
© Murad Sezer/Reuters
Liveblog zur Türkei nach dem Putschversuch: Erdogan will Auslieferung Gülens - aber bisher kein Antrag der Türkei
Dem türkischen Premier Yildirim zufolge sind in der Nacht 161 Menschen gestorben - neben den getöteten 104 Putschisten. Der Liveblog vom Samstag zum Nachlesen.
Am Tag nach dem gescheiterten Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bemüht sich die türkische Regierung, die Ordnung wieder herzustellen. Eine zentrale Frage lautet: Was passiert mit Präsident Erdogan? Macht der gescheiterte Putschversuch ihn noch stärker? Oder ist er geschwächt? Aktuelle Entwicklungen gibt es in unserem Live-Blog. Wie die Nacht verlief, können Sie in unserem ersten Live-Blog nachlesen.
Wohin steuert die Türkei?
Friedliche Demonstrationen am Samstag
Türkischer Außenminister: Auslieferung Gülens nicht beantragt
Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu hat nach eigenen Angaben nicht direkt mit seinem US-Amtskollegen John Kerry über die Auslieferung des in den USA lebenden Geistlichen Fethullah Gülen gesprochen. Er habe Kerry gegenüber deutlich gemacht, dass die Anhänger Gülens hinter dem Putschversuch stehen, sagte Cavusoglu im Reuters-Interview am Samstag. "Das Thema Auslieferung ist nicht direkt zur Sprache gekommen." Präsident Recep Tayyip Erdogan sieht in seinem Erzfeind Gülen den Verantwortlichen für den Putschversuch, bei dem nach offiziellen Angaben 265 Menschen ums Leben kamen, darunter 161 Zivilisten und Polizisten. (rtr)
Nur teilweise auf Sendung
Obama ruft zur Achtung des Rechtsstaats auf
US-Präsident Barack Obama hat alle Parteien in der Türkei zu „gesetzmäßigem Handeln“ aufgerufen. Aktionen, die zu weiterer Gewalt oder Instabilität führen würden, müssten vermieden werden, betonte er nach Angaben des Weißen Hauses am Samstag in einer Telekonferenz mit seinem Sicherheitsteam und außenpolitischen Beratern. Obama hatte sie anberaumt, um sich über die Entwicklung in der Türkei nach dem Putschversuch zu informieren. Der Präsident habe bei dieser Gelegenheit seine „unerschütterliche Unterstützung für die demokratisch gewählte zivile türkische Regierung“ geäußert, berichtete das Weiße Haus. (dpa)
Er habe ferner auf die gemeinsamen Herausforderungen verwiesen, die eine andauernde türkische Kooperation erforderten, hieß es weiter. Dazu zähle der Kampf gegen den Terrorismus.

Erdogan erwägt Einführung der Todesstrafe
Vor seinen Anhängern sprach der türkische Präsident auch über die Einführung der Todesstrafe. Über das Thema könnte im Parlament diskutiert werden, sagte er in Istanbul. Aus der Menge waren Forderungen zu hören, die Putschisten mit dem Tod zu bestrafen.
Erdogan ruft Obama zur Auslieferung Gülens auf
Zur Stunde tritt Präsident Erdogan in Istanbul vor Anhängern auf. Beschützt von Bodyguards schritt er vor seiner Residenz zu einer kleinen Bühne. In einer Ansprache rief er US-Präsident Barack Obama auf, den in Pennsylvania lebenden Exilanten Fethullah Gülen, den er als Urheber des Putschversuchs betrachtet, an die Türkei auszuliefern, sofern die Türkei und USA Verbündete seien.
Erdogans Facetime-Konterrevolution
Neuköllner SPD-Abgeordneter berichtet aus Istanbul
Der Neuköllner SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca hat die Wirren um den Umsturzversuch in der Türkei direkt auf dem Istanbuler Flughafen Sabiha-Gökcen erlebt. Mit Verspätung war das Flugzeug am späten Freitagabend mit dem Ziel Istanbul in Tegel gestartet. Eine Stunde stand es auf dem Rollfeld. Nach den Ereignissen der Nacht möchte Özkaraca am Samstag kaum noch an eine normale Verspätung glauben. Denn als die Maschine endlich in Istanbul landete, war auf dem Flughafen, der auf der asiatischen Seite liegt, nichts mehr normal. Panzer und Lastwagen versperrten die Zugangswege. „Draußen war ein großer Menschenauflauf. Militärhubschrauber kreisten“, sagt Özkaraca am Telefon. Auch ein Kampfjet donnerte über die Köpfe hinweg. Maschinengewehrsalven waren zu hören. Und die Menge rief immer wieder: „Allahu akbar!“
Özkaraca und seine Familie verbrachten die Nacht im Flughafenhotel. Am frühen Morgen machen sie sich zu Fuß auf und durchqueren die Sperren. Die Soldaten haben die Panzer stehen lassen; auf ihnen sitzen jetzt Polizisten. Etliche Kilometer gehen sie, bevor die Familie von Freunden mit dem Auto abgeholt und in die Wohnung in der Stadt gebracht wird. Endlich, in Sicherheit. „Alle Geschäfte, an denen wir vorbei kamen, waren geschlossen“, sagt Özkaraca . Die Begleitumstände des Umsturzversuches kommen ihm suspekt vor. Im Prinzip gebe es nur einen, dem die Ereignisse nutzen. Dies sei Erdogan. „Dieser Möchtegern-Putsch sieht aus wie der Reichtstagsbrand. Und er wird auch so wirken“, postete Özkaraca auf Facebook. Die Armee habe dilettantisch agiert. Das widerspreche allen Erfahrungen, die die Türkei mit Militärputschen habe.

Gülen weist Verantwortung für Putschversuch zurück
Der in den USA lebende Kleriker Fethullah Gülen weist jede Verwicklung in den Putschversuch zurück. Er verurteile aufs Schärfste den Umsturzversuch. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Gülen vorgeworfen, hinter dem Ereignissen von Freitagnacht zu stehen.
Türkisches Parlament verurteilt Putschversuch
Die vier wichtigsten Parteien im türkischen Parlament verurteilen in einer gemeinsamen Erklärung den Putschversuch. Diese Einigkeit sei von unschätzbarem Wert für die Demokratie in der Türkei, heißt es in dem Papier, das vor den Abgeordneten verlesen wird. Die Putschisten sind nach den Worten von Ministerpräsident Binali Yildirim "Terroristen" und keine Soldaten. Im Parlament sagt er, alle Parteien hätten den Putsch abgelehnt. Für die Zusammenarbeit der Abgeordneten bedeute dies einen Neubeginn. (rtr)
Widersprüchliche Angaben zu Incirlik
Unter Berufung auf das US-Konsulat hatte AFP berichtet, die Luftwaffenbasis Incirlik sei abgeriegelt worden. Zudem zitierte die Nachrichtenagentur nun einen Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, demzufolge das US-Militär in Absprache mit dem türkischen Militär die Sicherheitsmaßnahmen vorsorglich um eine Stufe angehoben habe. Bundeswehrsoldaten dürften sich nicht vom Luftwaffenstützpunkt entfernen. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bei Berlin widersprach hingegen auf dpa-Anfrage den US-Angaben. Die Soldaten könnten mit Ausweiskontrolle weiterhin die Basis verlassen und wieder hineingehen, es sei aber die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen worden, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Unseren Soldaten geht es grundsätzlich gut. Alle sind wohl auf“. Von dem Putsch hätten sie nur durch die Medien erfahren.
USA würden Ersuche um Gülen-Auslieferung prüfen
Die USA würden nach den Worten von US-Außenminister John Kerry einen türkischen Antrag auf Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen prüfen. Bisher sei ein solches Ersuchen jedoch nicht eingegangen. Wie Kerry nach Angaben der „Washington Post“ am Samstag weiter sagte, sind die USA dazu bereit, Ermittlungen zu unterstützen, um herauszufinden, wer den Putschversuch in der Türkei angezettelt hat und woher die Unterstützung kam. Er erwarte, „dass Fragen nach Gülen aufgeworfen werden“, zitierte die Zeitung den US-Chefdiplomaten.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich. Gülen, nach einem schweren Zerwürfnis 2013 einer von Erdogans Erzfeinden, lebt in den USA. „Offensichtlich laden wir die Regierung der Türkei ein, wie wir es immer tun, uns jegliche legitime Beweise vorzulegen, die einer Prüfung standhalten“, sagte Kerry der „Washington Post“ zufolge. Erneut kritisierte er den Putschversuch und erklärte, dass Wahlen der angemessene Weg seien, Dispute in einer Demokratie beizulegen. (dpa)
Grüne Deligöz: Die Türken zieht es auf die Straße
Die bayerische Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Grüne) ist ständig in Kontakt mit ihren Bekannten und Freunden in der Türkei. Sie ist „sehr besorgt“, sagte sie dem Tagesspiegel. Ihre Freunde haben die ganze Nacht die Geräusche, die Schüsse, die Militärflugzeuge dokumentiert. Deligöz berichtet, dass alle im Krisenmodus seien. „Die Türken sind Ausgangssperren gewohnt.“ Sie würden „mit einem schon erschreckenden Automatismus“ alle Eimer und Krüge mit Wasser füllen, falls das Wasser abgestellt wird, sie holten ihre Kerzen raus, falls der Strom ausfällt und hätten routinemäßig Vorräte im Haus, um einige Zeit durchzuhalten. „Neu ist, dass sie es im Haus nicht aushalten“, erzählt sie. Viele seien auf den Straßen. Die einen, weil sie den bedrängten Präsidenten unterstützen wollen, die Linken aber auch, weil sie sich noch genau an die Militärdiktatur der 1980er Jahre erinnern könnten. „Die Linken, die Intellektuellen, die Lehrer haben damals am meisten gelitten“, sagt Deligöz. Ihre Freunde und Bekannten seien auf den Straßen gegen das Militär, obwohl sie das Gefühl hätten, dass Erdogan sie damit ausnutzt, und die „Demokratie“ nur als Begriff vor sich her trage. Deligöz sagt: „Ich bin besorgt, was Erdogan jetzt macht.“ Das schlimmste sei, „wenn jetzt Gewalt mit neuer Gewalt beantwortet wird“. Denn das Land sei in zwei fast gleich große Hälften gespalten. Wenn jetzt Menschen gegeneinander gehetzt würden, könnten sich die Politiker am Ende zwar auf Kompromisse einigen, wie immer. Aber der Hass in der Bevölkerung gegen Minderheiten wie die Syrer, die Kurden oder religiöse Minderheiten sei nicht einfach an- und auszuschalten. „Das geht dann bis in den Alltag, wenn die Leute sich nicht mehr grüßen oder Kleinigkeiten für Gewaltausbrüche reichen.“
Türkei riegelt Luftwaffenstützpunkt Incirlik ab
Nach dem Putschversuch gegen die Regierung hat die Türkei den auch von der Bundeswehr genutzten Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der südlichen Provinz Adana abgeriegelt. Wie das US-Konsulat am Samstag mitteilte, wurde die Energieversorgung unterbrochen, der Zugang zur Basis und auch das Verlassen des Stützpunktes wurden aus Sicherheitsgründen untersagt. Auf der Basis haben mehrere Länder, darunter Deutschland, Verbände stationiert, die sich am Kampf gegen die Dschihadistenorganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien beteiligen. (AFP)
Martin Schulz: "Türkei darf nicht demokratische Grundregeln brechen"
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat die türkische Regierung nach dem Putschversuch davor gewarnt, die Regeln der Demokratie zu missachten. „So erschütternd der Putschversuch ist, den ich mit aller Schärfe verurteile – die türkische Regierung darf dies nicht zum Anlass nehmen, ihrerseits demokratische Grundregeln zu brechen“, sagte Schulz dem "Tagesspiegel am Sonntag".
Merkel: "Das Blutvergießen muss jetzt ein Ende haben"
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