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In diesem prunkvollen Saal tagt der Menschenrechtsrat der UN.

© dpa

Vereinte Nationen: Die Welt prüft Deutschlands Menschenrechtsbilanz

Alle vier Jahre kontrollieren die UN die Lage der Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten. Am Donnerstag ging es um Deutschland - und dabei vor allem um das deutsche Verhältnis zu Minderheiten.

Am Ende bedankte sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung für die vielen kritischen Fragen und Anmerkungen. „Danke, dass Sie das Thema in dieser Deutlichkeit angesprochen haben.“ Diese erste Anhörung vor dem Menschenrechtsrat der UN, die er miterlebe, sagte Markus Löning, habe ihn auch persönlich berührt. „Sie wird uns Gelegenheit geben zu prüfen, ob wir den vollen Umfang der politischen Antworten schon gefunden haben“. Dass so viele Länder das Thema angesprochen hätten, zeige: „Das scheint das Bild Deutschlands zu prägen.“ 

Gemeint war der Umgang Deutschlands mit Migranten, Minderheiten und der Schutz vor Rassismus. Dreieinhalb Stunden lang hatte sich FDP-Politiker Löning am Donnerstag in Genf Fragen und Empfehlungen aus immerhin 97 Ländern in aller Welt angehört. Mit viel Interesse hatte die Bundesregierung nach der Entdeckung der NSU-Mordserie bereits gerechnet. Tatsächlich betrafen dann aber mehr als 70 Anmerkungen genau dieses Thema, weit vor Geschlechterfragen (etwas über 20) oder der Lage von Kindern und Behinderten. Wobei nur der Vertreter der Türkei das Stichwort NSU offen nannte, auf die wachsende Verunsicherung der türkischen Community in Deutschland hinwies und volle Aufklärung forderte.  

Seit 2009 stellt sich Deutschland wie die andern UN-Mitglieder einer regelmäßigen Überprüfung seines Menschenrechtsengagements durch die anderen Staaten. Das Verfahren wurde 2007 eingeführt; Grundlage sind immer ein Lagebericht der Regierung des untersuchten Landes selbst und zwei Dokumentationen, die das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte aus eigenen Quellen und aus den Berichten von Aktivisten und nichtstaatlichen Organisationen zusammenstellt. Darüber wird – wie an diesem Donnerstag - im Plenum des Menschenrechtsrats in Genf debattiert, danach hat der untersuchte Staat Zeit zu entscheiden, ob er die Empfehlungen annimmt. Deutschland muss sich bis Herbst äußern. In etwa vier Jahren dann wird die Bundesrepublik erneut auf dem Prüfstand in Genf stehen. Kritiker des Verfahrens verweisen darauf, dass das Prinzip „Staaten prüfen Staaten“ dieses sogenannten UPR-Verfahrens (Universal periodic review, „regelmäßige Gesamtprüfung“) auch Regimen mit katastrophaler Menschenrechtsbilanz einen Auftritt verschaffe. So quittierte Löning diesmal die russische Frage nach Polizeigewalt in Deutschland mit ironisch-höflichem Dank und dem Hinweis auf die funktionierenden Gerichte der Bundesrepublik. Menschenrechtsexperten allerdings sehen im Verfahren die Chance, durch selbstbewussten und offenen Umgang mit blinden Flecken die eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen, wenn es um Menschenrechtspolitik nach außen geht.

So groß das Interesse an Deutschlands Versäumnissen in der Antirassismusbekämpfung war, so unspezifisch blieben am Donnerstag die Empfehlungen der 97 Länderdelegationen. In der eben einen Minute und 14 Sekunden, die jedem Land für seinen Vortrag zur Verfügung stand, verlangten die meisten allgemein mehr „Schutz vor Hassverbrechen“ (Niederlande), „eine umfassende Strategie gegen Rassismus“ oder den „Schutz von Migranten“ (der Vatikan) ein. Ägypten schlug konkreter eine unabhängige Aufsichtsbehörde vor Italien rügte das deutsche Schulsystem, das Migrantenkinder von höherer Bildung ausschlösse – junge Italiener sind seit eh und je besonders erfolglos in deutschen Bildungsanstalten. Und die beiden erfahrenen Einwanderungsländer Kanada und Großbritannien empfahlen indirekt  eine Reform der deutschen Strafverfolgung: „Könnte es sein“, so die Frage aus London, „dass struktureller Rassismus schuld daran ist, wenn Hassverbrechen nicht erkannt werden?“ 

Löning versicherte, dass noch vieles zu tun sei, und entschuldigte sich vor dem Menschenrechtsrat insbesondere für die lange Blindheit vor den NSU-Morden, „eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten“, die durch falschen Verdacht gegen die Opfer („ein besonders schmerzhaftes Moment“) verschlimmert worden sei. Auf die konkreten Forderungen nach Reformen ließ sich der Menschenrechtsbeauftragte nicht ein: Man habe das Terrorabwehrzentrum nach Entdeckung der Mordserie inzwischen durch eines gegen Rechtsextremismus ergänzt; ansonsten setze man auf das Engagement der Zivilgesellschaft. Auf die kritischen Anmerkungen mehrerer muslimisch geprägter Länder – etwa Afghanistan, Malaysia, Pakistan oder Iran - zu Kopftuchverboten antwortete Löning, die Schule könne Neutralität von Lehrkräften verlangen. Das gelte „ungemindert für alle Religionen“. Unterschiede würden in Deutschland „weder in den Gesetzen noch in der Praxis gemacht“. Tatsächlich verbieten mehrere Ländergesetze das muslimische Kopftuch in der Schule, erlauben aber ausdrücklich christliche und jüdische Symbole wie Kreuz oder Kippa.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte warf Löning denn auch vor, er sei in Genf nicht ausreichend „offen und selbstkritisch“ gewesen – zum Beispiel in der Frage der Aufklärung von Polizeigewalt. Das Institut, das am Genfer Verfahren mitgewirkt hat, lobte ihn gleichzeitig für sein Abschlussstatement: Dass er das Thema Rassismus zurück in die innenpolitische Debatte nehmen und kritisch prüfen lassen wolle, sei zu begrüßen.

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