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Politik: Und morgen ins Gefängnis

Von Susanne Vieth-Entus

Briefe können Fanale sein. Wie Feuerzeichen beleuchten sie eine Situation, so dass sie schlagartig für jeden sichtbar wird. So war es mit der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Manche Briefe können nicht leuchten, denn sie landen im Papierkorb oder in der Ablage einer Amtsstube. Das haben Eltern und Lehrer tausendfach erlebt, wenn sie von Behörden Abhilfe bei Gewaltvorkommnissen, Unterrichtsausfall oder wegen fehlender Erzieherstellen erhofften. In einem gutbürgerlichen Bezirk Berlins musste im August 2005 erst ein kleiner Junge sterben, damit die Politik von dem Plan abließ, Schulstationen zu schließen. Der jugendliche Totschläger hatte erfolglos eine Hauptschule besucht.

Aus den Hauptschulen gibt es normalerweise keine Brandbriefe, weil sich die Lehrer längst daran gewöhnt haben, dass die Öffentlichkeit sie ihrem Schicksal überlässt. Von den Eltern hört man auch nichts, denn sie entstammen überwiegend einer Bevölkerungsschicht, die sich nicht zu Wort meldet. Der Rest der Welt ist heilfroh darüber, wenn die Hauptschulen still vor sich hin existieren. Denn sie stellen sicher, dass die anderen 90 Prozent der Heranwachsenden nichts mit den schlimmsten Problemkindern der Stadt zu tun bekommen. Das ist in Hamburg, Hessen oder Bremen nicht anders, denn auch hier wird nur die schwierigste Klientel in die Hauptschulen verfrachtet.

Was bedeutet diese Separation tatsächlich? Man stelle sich vor, dass Kinder, die in der Grundschule ein mehrjähriges Scheitern erlebten, die dann mitunter auch noch von der Gesamt- oder Realschule abgeschoben wurden, alle in einer einzigen Schulart zusammengepfercht werden. Kinder, die Lernschwierigkeiten haben; Kinder, die zu Hause nicht gefördert werden; Kinder, die ihre Nachmittage vorm Fernseher verbringen; Kinder, die geschlagen wurden oder selbst schlagen. Keine heile Welt – nirgends. Auch kein Vorbild, an dem man sich orientieren könnte. Wenn der, der Schularbeiten macht oder höflich ist, zum Außenseiter wird – warum sollte er sein Verhalten beibehalten?

Wenn aber die so genannte Mehrheitsbevölkerung meint, dass man diese Kinder separieren sollte, dann müsste sie auch so konsequent sein, dies durch den Einsatz vieler Sozialarbeiter auszugleichen. Anstatt Lehrer sinnlos zu verheizen, die in ihrer Ausbildung noch immer nicht lernen, mit Migranten- und Problemkindern fertig zu werden. Besser wäre es jedoch, diese Kinder zu fördern, solange sie noch nicht frustriert und verhärtet sind, also im Kita- und Grundschulalter.

Allerdings ist bundesweit die Ausstattung mit Erzieherinnen so schlecht, dass Sprachförderung kaum möglich ist. Auch Ganztagsgrundschulen klagen über Erziehermangel: Sie können Kinder am Nachmittag gerade noch beaufsichtigen, nicht aber intensiv fördern – und das in Zeiten, da in manchen Regionen kaum noch deutsche Kinder zur Schule gehen und der soziale Niedergang um sich greift; in Zeiten, da in Grundschulen Waffen auftauchen und Kinder vor laufender Handykamera zusammengeschlagen werden.

Diese Problemlage weitet den Blick für einen weiteren Brandbrief, der gestern auftauchte: Eine Berliner Grundschule im sozialen Brennpunkt Moabit soll wegen Geldmangels ihre Schulstation verlieren, die auf Gewaltprävention ausgerichtet ist und über eine der wenigen perfekt Deutsch sprechenden türkischstämmigen Erzieherinnen verfügt.

Das Geld, das wir heute in den Schulen einsparen, werden wir morgen in die Gefängnisse stecken.

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