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Türkische Journalisten protestieren Anfang November gegen Ministerpräsident Erdogan.

© dpa

Wegen Veröffentlichung eines Geheimdokuments: Türkischem Reporter drohen 43 Jahre Haft

Die Regierung Erdogan ist wütend. Die Zeitung „Taraf“ veröffentlichte ein spektakuläres Geheimdokument. Dem „Taraf“-Reporter Mustafa Baransu drohen nach Medienberichten nun bis zu 43 Jahre Haft. Die Veröffentlichung könnte von der Justiz als Terrordelikt gewertet werden.

Das Ministerpräsidentenamt, der Nationale Sicherheitsrat und der Geheimdienst der Türkei haben Strafanzeigen gegen eine unabhängige Zeitung und einen ihrer Reporter eingereicht. Das Blatt „Taraf“ hatte ein Geheimdokument des Sicherheitsrates veröffentlicht, das die Regierung in einer aktuellen innenpolitischen Auseinandersetzung schlecht aussehen ließ. Die Anzeigen wegen Geheimnisverrats, die derzeit von der Istanbuler Staatsanwaltschaft geprüft werden, bilden den vorläufigen Höhepunkt eines zunehmenden Drucks auf die Medien in dem EU-Bewerberland.

Dem „Taraf“-Reporter Mustafa Baransu drohen nach Medienberichten bis zu 43 Jahren Haft. Die Veröffentlichung des Geheimdokuments könnte demnach von der Justiz als Terrordelikt gewertet werden. Ende November veröffentlichte „Taraf“ eine Geheimentscheidung des Nationalen Sicherheitsrates aus dem Jahr 2004, die unter anderem von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und dem heutigen Staatspräsidenten Abdullah Gül unterzeichnet war. Der Beschluss sah eine Beobachtung der „Hizmet“-Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen durch den Geheimdienst vor. Gülen stand bei den damals noch mächtigen Militärs im Verdacht, aus der Türkei einen Gottesstaat machen zu wollen.

Die „Taraf“-Enthüllung ist spektakulär

Spektakulär ist die „Taraf“-Enthüllung deshalb, weil die lange mit der Gülen-Bewegung verbündete Erdogan-Regierung derzeit heftig mit Gülens Anhängern streitet: Die Allianz zerbricht. Erdogan will mehrere tausend – zum Teil von Gülen-Anhängern gewinnbringend betriebene – Paukschulen schließen, in denen Schüler auf Zugangsprüfungen für Gymnasium und Universität vorbereitet werden. Die „Taraf“-Meldung legte nun nahe, dass Erdogan der Bewegung schon seit Jahren misstraut. Die Regierung erklärte etwas kleinlaut, sie habe den von „Taraf“ zitierten Beschluss zwar unterschrieben, aber nicht umgesetzt. Doch das steht nach weiteren Recherchen des Blattes in Zweifel.

Es ist nicht das erste Mal, dass „Taraf“ den Mächtigen auf die Füße tritt. So brachte das Blatt die Ermittlungen gegen den rechtsgerichteten Geheimbund „Ergenekon“ in Gang. Als Folge wurden hunderte Ex-Generäle wegen Putschvorbereitungen gegen Erdogan zu langen Haftstrafen verurteilt. Nun steht Erdogan am Pranger. Möglicherweise gaben Anhänger der Gülen-Bewegung in Armee, Geheimdienst oder Bürokratie die Papiere aus dem Sicherheitsrat an „Taraf“ weiter.

Die Regierung Erdogan ist außer sich vor Wut

Die Regierung ist außer sich vor Wut. Erdogan sprach mit Blick auf „Taraf“ und die Kritik von Medien der Gülen-Bewegung von „Schlagzeilen, die wie Schüsse sind“. Yalcin Akdogan, ein Berater des Premiers, sieht hinter den Veröffentlichungen eine politisch motivierte Schmutzkampagne gegen Erdogan. Bisher ging der Premier mit Schadenersatzklagen gegen unliebsame Journalisten vor; zudem haben Unternehmen mit Medien im Portfolio jüngst mehrere Dutzend regierungskritische Journalisten gefeuert, um sich Chancen auf staatliche Aufträge zu erhalten. Die Anzeigen gegen „Taraf“ markieren nun eine neue Dimension: Zum ersten Mal greift die Regierungsmacht mit dem Mittel des Strafrechts offen eine kritische Zeitung an.

Doch „Taraf“ will sich nicht beugen. Druck der Obrigkeit sei man gewohnt, schrieb Chefredakteurin Nese Düzel. Erdogan bediene sich mittlerweile der gleichen Mittel wie einst die Militärs, die lange Zeit die Pressefreiheit im Land unterdrückten. Düzels Zeitung demonstrierte ihre Entschlossenheit auch in ihrer Schlagzeile: „Ihr werdet uns nicht zum Schweigen bringen.“

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