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RIO + 20: Ein guter Diktator Das ist der Gipfel

Parlamente lösen langfristige Probleme nicht, weil sie gewählt werden müssen. Wir bräuchten Diktatur auf Zeit.

Die größte Herausforderung ist es, Langzeitfolgen von Entscheidungen mehr Wert beizumessen, als es heute der Fall ist. Damit meine ich Konsequenzen, die weiter in der Zukunft liegen als zehn Jahre. Wenn heute wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden, muss verglichen werden, welche Kosten welchem Nutzen gegenüberstehen. Üblicherweise liegen die Vorteile in der Zukunft und die Kosten in der Gegenwart. Diese Zukunftsgewinne werden mit einem Abzinsungsfaktor eingepreist, der vielleicht bei sieben, zehn oder 15 Prozent im Jahr liegt. Das bedeutet, dass Vorteile, die weiter als zehn Jahre in der Zukunft liegen, in einer kapitalistischen Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

Wenn man die Treibhausgasemissionen der Zukunft vermindern will, wenn man also beispielsweise in ein Elektroauto investieren möchte, weil es weniger Kohlendioxid ausstößt, wird auch in diesem Fall eine Kosten-Nutzen-Abwägung getroffen. Die Kosten des Elektroautos werden voll angerechnet, aber die Emissionsminderungen der Zukunft werden nicht einbezogen. Um Investitionen mit einer positiven ökologischen Langzeitwirkung attraktiver zu machen, müsste man die Vorteile für die Zukunft über einen längeren Zeitraum miteinberechnen. Das würde bedeuten, dass die Abzinsungsrate viel niedriger liegen müsste. Das wäre eine soziale und ökologische Kosten-Nutzen-Rechnung statt der traditionellen. Eine Möglichkeit, kapitalistische Investitionsentscheidungen mit ihren Langzeitfolgen zu verändern, wäre eine Gesetzgebung, die weit niedrigere Diskontraten vorschreiben würde.

Die Institution, die gegen die im Kapitalismus angelegte Kurzfristigkeit etwas unternehmen könnte, wäre das Parlament, also der Gesetzgeber. Er könnte entsprechende Gesetze beschließen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Parlamente das tun, ist gering. Denn die meisten Abgeordneten würden schnell erkennen, dass die Konsequenz daraus wäre, dass vieles, was sie mögen, teurer würde: Strom, Gas. Parlamentarier sind meistens nicht dafür, dass das so kommt. Denn ihre Wähler würden sie dafür verantwortlich machen. Es ist nicht einfach. Das Parlament wäre also der richtige Ort, Entscheidungen zu treffen, die auf Langfristigkeit angelegt sind. Das Problem ist aber, dass die Abgeordneten dafür nicht wiedergewählt würden. Also werden diese Entscheidungen unterlassen. Die Gesellschaft hat ein Problem, weil die Märkte den kurzfristigen Gewinn den langfristigen Folgen wirtschaftlichen Handelns vorziehen. Wenn das Parlament die Märkte regulieren will, finden die Wähler heraus, dass das kurzfristige Nachteile für sie haben könnte, und machen es so unmöglich.

Diese Erfahrung habe ich 2006 gemacht, als ich die königliche Kommission zum Klimawandel geleitet habe. Wir sollten einen Plan entwerfen, wie Norwegen bis 2050 mindestens 60 Prozent seiner Treibhausgasemissionen senken könnte. Wir haben einen 15-Punkte-Plan erarbeitet, der nur existierende Technologien enthielt und nur Entscheidungen, die das Parlament auch treffen konnte. Die Kosten dafür lagen unter einem Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Passiert ist in den vergangenen sechs Jahren nahezu nichts. Es hilft also wenig, gewählt zu werden.

Dennoch gibt es Ausnahmen. Es gibt Unternehmen, die ihre Strategie langfristig ausrichten. Und es gibt Parlamente, die in die Zukunft gerichtete Entscheidungen treffen. Eine Ausnahme war Deutschland. Das Parlament hat entschieden, dass Windräder und Solaranlagen gefördert werden sollten, obwohl die Stromerzeugung aus Wind doppelt so teuer war wie mit der billigsten Lösung Kohle und mit der Sonne mindestens zehn Mal so teuer. Ich finde das sehr interessant, was das deutsche Parlament da gemacht hat. Das ist eine Ausnahme, in der ein Parlament etwas für den langfristigen Nutzen der Gesellschaft entschieden hat. Ähnlich gibt es auch Unternehmen, die in Projekte investieren, die keinen kurzfristigen Gewinn versprechen. Zum Beispiel haben chinesische Firmen zu einer Zeit entschieden, Elektroautos zu entwickeln, in der diese weniger Profit versprachen als normale Benzinautos. Die Firmen haben darauf gesetzt, dass es in der Zukunft profitabel wird. In der Demokratie muss man also, um langfristige Probleme zu lösen, vor allem die Ausnahmen loben, bei den Parlamenten wie in der Wirtschaft. Diese Ausnahmen müssen gefeiert werden.

Eine andere Lösung wäre ein „wohlmeinender Diktator“. Das ist in Rom passiert vor etwa 2000 Jahren, als Rom einen äußeren Feind hatte und es für besser hielt für die Gesellschaft, schnelle Entscheidungen ohne lange Diskussionen zu treffen. Dafür wurde ein Diktator gewählt, da kommt das Wort auch her. Es wäre also denkbar, dass ein Parlament entscheidet, bezogen auf die Energie- und Klimapolitik einen solchen „wohlmeinenden Diktator“ zeitlich befristet zu bestimmen. Er hätte die Aufgabe, zum Vorteil der Menschen über die Klimapolitik zu bestimmen. Fünf Jahre würden dazu meines Erachtens reichen, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Wenn ich der „wohlmeinende Diktator“ wäre, würde ich versprechen, zurückzutreten. Aber das darin liegende Risiko, dass er an der Macht bleibt, ist der Hauptgrund, warum die meisten Menschen skeptisch auf die Idee reagieren.

Es gibt aber zwei interessante Praxisbeispiele: die chinesische kommunistische Partei und die Europäische Kommission. Die EU-Kommission ist genau das. Sie hat meiner Einschätzung nach in der Klima- und Energiepolitik sehr erfolgreich eingegriffen und die europäischen Staaten weiter getrieben, als sie von selbst gegangen wären. Die 20-20-20-Gesetzgebung ist ein Beispiel dafür. Die EU hat 2007 entschieden, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu senken, den Anteil erneuerbarer Energien bis dahin auf 20 Prozent zu erhöhen und die Energieeffizienz um 20 Prozent zu steigern. Die EU-Kommission ist in einigen Politikfeldern also ein „wohlmeinender Diktator“, allerdings nimmt das Europaparlament diese Macht mehr und mehr zurück, was es der EU-Kommission immer schwerer macht, das zu tun.

Interessant ist auch das Beispiel China. Die Kommunistische Partei dort hat eine Vielzahl langfristiger Entscheidungen getroffen, die künftigen Generationen nutzen werden. Sie befindet sich außerhalb demokratischer Kontrolle, und wir wissen auch nicht, ob sie ihre Macht auf längere Sicht sichern kann. Die Kommunistische Partei Chinas ist nach meiner Einschätzung ein „wohlmeinender Diktator“, der das Richtige tut, weshalb ich es nicht schlimm finde, dass die Partei sich diese Macht nimmt. Aber viele Menschen stören sich daran.

Ein Beispiel für eine langfristig nachhaltige Entscheidung ist der Ausbau des Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge. Zwar wird nebendran dann auch noch eine Straße gebaut. Aber China setzt wegen langfristiger Überlegungen nicht allein auf die Straße. Angesichts der zentralen Enscheidungsstrukturen bremsen die Landrechte einiger dort lebender Menschen nicht den Baufortschritt. Schienen und Straßen werden in einem unglaublichen Tempo gebaut, wenn auch auf Kosten derjenigen, deren Interessen nicht gehört werden. China setzt auf Windräder und Solaranlagen, wie Deutschland. Nur bauen chinesische Firmen diese Anlagen viel billiger. Und sie bauen diese Anlagen in einem Tempo aus, das selbst die Deutschen bleich werden lässt. China tut das zu einem Zeitpunkt seiner sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, an dem es höchstes ein Fünftel so reich ist wie Deutschland. China macht hunderte Papiermühlen dicht und baut stattdessen eine riesige Papierfabrik auf dem höchsten Umweltstandard. Das kann ein „wohlmeinender Diktator“ tun, wenn auch auf Kosten derjenigen, die in den kleinen Fabriken ihre Jobs verlieren. Diese Entscheidungen nützen der Umwelt langfristig und wären in einer demokratischen Gesellschaft nur schwer durchzusetzen. Das hat große ökologische Vorteile auf lange Sicht, schadet aber kurzfristig einigen Menschen. Ich denke, wir werden im Rückblick sagen: Die Chinesen haben das Klimaproblem gelöst. Es ist nicht so, dass sie nur der größte Treibhausgasproduzent sind. Das sind sie, weil sie 1,3 Milliarden Menschen sind. Pro Kopf sind die Emissionen noch immer niedrig. Dennoch haben sie schon begonnen, den Kurs zu ändern. Sie arbeiten an sauberen Autos, emissionsfreien Häusern und werden die Lösungen für die Klimakrise entwickeln, die sie dem Westen dann verkaufen werden.

Ein dritter Weg, die Kurzfristigkeit zu überwinden, sind übernationale Strukturen, wie der Weltklimarat der Vereinten Nationen, der IPCC. Die Weltgemeinschaft könnte seine Kompetenzen erweitern, so dass er nicht nur sagen kann, was richtig oder falsch ist. Er bräuchte die Autorität, den Nationen zu sagen, dass sie ihre Häuser besser isolieren, oder dass ihre Autos kleiner werden müssen. Es wäre eine übernationale Autorität mit auf ein Politikfeld beschränkten Entscheidungsbefugnissen. Das ist, was die Europäer in der Europäischen Union versuchen. Das ist machbar, aber es ist sehr schwierig und zeitraubend. Es ist 24 Jahre her, dass der IPCC seinen ersten Bericht vorgelegt hat. Es ist 20 Jahre her, seit der Erdgipfel in Rio die Klimarahmenkonvention beschlossen hat. Rechtlich verbindliche Klimaziele sollten die Langfristigkeit zu einer Entscheidungsgrundlage für wirtschaftliche Entscheidungen machen. Das Hauptproblem: Es braucht Zeit. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren die Treibhausgasemissionen nicht gesenkt, sondern sie steigen immer noch weiter. Die Wachstumsrate der Treibhausgase ist sogar noch höher als vor 20 Jahren.

Alle drei Lösungen, um die Kurzfristigkeit zu überwinden, haben den Makel, dass sie nur sehr schwer umzusetzen sind. Ich wünsche mir jedenfalls mehr langfristige Weisheit in der demokratischen Entscheidungsfindung.

Nach dem Wald

ist vor dem Wald.

China forstet

im großen Stil wieder auf.

Außerdem setzt das Land mehr und mehr

auf erneuerbare Energien.

Fotos: Reuters (2),

PA/dpa, dapd

CHINA

Volksrepublik: seit 1949 regiert

von der kommunistischen Partei Chinas.

Einwohner: 1,35 Milliarden (UN 2010)

Lebenserwartung: 72 Jahre Männer

und 76 Jahre Frauen (UN)

BIP pro Kopf: 4260 US-Dollar

(Weltbank 2010)

CO2-Ausstoß pro Kopf/Jahr: 3,9 Tonnen, allerdings inzwischen größter Emittent von Treibhausgasen weltweit.

RIO 1992

Vor genau 20 Jahren fand der Rio-Gipfel zu Umwelt und Entwicklung statt, auf dem die Klimarahmenkonvention und die Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt beschlossen wurden. Schon 2002 in Johannesburg beim

Folgegipfel war klar, dass deren Ziele nicht erreicht werden würden. Vom 20. bis 22. Juni trifft sich die Weltgemeinschaft in Rio zum dritten Mal, um über die Zukunft des Planeten zu beraten.

GRÜNE WIRTSCHAFT

Ein Hauptthema wird eine „grüne Wirtschaftsweise“ und ein „grünes Wachstum“ sein. Viele Entwicklungsländer sehen in dem Konzept eine Chance, Wettbewerbsvorteile zu erringen.

Andere, vor allem in Lateinamerika, halten die Idee nur für einen grün angestrichenen Kapitalismus.

GLOBALE INSTITUTIONEN

Vor 40 Jahren fand in Stockholm der erste Weltumweltgipfel statt. In der Folge wurde das UN-Umweltprogramm gegründet. Die Europäer und die

Afrikaner versuchen nun, aus dem

Programm zumindest eine vollwertige Organisation zu machen. deh

Die chinesischen Hersteller

von Solaranlagen haben Deutschland

inzwischen überholt.

Und das Ausbautempo ist in China ebenfalls hoch.

Jorgen Randers ist

Professor für Klimastrategie an der

norwegischen Schule für Management. Für den Club of Rome hat er gerade die Studie 2052 vorgelegt. Bis 2006 war er Chefklimaberater der norwegischen Regierung.

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