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Aufmarsch. Neonazis aus etlichen Staaten treffen sich unter anderem auch jedes Jahr in Schweden.

© AFP

Rechte und Neonazis: Braune Verbindungen in Europa

Die Rechtsextremisten agieren international. Im Fall der Zwickauer Neonazi-Zelle sind die Verflechtungen von besonderem Interesse. Wo die Rechten aktiv sind, zeigen Beispiele aus Europa.

Von Frank Jansen

Sie rufen „Deutschland den Deutschen“ und hassen Ausländer. Doch viele Rechtsextremisten geben sich fast schon kosmopolitisch, wenn es um Verbindungen zu „Kameraden“ in anderen Staaten geht. Da ist dann vom gemeinsamen Kampf für die „weiße Rasse“ die Rede, außerdem wird gern an die Kollaboration ausländischer Faschisten mit dem Regime der Nationalsozialisten erinnert.

So kamen jahrelang Hunderte Neonazis aus europäischen Nachbarstaaten zu den Rudolf-Heß-Märschen im bayerischen Wunsiedel. Und deutsche Rechtsextremisten fahren regelmäßig im Februar zum „Tag der Ehre“ in Budapest. Mit einem martialischen Aufmarsch erinnern da Neonazis aus mehreren Ländern an die Abwehrschlacht, die Wehrmacht und Waffen-SS im Jahr 1945 in Ungarns Hauptstadt gegen die Rote Armee geführt haben.

Zum Tag der Ehre kam 2007 auch der damalige NPD-Chef Udo Voigt und hielt vor 1000 Rechtsextremisten, darunter viele Anhänger der internationalen Skinhead-Vereinigung „Blood & Honour“, eine Ansprache.

Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist das Geflecht der braunen Internationale jetzt wieder von besonderem Interesse. Bundesanwaltschaft, Polizei und Verfassungsschutz untersuchen, ob die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ Kontakte ins Ausland unterhalten hat. Die Erkenntnisse sind bislang aber fragmentarisch.

Nach Informationen des Tagesspiegels gibt es folgende Hinweise: Im April 1998 erhielt ein mutmaßlicher Unterstützer von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe den Anruf eines sächsischen Rechtsextremisten aus der Schweiz. Es soll über die Beschaffung von Geld für die im Januar 1998 abgetauchten Neonazis und um die Eltern der drei gesprochen worden sein.

Aus der Schweiz stammte auch die Pistole der Marke Ceska, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft erschossen haben. Der Kontakt, den das Trio bei einem Urlaub auf der Insel Fehmarn zu Schweizern hatte, sei jedoch eine zufällige Ferienbekanntschaft gewesen, sagen Sicherheitskreise. Vermutungen, die drei Flüchtigen hätten sich zeitweise nach Südafrika abgesetzt, haben sich bislang nicht bestätigt.

Die Sicherheitsbehörden prüfen allerdings auch, ob Auslandsreisen von Rechtsextremisten aus dem Umfeld des NSU einen Bezug zu den Taten der Terrorgruppe aufweisen. So ist bekannt, dass der sächsische Rechtsextremist Max B. im Jahr 1999 beim „Tag der Ehre“ in Budapest war. Ein Zusammenhang mit der Hilfe, die B. dem Trio geleistet haben soll, sei bislang jedoch nicht zu erkennen, heißt es in Sicherheitskreisen.

Max B. soll 1998 seinen Personalausweis an Uwe Mundlos übergeben haben, damit dieser sich einen Reisepass auf den Namen B. ausstellen lassen konnte. Außerdem soll B. 1998 dem Trio seine Wohnung zur Verfügung gestellt haben.

Eine weitere Figur aus dem Dunstkreis der Gruppierung NSU, Maik E., soll 2005 in Schweden am jährlichen „Wretström-Marsch“ teilgenommen haben. Im Dezember treffen sich Neonazis aus mehreren Staaten nahe Stockholm, um an den schwedischen Skinhead Daniel Wretström zu erinnen, der Ende 2000 bei einer Auseinandersetzung mit Migranten starb.

Maik E. ist der Zwillingsbruder von André E., einem mutmaßlichen Unterstützer des NSU. Die Polizei nahm André E. im November auf dem Anwesen von Maik E. in Brandenburg fest. André E. wird unter anderem verdächtigt, das perfide Paulchen-Panther-Video der Terrorgruppe produziert zu haben.

Polen - die Szene wächst

Ein großes grünes Hakenkreuz zierte ausgerechnet am 1. September unversehens in Jedwabne den Gedenkstein für die dort vor 70 Jahren von Polen ermordeten Juden. Niemand will die Täter bemerkt haben, die den Gedenkstein ein paar Tage zuvor schon mit den Aufschriften „Wir entschuldigen uns nicht für Jedwabne!“ und „Sie waren leicht brennbar“ beschmierten. Die Polen hatten ihre Nachbarn im Juli 1941 bei dem Pogrom in eine Scheune gesperrt und lebendigen Leibes verbrannt. Anfang August schmierten Unbekannte „Jude raus“ und „Polen den Polen“ an die Außenwand der Synagoge des ostpolnischen Dorfes Orli.

Rechtsextreme Übergriffe in der nordostpolnischen Wojwodschaft Podlaskie – eines der wenigen Gebiete in Polen mit einem hohen Anteil nationaler Minderheiten (Tataren, Juden, Ukrainer, Weißrussen und Litauer) – machen den Ermittlern bereits seit Sommer zu schaffen. Zuerst wurden an der Grenze zu Litauen zweisprachige Ortsschilder beschmiert. Eine Gruppe namens „Falanga“ bekannte sich auf einem Gedenkstein in Punskas (polnisch: Punsk) zu den Schmierereien, doch verhaftet werden konnte niemand. Sei es, weil selbst in den litauischen Minderheitsgebieten bei der Polizei fast nur Polen arbeiten, sei es, dass die Täter hochprofessionell vorgingen. Zuvor war im nahen Krynki eine Synagoge beschmiert worden. Auch ein vereitelter Brandanschlag auf ein moslemisches Zentrum in Bialystok wurde verzeichnet. Die Polizei tappt in allen Fällen im Dunkeln. Die starke rechtsextreme Szene in Bialystok ist eng mit den Fußballhooligans des örtlichen Clubs und lokalen Halbweltgestalten verbunden.

Noch sind die rechtsextremen Übergriffe nicht tödlich, doch die Gewalt nimmt seit Jahren zu. Am Nationalfeiertag vom 11. November versammelten sich so viele Rechte wie nie zuvor zum traditionellen Gedenkmarsch – schätzungsweise 10 000 (im Vorjahr waren es noch rund 3500). Offen antisemitische Slogans wurden von den Veranstaltern, der rechtsextremen „Allpolnischen Jugend“, verboten. Dafür gelang der radikalen Avantgarde der Schulterschluss mit rechten Mainstreamparteien wie Jaroslaw Kaczynskis „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Diese wiederum hatte sich schon während des Wahlkampfs gewaltbereiten Fußballhooligans angedient. Wichtige PiS-Politiker lobten die Hooligans als „gute Patrioten“, die PiS mobilisierte sie für Kundgebungen gegen die verhasste liberale Regierung von Donald Tusk.

Wie viele polnische Rechtsradikale es gibt, ist unbekannt. Eines jedoch ist klar: Die Szene geht immer offensiver vor. Neben der antisemitischen Partei „Nationale Wiedergeburt Polens“ ist vor allem das „Nationalradikale Lager“ aktiv. Etwas moderater gibt sich die einstige Jugendorganisation „Allpolnische Jugend“ der rechtsextremen und ultra-katholischen „Polnischen Familienliga“.

Paul Flückiger

Großbritannien - Schattenexistenz im Internet

Das von Millionen gesehene Youtube-Video „My tram experience“, in dem ein Straßenbahnpassagier in Croydon den rassistischen Ausbruch einer jungen weißen Frau filmte, hat England entsetzt. Mit ihrem Baby auf dem Schoß beschimpft die Frau Polen und Schwarze und ruft: „Keiner von euch ist fucking English, Britannien ist nichts mehr!“

Als Reaktion ging eine Solidaritätswelle für das multiethnische moderne Großbritannien durch das Land. Die Frau wurde wegen Rassenhass und Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet.

Dem norwegischen Massenmörder Anders Breivik wurden auch Verbindungen zur britischen Rechtsextremisten-Szene nachgesagt. Aber während solche Gruppen sogar im traditionell liberalen Skandinavien Fuß gefasst haben, kommen sie in England über ihre Schattenexistenz im Internet kaum hinaus.

Die rechtsextreme British National Front hat so viele Mitglieder verloren, dass sie praktisch bankrott ist. Die English Defence League, die sich als „Toleranzorganisation“ gegen muslimische „Intoleranz“ positionierte und sogar Gruppen für Schwule und Schwarze hatte, hat seit Oslo den Großteil ihrer Internetgefolgschaft verloren. Von rechtsextremem Terror kann in Großbritannien keine Rede sein. Verantwortlich dafür ist unter anderem das Wahlsystem, das Splitterparteien kaum Chancen lässt.

Aber alle Parteien sprechen sich auch mehr oder weniger deutlich für eine Immigrationsbremse aus, selbst Einwanderer und deren Nachkommen sehen das ähnlich. Denn Großbritannien wächst am schnellsten in Europa.

Eine Volksinitiative für eine Begrenzung der Bevölkerung auf 70 Millionen erreichte diese Woche 100 000 Unterschriften. Sie muss nun im Unterhaus debattiert werden.

Matthias Thibaut

Spanien - populistische Töne nehmen zu

Dani Alves weiß, wovon er spricht: Wenn der dunkelhäutige Rechtsaußen des spanischen Spitzenklubs FC Barcelona aufs Spielfeld läuft, schallt ihm öfter der Schmähruf „Affe“ entgegen. Es gebe „viel Rassismus in Spanien“, beklagte sich einmal der brasilianische Fußballstar. Das sei für ihn und seine Familie „traurig“, aber er habe sich daran gewöhnt.

Untersuchungen zufolge nehmen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit im Tourismusland Spanien, in dem Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not wachsen, seit Jahren zu. „Dieser Anstieg wurde angefacht durch die Politiker“, beklagt die Menschenrechtsbewegung „SOS Racismo“ in ihrem jüngsten Bericht. „Es setzt sich immer mehr die Mentalität durch: Wenn es nicht für alle reicht, dann zunächst für die Spanier.“

Populistische Töne nehmen zu: Voran marschiert die große konservative Volkspartei, welche gerade haushoch die Wahl gewann und die neue Regierung stellt: „Die Kapazität Spaniens, Einwanderer aufzunehmen, ist begrenzt“, warnte schon vor geraumer Zeit Spaniens heutiger Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Vier von zehn Spaniern seien dafür, arbeitslose Einwanderer abzuschieben, konstatiert die staatliche „Kommission gegen Rassismus“. Eine große Mehrheit sei zudem der Meinung, dass die Zahl der Ausländer „exzessiv“ sei. „Die Spanier denken, dass die Immigranten das soziale System missbrauchen. Und dass diese mehr vom Staat kassieren, als sie zum Gemeinwohl beitragen.“ Auch wenn dies wenig mit der Wirklichkeit zu tun habe.

Rechtsradikale Parteien haben trotzdem in Spanien nicht Fuß fassen können. Auch von rechtem Terror blieb Spanien in den vergangenen Jahren verschont. Wohl aber gibt es mit unschöner Regelmäßigkeit Berichte über rassistisch motivierte Gewalttaten gegenüber afrikanischen Einwanderern.

In den vergangenen zehn Jahren hat kein europäisches Land so viele Einwanderer aufgenommen wie Spanien, das lange als Immigrationsparadies galt. Bis zu eine Million Menschen kamen früher pro Jahr ins Land. Jetzt ist der Ausländeranteil in Spanien mit mehr als zwölf Prozent annähernd doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt.

Ralph Schulze

Frankreich - Die Nationale Front hat großes Potenzial

Gegen Jean-Marie Le Pen, den Gründer und langjährigen Vorsitzenden der Nationalen Front, und seine Partei wurden viele Prozesse geführt. Wegen Beleidigung, Diskriminierung, Rassenhetze oder Leugnung des Holocaust. Er verlor sie alle. Die Forderung nach einem Verbot der Partei wird immer laut, wenn es rechtsextremistische Übergriffe gibt, deren Täter mit der Nationalen Front in irgendeinem Zusammenhang stehen.

So hatten 1995 drei Skinheads am Rande einer Mai-Demonstration des Front National (FN) in Paris den jungen Marokkaner Brahim Bouarrou in die Seine gestoßen, wo er ertrank. Eine Petition der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ zum Verbot des FN fand damals mehr als 170 000 Unterschriften. Martine Aubry, die heutige Chefin der Sozialisten, setzte sich für ein Gesetz ein, das die Bedingungen für das Verbot von Parteien festlegt, die die Prinzipien der Republik nicht achten.

Eines besonderen Verbotsgesetzes bedürfte es freilich nicht. Als Rechtsgrundlage würden nach Ansicht von Juristen der Artikel 11 der Erklärung der Menschenrechte von 1789 – sie hat Verfassungsrang – und das Gesetz von 1936 genügen, nach dem der Präsident der Republik Organisationen auflösen kann, die zum Hass gegen Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Nation oder Religion aufrufen.

Dass es zu keinem Verbot kam, hat mehrere Gründe. Überlegungen der Opportunität spielen dabei eine große Rolle. Denn mit einem Verbot der Partei würden ihre Sympathisanten nicht von der Bildfläche verschwinden. Laut Umfragen kann Marine Le Pen, die Tochter des FN-Gründers, bei den Präsidentschaftswahlen 2012 mit bis zu 18 Prozent der Stimmen rechnen.

Die neue FN-Chefin unternimmt derzeit Anstrengungen, die Partei „respektabel“ zu machen. So soll etwa die Anwesenheit von Skinheads bei Kundgebungen nicht mehr geduldet werden. Unabhängig davon sehen sich die Sicherheitsbehörden seit den Attentaten von Norwegen zu größter Wachsamkeit aufgerufen. Etwa 300 bis 400 Personen, die der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden, stehen laut Zeitungsberichten unter ständiger Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes DCRI. Ob es Verbindungen zum FN gibt, ist unbekannt.

Hans-Hagen Bremer

Italien - Alte und neue Faschisten

Gianluca Casseri, der 50-Jährige, der in Florenz zwei senegalesische Straßenhändler ermordet und drei verletzt hat, stand der „Casa Pound“ nahe. Das ist eine der vier Hauptkräfte des italienischen Rechtsextremismus. Die „Casa Pound“ – mit nach eigenen Angaben bis zu 4000 Anhängern in ganz Italien – nennt sich nach dem amerikanischen Dichter Ezra Pound, der bis zu seinem Tod ein Anhänger von Benito Mussolinis Faschismus war. Die Mitglieder der „Casa Pound“ selbst bezeichnen sich als „Faschisten des Dritten Jahrtausends“.

2003 mit der Besetzung eines leer stehenden Hauses in Rom gegründet – das dann von der Stadt gekauft wurde und in dem die Organisation ihr Zentrum hat –, gibt sich die „Casa Pound“ gerne als moderne, saubere, sozial engagierte, vor allem aber intellektuelle Organisation. Sie unterhält Versammlungszentren in ganz Italien, Buchhandlungen, Kneipen, ein Internetradio.

Sie sucht und findet derzeit viel Zulauf bei Studenten und Schülern. Zu ihren Jungtalenten zählt sie den Sohn des römischen Bürgermeisters. Doch es brodeln Rivalitäten im rechten Lager – vor allem zwischen der „Casa Pound“ und der „Forza Nuova“, der „Neuen Kraft“, die aus den vielfältigen Spaltungen und Umformungen der Postfaschisten übrig geblieben ist.

Die „Forza Nuova“ steht unter Führung von Roberto Fiore, der in den 80er Jahren einer Haft wegen „Bildung einer bewaffneten Bande“ durch Flucht nach Großbritannien auswich. 2008, als die Duce-Enkelin Alessandra Mussolini ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, übernahm Fiori für ein Jahr deren Sitz im Europaparlament. Die politische Allianz mit Mussolini und deren Wahlbündnis mit Silvio Berlusconi brachten es mit sich, dass Rechtsextremisten auch auf die Kandidatenlisten der Berlusconi-Koalition kamen.

Die dritte Kraft des italienischen Rechtsextremismus sind die Ultras, die radikalen Fangruppen aus den Fußballstadien. Gerade in der sozial schwierigen Peripherie der Großstädte kommt es zu einer offenbar immer stärkeren Durchdringung von Fußball-Tifosi und Rechtsextremen. Die vierte, auffällige Kraft des Rechtsextremismus ist die Neonazigruppe „Militia“.

Sie hetzt vor allem gegen Juden und „das Kapital“ und huldigt einem erzkonservativen katholischen Integralismus, scheint aber nicht viel mehr als Hundert Mitglieder zu haben.

Paul Kreiner

Schweden - Die Konsenstradition siegt

In den 90er Jahren erlebte Schweden zahlreiche ungewöhnlich brutale Attentate aus der rechten Szene. So stoppten Neonazis nach einem Bankraub die sie verfolgenden Polizisten und richteten sie mit Kopfschüssen aus nächster Nähe hin, einer der Täter war ein adoptierter Schwarzer.

Gewerkschaftler wurden ermordet, der sogenannte Lasermann erschoss wahllos Ausländer auf Stockholms Straßen, der posthum weltbekannte Krimiautor Stieg Larsson wurde für seine antifaschistische Zeitung „Expo“ verfolgt, und die abendliche Altstadt war unheilvoller Sammelpunkt der Gewaltbereiten.

Doch dann folgte ein ruhiges Jahrzehnt. „Erfreulicherweise gab es kaum spektakuläre Gewalttaten von Rechtsaußen seit den 90er Jahren“, bestätigt auch der antifaschistische „Expo“-Redakteur David Lagerlöf. Den seit dem Zweiten Weltkrieg wohlhabenden Schweden gelang es damals, frühzeitig die Wirtschaftskrise zu überwinden.

Es gibt im EU-Vergleich weniger Menschen, die nichts zu verlieren haben. Den schwedischen Grundkonsens „Lieber hohe Steuern und dafür umfassende soziale Sicherheit und Chancengleichheit für alle“ musste sogar die gegenwärtige bürgerliche Regierung übernehmen, um die jahrzehntelange Dauerherrschaft der Sozialdemokraten zu brechen.

Der auf Kompromisse, Vergebung und Reintegration getrimmten Wohlfahrtsnation gelang es zudem, mit dem inzwischen weltweit nachgeahmten Ausstiegsprojekt „Exit“ jungen Menschen aus der Szene zu helfen. Sozialarbeiter sind oft selbst Ex-Neonazis. Gerade auch in Haftanstalten wurde verurteilten Rechtsextremisten Hilfe zum oft gefährlichen Ausstieg angeboten.

Doch Experten befürchten, dass auch in Schweden eine neue Gewaltwelle bevorsteht. „Das geht immer in Wellen. Nach der Ebbe kommt die Flut und umgekehrt. Die Neonazis aus den 90ern wurden alt, kamen ins Berufsleben, gründeten Familien. Aber in Schweden formiert sich derzeit der Nachwuchs“, warnt nicht nur Lagerlöf, der schon mit Stieg Larsson an der journalistischen Erfassung der rechtsextremen Szene arbeitete.

So erfreue sich etwa die bekannteste Nachwuchsorganisation „Nationale Jugend“ Zulauf. „Wer aufgenommen werden will, muss einen Kampfsport ausüben und an armeeähnlichen Übungen teilnehmen. Auch wenn das nicht illegal ist, muss es ja einen Grund dafür geben“, sagt der „Expo“-Redakteur.

Auch der schwedische Staatsschutz „Säpo“ hat seine Überwachungsroutinen für die Rechten verschärft. Zum einen sorgte ein Heckenschütze Ende vergangenen Jahres für wochenlange Panik in Malmö, weil er scheinbar wahllos südländisch aussehende Menschen aus dem nächtlichen Hinterhalt erschoss, ähnlich dem Stockholmer Lasermann in den Neunzigern. Zudem sorgte die heftige Kritik am Totalversagen des benachbarten, norwegischen Sicherheitsdienstes, der den Utöya-Massenmörder Anders Behring Breivik anscheinend vorzeitig hätte stoppen können, für eine Sensibilisierung.

In beiden Fällen handelte es sich allerdings, nach Ansicht der Polizei, eindeutig um vereinsamte Einzeltäter mit rassistischen Ansichten und erheblichen psychischen Erkrankungen – aber ohne jeglichen Kontakt zu anderen Terrornetzwerken. „Aber das sind dennoch Warnsignale“, sagt Lagerlöf.

Zudem haben die Wahlen Ende vergangenen Jahres einen Rechtsruck mit sich gebracht. Die ehemals rechtsextremen und nun nur noch ausländerfeindlichen Schwedendemokraten (SD) kratzten in ihren südschwedischen Hochburgen teilweise an der 20-Prozent-Marke und haben mit ihrem historischen Einzug ins Parlament eine politische Zäsur in der bislang nahezu rechtspopulismusfreien schwedischen Politik geschaffen.

Aber auch hier greift bislang die schwedische Konsenstradition über Parteigrenzen hinweg erstaunlich effektiv. Bei den Reichtagswahlen erzielte die SD 5,7 Prozent und ist im Parlament eigentlich das Zünglein an der Waage. Aber die betont einwanderungsfreundlich auftretende bürgerliche Regierungskoalition aus vier Parteien lehnt eine Zusammenarbeit rigoros ab und nimmt dafür immer wieder Abstimmungsniederlagen, selbst bei wichtigen Reformen, in Kauf.

Die Medien des skandinavischen Landes können die SD seit deren Reichstagseinzug zwar nicht mehr wie früher ignorieren. Aber die Berichterstattung ist erstaunlich sachlich und sehr kritisch. Rund 25 Prozent der etwa 9,5 Millionen Schweden haben einen Migrationshintergrund. Doch trotz seiner großzügigen Einwanderungspolitik stemmt sich das Land im Norden Europas gut gegen die Rechten. Selbst der Bau von Moscheen und das Tragen von Kopftüchern spielt in der öffentlichen Debatte so gut wie keine Rolle.

André Anwar

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