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Wolken hängen am 03.09.2015 in Berlin über dem Gelände der früheren Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau. Auf dem Gelände wurden kurzfristig Zelte errichtet, in denen 600 Flüchtlinge untergebracht werden können.

© dpa

Überlastete Ämter, marode Schulen, BER und Co.: Berlin - Hauptstadt des Versagens

Berlin ist zweigeteilt. Hier Kreativität und Lebenslust, da grauester Amtsstubensozialismus. Eine heillos überforderte Verwaltung macht Berlin zur Hauptstadt des Versagens. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Von wegen Smart City. Nirgends sind Verwaltungen beim Thema Flüchtlinge so überfordert wie in Berlin, klagt der Chef des Technischen Hilfswerks im Tagesspiegel: Selbst in der jordanischen Wüste funktioniere es besser. Schwerfällige, hierarchische Behörden, die an kleinen Problemen scheitern und denen die buchstabengetreue Auslegung von Vorschriften wichtiger ist als der gesunde Menschenverstand.

Nicht nur dort. Man muss nicht mal den BER bemühen; dazu kommen marode Schulen, heillos überlastete Bürgerämter, endlose Wartezeiten bei Baugenehmigungen oder Antragsstau der Jugendämter beim Elterngeld. Berlin – Hauptstadt des Versagens.

Wie paradox: Jedes Jahr ziehen Zehntausende in das weltweit ausstrahlende, attraktive Berlin – um hier eine geteilte Stadt zu finden. Hier das vor Kreativität und Lebenslust vibrierende Berlin, dort grauester DDR-Amtsstubensozialismus. Der ist verantwortlich dafür, dass am Lageso Freiwillige seit Monaten die medizinische Versorgung der Flüchtlinge sichern müssen oder die im Sommer versprochenen, reaktivierten Pensionäre immer noch nicht anpacken dürfen. Die aktuelle Berliner Erfolgsgeschichte als Gründerhauptstadt, das Jobwunder und die sprudelnden Steuereinnahmen gibt es wohl nur trotz, nicht aber wegen Berlins Verwaltung.

Neu ist die Klage nicht. Schon zu Mauerzeiten musste man in West- wie in Ost- Berlin eine mühselig rumpelnde Verwaltung ertragen. Nur hatte die Stadt damals noch doppelt so viele Mitarbeiter wie heute. Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin sorgte mit seinem strikten Sparkurs dafür, dass Berlin beim Personalschlüssel nun auf dem Niveau anderer Bundesländer liegt. Gespart aber wurde an der falschen Stelle.

In den Bezirken sieht es übel aus

Während die Hauptverwaltungen vergleichsweise glimpflich davonkamen, sieht es in den Bezirken übel aus – genau dort also, wo die Bürger in Berührung mit Ämtern kommen. Zudem hat der langjährige Sparkurs die öffentliche Infrastruktur derart geschädigt, dass Schulen, Straßen, Brücken und U-Bahnen kurz vorm Kollaps stehen.

Natürlich funktioniert auch vieles. So lange man nicht mit Ämtern zu tun hat, ist Berlin attraktiv und entspannt wie kaum eine andere Stadt, beneidet um das Kulturleben oder das öffentliche Nahverkehrssystem. Und Zuwanderer schätzen gerade, dass es offene Strukturen gibt, jeder sein Plätzchen findet und machen kann, was er will. Sauberer ist die Stadt auch geworden. Nur jene, die auf funktionierende Schulen, Kitas oder staatliche Dienstleistungen angewiesen sind, haben es schwer. Leider sind das fast alle.

Ein Hohn, dass 2011 die SPD/CDU-Koalition eine Qualifizierungsoffensive und bürgernahe Verwaltung ankündigte. Auf Wachstumsschmerzen einer Metropole zu verweisen, die ihren Weg nach 40 Jahren Teilung wieder finden muss, ist nicht mehr akzeptabel. Cool bleiben – und endlich funktionieren, so wie man es in einer Dienstleistungsgesellschaft erwarten darf, ist Pflicht für die selbst ernannte Digitalhauptstadt.

Bisher sitzen SPD und CDU diesen Skandal aus – auch weil die eingeborenen Berliner mit der über Jahrzehnte erworbenen fatalistischen Natur jeden bürokratischen Irrsinn ertragen. Viele finden es beruhigend egalitär, dass Arm und Reich gleichermaßen leiden: Im Bürgeramt sind alle gleich. Es ist Zeit, dass der Langmut endet, auch mithilfe der Neuberliner, sonst gibt es nie einen Mentalitätswandel in den Amtsstuben. Im Herbst 2016 ist Gelegenheit dazu.

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