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Eberhard Diepgen: „Schwarz-Grün muss reale Chance werden“

„Wowereits Senat hätte so hohe Wasserpreise nicht genehmigen müssen“. Der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen über Renate Künast und die Grünen als neue Partei des Bürgertums.

Mit glänzenden Umfragewerten im Rücken hat Renate Künast ihre Spitzenkandidatur zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 angekündigt. Sind die Grünen die neue bürgerliche Partei, Herr Diepgen?

Nicht die, aber eine neue bürgerliche Partei. Aber das gilt mit großen regionalen Unterschieden und oft weniger für die Funktionäre als für ihre Anhänger und Wähler. In Berlin denke ich auch an Ströbele und die alte Alternative Liste. Die neuen Grünen denken oft konservativ, meiden für sich den Begriff aber wie der Teufel das Weihwasser. In ihrem Lebensgefühl finden sie sich bei den alten Parteien nicht wieder.

Was genau macht die Grünen für Teile des bürgerlichen Milieus so attraktiv?

Eine jüngere, gut ausgebildete und beruflich etablierte Generation will sich abgrenzen von den eingefahrenen Wegen des Politikgeschäftes. Sie denkt aber in traditionellen Werten und den Kategorien von Nachhaltigkeit. Sie will nicht nur tagespolitischen Pragmatismus. Wenn man konservativ als eine werteorientierte Haltung definiert, findet man viele Parallelen zu großen Teilen der CDU. Hier rächt sich aber, dass die Union beim Kampf um den Inhalt politischer Begriffe seit Biedenkopf und Geißler versagt hat. Zur Wahrheit über das neue grün-bürgerliche Publikum gehört aber auch: Die meisten verdienen ordentlich, sind aber weit entfernt von den wirklichen sozialen Probleme einer Großstadt. Überhaupt fallen Anspruch und Wirklichkeit zuweilen auseinander. So sind grün-bürgerliche Wähler prinzipiell sehr offen für langes gemeinsames Lernen von leistungsstarken und schwachen Schülern, sie schwärmen vom kulturellen Austausch in einer Migrationsgesellschaft. Für ihre eigenen Kinder verlassen sie aber die Problembereiche oder gründen Privatschulen.

Wie soll die Hauptstadt-CDU mit der bürgerlichen Konkurrenz umgehen?

Grün-Rot oder Rot-Grün kann zum Austausch von Köpfen führen. Für einen Politikwechsel reicht das aber nicht. Dazu braucht Berlin die CDU. Deswegen muss Schwarz-Grün eine reale Chance werden. Das wird aber nicht gelingen, wenn die CDU grünen Parteiparolen hinterherläuft. Stattdessen muss es eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der grün-bürgerlichen Wähler geben.

Was heißt das?

Allgemein gilt der Rat von Balthasar Gracian „Nie aus Eigensinn sich auf die schlechtere Seite stellen, weil der Gegner sich bereits auf die bessere gestellt hat“. Die CDU darf aber wegen einer schwarz-grünen Option nicht nur die Gemeinsamkeiten bei einer ökologischen Wirtschafts- und Baupolitik betonen. Wer Industriearbeitsplätze für bisher nicht vermittelbare Arbeitskräfte will, kann nicht Grün oder SPD wählen, er muss auf die CDU setzen. Arbeitsmarkt- und Industriepolitik, dazu gehört auch der Bau leistungsfähiger Stadtautobahnen, muss Arbeitsplätze für alle in den Mittelpunkt stellen. Grüne sind da auf dem Weg zur Klientelpartei für Besserverdienende.

So ähnlich klingt es auch, wenn Sozialdemokraten über die Grünen reden.

Das muss ja deswegen nicht falsch sein. Die SPD hat die Industriepolitik erst im Vorwahlkampf neu entdeckt. Aber zur Bildungspolitik: SPD und Grüne sind auf dem Weg, das Gymnasium in Berlin langsam zu zerstören. Den ärgerlichen Trend hat der „Spiegel“-Redakteur Fleischhauer mit dem Satz umschrieben „Lieber alle gleich schlecht als unterschiedlich gut“. Das – in Hamburg gab es gerade einen Aufstand dagegen – wollen auch die „grünen Bürgerlichen“ nicht.

Ist Schwarz-Grün trotz derart gravierender Unterschiede denkbar?

Ja. Bei der Fülle der Aufgaben gibt es genug Gemeinsamkeiten für ein Regierungsprogramm und die dann notwendigen Prioritäten.

Wie will die CDU stärkste Kraft werden, wenn das Duell Künast gegen Wowereit im Zentrum des Interesses steht?

Im Augenblick scheint das so. Wir leben aber in einer schnelllebigen Zeit. Zum Wahltermin ist es noch lange hin. Die inhaltliche Auseinandersetzung wird immer mehr in den Vordergrund treten. Das ist die Chance der Union. Die Berliner haben nach den Erfahrungen der letzten Jahre auch weniger Sehnsucht nach einer schillernden Persönlichkeit an ihrer Spitze. Sie wollen einen Regierenden Bürgermeister, der ein Konzept für diese Stadt hat, der verlässlich arbeitet und von dem man weiß, wie er denkt.

Sie meinen Frank Henkel?

Meine Beschreibung passt auf ihn. Mit seinen sozial- und ordnungspolitischen Vorstellungen repräsentiert er große Teile der Bevölkerung Berlins, vielleicht nicht in Dahlem aber in Spandau und Köpenick. Aber nicht nur ein Name steht dafür, dass die CDU Berlin regieren kann. Grütters, Heilmann, Ekkernkamp, Dregger. Und Berlin braucht eine Perspektive, die mehr ist als Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger, Hauptstadt mit geringer Wirtschaftskraft und geringem Durchschnittseinkommen. Es gab Fortschritte, aber gravierende Versäumnisse von der Bildungs-, über die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bis zur Sicherheitspolitik behindern die Entwicklung. „Arm, aber sexy“, dieser Spruch von Klaus Wowereit ist eine zielgruppenorientierte Tourismuswerbung. Aber nicht die Zukunft für diese Stadt.

Schmerzt Sie der Niedergang der Berliner CDU nach dem Ende der großen Koalition?

Ja, aber es gibt wohl immer eine längere Phase der Unordnung und der personellen Neuorientierung, wenn langjährige Regierungsparteien in die Opposition müssen.

Ist die Phase der Unordnung denn beendet?

Ja, da sind einzelne Ärgernisse in ein oder zwei Kreisverbänden kein Gegenargument. Der Streit im Golfklub oder anderen Vereinen ist nur nicht ganz so öffentlich. Ein Beweis liegt im Mitgliederzuwachs. Die Berliner Junge Union wurde für ihre bundesweite Spitzenstellung gerade ausgezeichnet.

Welche Verantwortung tragen Sie und der damalige CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky für den Niedergang der CDU, der ja durch den Banken- und Parteispendenskandal ausgelöst wurde?

Ich trage politische Verantwortung. Ich war sachlich mit einzelnen Bankgeschäften zwar nicht befasst. Aber als Regierender Bürgermeister muss man politische Verantwortung tragen und auch ertragen. Damals gelang es der SPD und ihren Verbündeten außerdem, den sogenannten Bankenskandal trotz der fachlichen Zuständigkeit von SPD-Mitgliedern vorrangig der CDU anzulasten. Ich habe die Wucht des Ärgers nicht abfangen können.

Würden Sie nach wie vor sagen, dass Berlin Klaus Landowsky viel zu verdanken hat?

Diese Frage muss jeder objektive Beobachter mit einem Ja beantworten. Sein Engagement lag doch nicht nur in einzelnen umstrittenen Bankgeschäften. Sein soziales und auch kulturpolitisches Engagement hat Spuren hinterlassen. Nicht umsonst ist er bei vielen kulturellen Einrichtungen und auch auf der Betriebsversammlung der BSR gern gesehener Gast.

Heute sorgt ein anderes Geschäft aus Ihrer Amtszeit für Empörung. War es ein Fehler, die Berliner Wasserbetriebe zu verkaufen?

Meine Skepsis gegenüber der Privatisierung von Unternehmen der Daseinsvorsorge ist in den vergangenen Jahren zusätzlich gestiegen. Die Berliner Politik stand in den 90er Jahren aber unter anderen Sachzwängen. Durch den Abbau von Berlin-Hilfe und Berlin-Förderung wurden wir vom Bund wissentlich in die Schuldenfalle gedrängt. Wir mussten nicht nur aus wirtschaftspolitischen Überlegungen, sondern zur Schuldenbegrenzung privatisieren und einen maximalen Preis erzielen.

Die Umstände waren schuld?

Das klingt nicht gut. Aber – wieder Gracian: „Alle Vollkommenheiten hängen von Zeitperioden ab.“ Der Verkauf war notwendig. Nach meiner Erinnerung konnte Berlin die notwendigen Investitionen in das teilweise marode Leitungssystem nicht allein stemmen. Außerdem wollten wir damals wegen der übereilten Kürzung der Berlin-Hilfe eine Klage gegen den Bund vorbereiten. Ohne den Verkauf landeseigener Unternehmen wären die Erfolgsaussichten erheblich gesunken Man hätte uns vorgehalten: So schlimm ist es doch nicht, ihr seid doch noch Eigentümer von Bewag, Gasag, Wasserwerken, Stadtreinigung und Wohnungsbaugesellschaften.

Und deshalb musste der Käufer der Wasserbetriebe ein Rundumsorglospaket mit Renditegarantie erhalten?

Dieser politische Kampfbegriff lenkt von den entscheidenden Fragen ab. Finanzsenatorin Fugmann-Heesing hat damals hart verhandelt: Höhe des Kaufpreises, Übernahme von finanziellen Risiken des Landesbetriebes, Garantien für weitere Investitionen in das Leitungssystem und damit Arbeit für einen ganzen Wirtschaftszweig, Engagement im internationalen Wassergeschäft und durch Vivendi auch in die Filmproduktion am Standort rund um Berlin. Da musste auch das Land etwas anbieten. Von der Renditegarantie profitierte der Landeshaushalt übrigens auch durch laufende Einnahmen. Aber heute stellen sich doch andere Fragen: Was wurde nachverhandelt, nachdem das Gericht Teile des Kaufvertrages für rechtswidrig erklärte? Warum hat der Senat so hohe Wasserpreise genehmigt? Das musste er nicht. Er wollte doch offensichtlich auch höhere Einnahmen für seinen Haushalt. Warum das Versteckspiel ? Ehrlich währt doch bekanntlich am längsten.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger, Ralf Schönball und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Thilo Rückeis.

BERLINER

Eberhard Diepgen, geboren am 13. November 1941 im Wedding, ist der erste geborene Berliner, der zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde. Berliner von der Pieke auf, sagen manche über ihn: Jurastudium an der Freien Universität, Referendariat am Kammergericht, Karriere in der Berliner CDU, deren Politik er zusammen mit Klaus Landowsky über Jahrzehnte bestimmte.

REGIERENDER

Als Regierender war Diepgen für die Konservativen eine Idealbesetzung: staatsmännisches Auftreten, wohl dosierte, überlegte Aussagen – verbindlich und kühl führte er den Senat rund 16 Jahre lang. Mit einer Unterbrechung zwischen 1989 und 2001 – ausgerechnet bei der Vereinigung Deutschlands und Berlins, für die er sich so lange eingesetzt hatte.

EHRENVORSITZENDER

Seit der Berliner Banken- und Parteispendenaffäre, die ihn das Amt und die CDU die Macht kostete, arbeitet Diepgen als Rechtsanwalt. Die CDU wählte ihn im Jahr 2004 zum Ehrenvorsitzenden.

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