zum Hauptinhalt
Antrittsbesuch. Angela Merkel empfängt Tunesiens Premier Hamadi Jebali von der islamistischen En-Nahda-Partei.

© AFP

Tunesien: Freiheit über alles

Antrittsbesuch: Tunesiens neuer Premier Hamadi Jebali über den Islam, Syrien und was er von Berlin erwartet.

Berlin - Selbstbewusst und entspannt präsentiert sich der neue tunesische Premierminister Hamadi Jebali bei seinem ersten Berlinbesuch. Der Bart des stellvertretenden Vorsitzenden der islamistischen En-Nahda-Partei ist kurz geschoren, die Zabiba, der braune Gebetsfleck auf der Stirn, verrät, dass Jebali die fünf täglichen Gebete im Islam ernst nimmt. Doch von einer Einschränkung der gesellschaftlichen Freiheiten durch islamische Vorschriften will der 62-Jährige nichts wissen: Sein großes Thema ist die Freiheit, die Freiheit der Meinung, der Religion, der Presse, der Versammlung und die Freiheit des Protestes gegen die Herrschenden. Ein muslimischer Gauck, könnte man denken. Da Joachim Gauck noch nicht Bundespräsident ist, kommt es aus tunesischer Sicht „leider“ nicht zu einem Treffen.

Dass Jebali die Freiheit hochhält, nimmt man ihm ab: Unter dem gestürzten Herrscher Ben Ali hat er 16 Jahre im Gefängnis verbracht, lange in Einzelhaft und, „was am schlimmsten war“, oft wurden ihm selbst Papier und Stift, Bücher und gar der Koran vorenthalten.

Für das Gespräch mit Journalisten nimmt sich der in Frankreich ausgebildete Ingenieur sehr viel Zeit – wie um zu beweisen, dass es seiner Regierung ernst ist mit der Pressefreiheit. Fragen nach Wiedereinführung der Vielehe nerven ihn, das sei „absolut kein Thema“. Welche Rolle genau dem Islam in der neuen Verfassung zukommen soll, die gerade ausgearbeitet wird, sagt er nicht. Aber er versichert: „Wir verstehen die Scharia, die islamische Gesetzgebung, als Garant sozialer Gerechtigkeit und als Freiheit der Wahl.“ Auf die Anmerkung, dass er eigentlich genau wie ein westlicher Politiker spreche, antwortet er lachend: Diese Werte seien Werte der Menschheit.

Die radikalen Salafisten im Land sieht Jebali nicht als Gefahr, allerdings sollten sie sich friedlich äußern. Die Angriffe auf den Fernsehsender, der den Film „Persepolis“ zeigte, der kritisch mit der iranischen Revolution abrechnet, lehnt er ab. Dann gab es letzte Woche noch die Geldstrafe für die Zeitung „Attounissia“, die ein Titelbild mit dem tunesischstämmigen Fußballer Sami Khedira mitsamt seiner fast nackten Freundin veröffentlicht hatte. Drei Journalisten wurden verhaftet wegen Verletzung der öffentlichen Moral. Er bedauere, dass sich die Justiz teilweise auf völlig veraltete Gesetze berufe, die dringend der Änderung bedürften, sagte Jebali dazu ausweichend. Eine klare Absage erteilt er dagegen einem Hohen Islamischen Rat, der ähnlich wie im Iran alle Gesetze auf ihre angebliche Konformität mit dem Islam prüfen und zu Fall bringen könnte. „Ein solcher Rat könnte für die Moscheeverwaltung zuständig sein, aber ohne legislative Kompetenz oder Kontrollfunktion.“ „Tugendkomitees“ à la Saudi-Arabien kämen genauso wenig infrage.

Die Ereignisse in Syrien liegen Tunesien und seinem Premier sehr am Herzen. „In unserer Regierung sitzen sehr viele Kämpfer, die für Freiheit gestritten haben“, daher fühle man sich der Demokratiebewegung in Syrien sehr verbunden. Nicht zufällig fand das erste Treffen der „Freunde Syriens“ in Tunis statt, ein weiteres ist am 2. April in der Türkei geplant. Aus Erfahrung weiß Jebali, dass „eine Diktatur nicht zum Abgang überredet werden kann, sondern dazu gezwungen werden muss“. Dennoch lehnt er eine westliche Militärintervention ab, da sie Baschar al Assad nur den Vorwand liefern würde, sich als Opfer einer Verschwörung darzustellen. Die Opposition müsse geeint werden – falls dies nicht gelinge, sollte man auf den Syrischen Nationalrat setzen als „handlungsfähigsten Verband“. Auch den Bewaffneten müsse man helfen – wie genau, bleibt offen.

Was der tunesische Premier von Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet, weiß er genau: „Unterstützung für das tunesische Modell“ in Form von zeitlich begrenzter Wirtschafts- und Ausbildungshilfe. Das sei „unser Recht und Deutschlands Pflicht“. Als Beispiele nannte er die Unterstützung bei Aus- und Weiterbildung gerade von Facharbeitern, an denen es fehle. 900 000 Arbeitsplätze wolle man so schaffen. Das entspricht in etwa der derzeitigen Zahl von 800 000 Arbeitslosen. Warum das im Interesse Deutschlands und Europas liegt, benennt er auch klar: „Europas Südgrenze liegt nicht mehr in Frankreich oder Spanien, sondern in Tunesien und Nordafrika.“ Bundeskanzlerin Merkel versicherte nach ihrem Treffen mit Jebali, es werde eine „sehr lebendige Zusammenarbeit“ geben mit wirtschaftlicher Hilfe und Unterstützung des Demokratieaufbaus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false