zum Hauptinhalt
Anhänger von Präsident Kagame rühren die Werbetrommel.

© dpa

Ruanda: Stadt, Land, Strom - und Wahl

Vor 16 Jahren war Ruanda Schauplatz eines Völkermordes. Heute verlegen sie dort Kabel fürs Internet. "Vision 2020" heißt die Idee Paul Kagames. Am Montag stellt sich der Despot zur Wiederwahl.

Schon länger als eine Woche parkt ein silberner Bus an der Hauptstraße von Kamonyi. „Bridging the digital Divide“ steht darauf geschrieben – die digitale Teilung überbrücken. Acht Stunden am Tag brummt neben ihm ein Dieselgenerator. Im Inneren gibt es keine Sitzreihen, sondern Bürostühle und Schreibtische für 40 Laptops. An denen sitzen 40 Frauen, die an einem Seminar teilnehmen. Mehr als die Hälfte von ihnen sah hier im Bus einen Computer zum ersten Mal mit eigenen Augen.

Die Frauen lernen, auf der Computertastatur zu schreiben, sie bekommen ihre ersten E-Mail-Accounts, sie lernen zu googeln und Excel-Tabellen auszufüllen. Drei Wochen dauert das Seminar, es findet gerade in allen Bezirkshauptstädten von Ruanda statt. Wo es Strom gibt, lernen die Frauen in neuen Telekommunikationszentren, in den zwei Bezirken ohne Stromleitungen stehen die sogenannten „digitalen Busse“. Organisiert werden die Kurse vom „Rwanda Development Bureau“ (RDB) als Teil der staatlichen „Vision 2020“ – die aus dem armen landwirtschaftlich geprägten Land einen Tigerstaat werden sieht, eine Art „afrikanisches Singapur“.

Im Bus sitzen Frauen, die von der „Rwanda Women Association“ (RWA) als starke Führungspersönlichkeiten aus den Gemeinden ausgewählt wurden. Es sind Lehrerinnen, erfolgreiche Farmerinnen, Unternehmerinnen, Angestellte. Frauen auszubilden sei das Beste, was man für die Entwicklung des Landes tun könne, sagt Yahya Hassani vom RDB: „Frauen fühlen sich für ihre Orte verantwortlicher als Männer, als zeige sich dabei ihre mütterliche Fürsorglichkeit.“ Mehr als die Hälfte der Abgeordneten in Ruanda seien Frauen, sagt er auch, mehr als anderswo in der Welt.

Eine Seminarteilnehmerin im Bus sucht gerade Fonds oder Darlehen, „die mir und anderen Frauen in unserer Gemeinde bei der Arbeit helfen könnten“, wie sie sagt. In ihrem Heimatort arbeitet sie für die RWA, lehrt andere Frauen Lesen und Schreiben sowie Grundkenntnisse der Firmenführung.

Um möglichst vielen Menschen solches Basiswissen beizubringen und die Erkenntnisse von Seminaren zu speichern und weiterreichen zu können, baut die ruandische Regierung mit Hilfe ausländischer Geberländer und der Weltbank in allen Bezirkszentren Telekommunikationszentren mit neuen Scannern, Rechnern und Druckern. In Kamonyi steht das neue „Telecenter“ direkt neben dem „digitalen Bus“. In das Gebäude führt schon ein neues Kabel hinein, das eine schnelle Internetverbindung ermöglichen wird. Aber noch wartet es auf Strom – wie auch die hölzernen Leitungsmasten, die am Wegesrand stehen.

Und das ist eines der größten Probleme der „Vision 2020“: Der Unterschied zwischen der Welt im silbernen Bus und dem ruandischen Alltag ist noch immer groß. Wenn die Idee auch gut ist, dass Kommunikationstechnologien die Menschen mit der Welt verbinden und dazu beitragen sollen, das etwas wie im Jahre 1994 nie wieder passiert, als radikale Anführer der Hutu-Gruppe rund eine Million Menschen der Tutsi-Minderheit im Land massakrierten.

Seit dem großen Völkermord ist zwar viel passiert: Das vor 16 Jahren verwüstete Land ist heute auch nachts sicher. Es wird von guten, neuen Straßen durchquert und die Wirtschaft wuchs in den vergangenen zehn Jahren um mehr als fünf Prozent jährlich, im vergangenen Jahr sogar um elf Prozent. Für Korruption fallen harte Strafen an, die auch ehemalige Minister oder Ausländer nicht verschonen. 2009 wurde Ruanda von der Weltbank ausgezeichnet, als der Staat, der weltweit die meisten wirtschaftsfreundlichen Reformen umgesetzt hat. „Dieses Land begann bei Null“, sagt RDB-Mitarbeiter Artur Byabagambi. „Vor dem Genozid war Ruanda gar nicht mit der Welt verbunden, Telefone hatte nur die mächtige Staatselite.“ Das ändern sie jetzt. Aber es dauert. Noch immer leben neunzig Prozent der Bevölkerung auf dem Land, meist ohne Strom und Internetverbindung.

Doch davon lässt sich die Ruandische Patriotische Front (RPF) unter dem zwar aufgeklärten, aber autoritären Präsidenten Paul Kagame nicht abschrecken. Bis 2020 sollen 50 000 Programmierer ausgebildet werden. Investoren sollen kommen und das jährliche Wirtschaftsprodukt soll sich versiebenfachen. Dieser Fahrplan der „Vision 2020“ ist nicht erfüllbar, darüber sind sich in der Hauptstadt Kigali alle einig. Die Ziele seien absichtlich so hoch gelegt, damit sie die Menschen maximal motivierten.

Kritiker monieren, dass man mit Technologie und Befehlen Menschen und Gesellschaften nicht einfach verändern könne. Doch Kagame, der den Völkermord damals als Kommandant einer Gruppe Tutsi-Rebellen stoppte, und der bei der Präsidentschaftswahl am Montag sicher mit mehr als 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt werden wird, erträgt nicht viel Kritik und lässt sich von niemandem behindern. Oppositionelle Zeitungen wurden vor den Wahlen geschlossen, ein Regierungskritiker und ein Oppositionspolitiker von Unbekannten getötet.

Befürworter aber freuen sich über Kagame und seine Pläne. Er ist für sie einer von wenigen selbstbewussten afrikanischen Politikern mit einer eigenen, langfristigen Vision für die Entwicklung seines Landes. Und mit ausreichend starkem Willen, um sie auch realisieren zu können. Das sei besser, als nur auf Gottes Hilfe oder die der Geberländer zu warten. Darum vergeben sie – auch die westlichen Regierungen – Kagame seine Sünden bei der Verletzung der Menschenrechte und im Krieg im benachbarten Ostkongo, zu dem er Soldaten entsandte.

Das „Rwanda Development Bureau“ steht auf einem der unzähligen Hügel, auf denen sich Kigali ausbreitet. Es ist das gläserne, sechsstöckige Gehirn des Landes. Hier zeichnen elegant gekleidete Ingenieure die Zukunft von Ruanda. Hier wird ein Staat gebaut. Yahya Hassani und seine Kollegen organisieren in einem Büro den Fahrplan der „digitalen Busse“. Nebenan überprüft sein Kollege ein Projekt, das alle Staatsbediensteten mit schnellem Internet versorgen soll. Andere Kollegen verwalten das „eSoko“-System, das Landwirten ermöglicht, sich mit nur einer SMS nach den Preisen ihrer Ernte auf den umliegenden Märkten zu erkundigen. Die Farmer können so auswählen, wo es ihnen möglich sein wird, ihre Erzeugnisse mit größtem Gewinn zu verkaufen. Großhändler können dann beim Einkauf nicht so leicht die Unwissenheit der Farmer ausnutzen.

In anderen Stockwerken der RDB-Zentrale beenden Ingenieure das Projekt „Wireless Kigali“, das schnelle, drahtlose Internetverbindungen in der ganzen Metropole ermöglichen soll. Ökonomen durchdenken hier Anreize für ausländische Investoren und Marketingexperten überlegen, wie man das Image eines Landes verbessern kann, das die Welt ohne den Genozid wohl gar nicht kennen würde.

Doch auch die RDB-Mitarbeiter sind eine Klasse für sich. Es sind gebildete und fließend englisch sprechende Technokraten, Karrieristen, Konsumenten – eine goldene Jugend. Viele sind, wie Yahya Hassani, aus Tansania eingereist. Oder zurückgekehrt, wie Artur Byabagambi. Er wurde in Uganda geboren, als Sohn von Tutsi-Eltern, die Ende der 50er Jahre bei ethnischen Pogromen aus Ruanda gejagt wurden. Im Ausland studierte er und zog einige Jahre nach dem Genozid 1994 in das Land seiner Eltern.

Ruanda wird heute von einer Elite der Rückkehrer geprägt und dominiert. Sie sind in Verhältnissen aufgewachsen, die mit der Wirklichkeit ihrer neuen Mitbürger fast nichts gemein haben. Aber sie geben die Richtung an, in die sich Ruanda heute bewegt und dank ihrer Qualifikation und ihrer Kontakte ins Ausland profitieren sie von den Reformen auch am meisten. Neue Konflikte beförderte das bisher nicht, dazu geht es dem Land gerade zu gut. „Den Menschen siehst du nicht in die Köpfe“, sagen aber Ruander immer wieder. Sicher ist nur, dass die neuen Macher in Kigali eine kleine Elite sind. Worüber sie auch selbst klagen. Es fehlt an fähigen Arbeitskräften – und es gibt doch so viel zu tun. Auch deshalb konzentriert sich die Regierung auf die nächsten Generationen.

Die Schüler der vierten Klasse der Grundschule in Kagugu am Rande der Hauptstadt haben gerade Biologieunterricht. Sie betrachten Abbildungen des Gehörorgans. Ohrmuschel, Hörkanal, Ohrtrompete, Trommelfell, Hörschnecke. Sie schauen nicht in alte Schulbücher, sondern auf die Monitore kleiner, weißgrüner Laptops. Wegen der Farben und der kleinen Tasten, die speziell für Kinderhände gefertigt sind, erinnern die Computer an Spielzeug.

Das Bild des Ohres kommt von der Wikipedia-Seite, wo Schüler auch auf weitere Links klicken können. Das US-amerikanische „one laptop per child“-Projekt liefert Billigcomputer für Kinder in 35 Länder, doch Ruanda geht auch in diesem Fall ins Extrem: Im Jahr 2012 sollen alle Schüler im Alter von neun bis 12 Jahren einen Laptop besitzen.

„Die Kinder müssen lernen, dass sie Informationen nicht nur vom Lehrer in der Schule bekommen, dass sie die selber finden können und müssen“, sagt Eduard Nizeymana, der junge Direktor der Schule. So mussten die Schüler einmal als Hausaufgabe Fragen aufschreiben, die ihnen immer wieder durch den Kopf gehen. Zum Beispiel warum Europäer weiß sind oder warum es regnet. In der Schule konnten sie dann mit Hilfe von Lehrern und Google ihre Fragen selbst beantworten. Seit sie Laptops hätten, seien die Kinder motivierter, entwickelten ehrgeizigere Pläne für ihre Zukunft, sagt der Direktor. Doch zeigt auch dieses Projekt die Hürden, die ein Land wie Ruanda – trotz ehrlicher Mühe der Eliten und trotz der spendablen Hilfe aus dem Ausland – auf dem Weg aus der Armut überwinden muss: Die meisten älteren Lehrer haben noch nie mit Computern gearbeitet, und sie haben dazu auch keine Lust. Außerdem fehlen digitalisierte Lehrbücher, die Laptops sind in den meisten Fächern nicht brauchbar.

In den zwei Jahren, seit Kagugu Computer bekam, hat sich die Zahl der Schüler von 3000 auf fast 4000 erhöht. So viele neue Computer konnten jedoch nicht so schnell angeschafft werden. Nun teilen sich einige Kinder die Geräte, haben dadurch aber weniger Praxis und lernen langsamer. Ruanda hat zudem vor zwei Jahren die Amtssprache gewechselt. Wegen der französischen Unterstützung für die Regierung, die den Genozid verantwortete, und um in der globalen Wirtschaft konkurrenzfähiger zu sein, hat sich das Land von Französisch auf Englisch umgestellt. Viele Lehrer haben also nicht nur Probleme mit der Computertechnik, sondern auch mit der neuen Unterrichtssprache.

„Die Kritiker sagen, dass die Regierung zuerst überall Trinkwasser oder Strom hinbringen sollte“, sagt Schulleiter Nizeyimana – keine Internetkabel. „Aber so geht das nicht. Die Welt wartet nicht, wir müssen sie einholen, wir müssen rennen, viele Sachen gleichzeitig machen. Wir können mit den modernen Technologien nicht darauf warten, bis jeder sauberes Wasser zu Hause hat.“ Wie fast alle Ruander ist auch Nizeyimana vom Nutzen der ruandischen IT-Projekte überzeugt. Auch wenn sie nur langsam vorangehen.

Noch heute ist das Internet in Ruanda langsamer als in den meisten Teilen Afrikas. Die Schüler in Kagugu empfangen nur in einigen Klassenzimmern ein gutes Signal, in anderen nur unter geöffneten Fenstern. Es dauert Minuten, bis sich die angewählten Webseiten öffnen. Dasselbe Problem ärgert auch die Frauen im „digitalen Bus“ oder die Besucher in Kigalis Internetcafés. Ruanda hat zwar im ganzen Land ein modernes optisches Kabel für das schnellste Internet verlegt, doch es fehlt noch die Verbindung zum Rest der Welt. Es ist genauso wie mit den wirtschaftlichen Reformen: Das Land hat alle Anreize für Investoren bereitgestellt. Doch noch fehlt es an Kraftwerken, die Strom für die wachsende Wirtschaft erzeugen würden.

Der Autor ist Redakteur der tschechischen Wochenzeitschrift „Respekt“

Tomas Lindner[Kigali]

Zur Startseite