der größte ist. Kopftuch und lange Kleidung sind per Gesetz vorgeschrieben, viele Frauen tragen ihre modischen Tücher jedoch demonstrativ locker, um gegen die allgegenwärtige Gängelung zu opponieren. Damit könnte bald Schluss sein. Allein in den letzten drei Monaten wurden in Teheran über 80 000 Frauen von Sittenwächtern fotografiert, registriert und verwarnt. Basij-Milizionäre beschlagnahmten hunderte von Sportwagen. Die jungen weiblichen und männlichen Insassen mussten mit aufs Revier, sich genauestens ausfragen lassen über ihre Beziehung und manche von ihnen drastische Geldstrafen zahlen.

Den Startschuss für diesen so genannten „weichen Krieg“ gegen die geistigen Wurzeln der grünen Unruhen gab im letzten Herbst der Oberste Religionsführer Ali Chamenei persönlich. Die meisten Humanwissenschaften „basieren auf materialistischen Philosophien und betrachten den Mensch als ein Tier“, erklärte er damals vor ausgesuchtem Publikum. Dadurch aber würden „Zweifel an den islamischen Prinzipien und Misstrauen gegen unsere Werte gesät“. Inzwischen haben dutzende unliebsame Professoren ihre Stellen verloren. Die Lehrpläne der Human- und Sozialwissenschaften werden durch „entschiedene Verteidiger des Islam“ ideologisch durchgeforstet. Das Geheimdienstministerium veröffentlichte eine schwarze Liste, die Akademikern den Kontakt zu 50 internationalen Stiftungen, Menschenrechtsorganisationen und Forschungsinstituten untersagt. Mehr als fünf Millionen Internetseiten seien zensiert oder gesperrt, brüsten sich die Revolutionswächter. Für das kommende Schuljahr kündigte das Erziehungsministerium an, eintausend Mullahs in den Unterricht zu schicken, damit sie nun auch die Kleinsten aufklären über „die Verschwörung der Opposition und die Mächte der Arroganz“ – die übliche Bezeichnung für westlichen Nationen. Zur Begründung hieß es, in den zurückliegenden Jahren sei es nicht gelungen, „die Ansichten der Schüler zu reformieren und zu erneuern“.

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