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Politik: „Wer Hass sät, wird Hass ernten“

Deutsch-türkischen Politikerinnen macht die aktuelle Debatte um Integration Sorgen

Berlin - Härtere Strafen, abschieben, raus – der Ton und die Schlagworte, die seit dem Urteil gegen den jüngsten Bruder der ermordeten Deutsch-Türkin Hatun Sürücü die Debatte bestimmen, machen vielen, die sich seit Jahren mit Integrationspolitik beschäftigen, große Sorgen. Auch denen, die sich massiv für Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen einsetzen: „Ich bin hier geboren und aufgewachsen“, sagt Sidar Demirdögen, Vorsitzende des Bundesverbands der Migrantinnen. „Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“ Migrantinnen würden pauschal zu Opfern, Migranten pauschal zu Tätern gemacht und als kulturell rückständig abgestempelt, Muslime verdächtigt, in Wahrheit radikale Islamisten zu sein. Das alles gehe an der Lebenswirklichkeit der übergroßen Mehrheit der Zuwanderer vorbei, sagt Demirdögen. „Mich hat sehr, sehr erschreckt, wie sich das zuspitzt. “

Auch die Grüne Ekin Deligöz, Vize-Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, findet die aktuelle Debatte aggressiv und deshalb gefährlich. Das schüre Angst vor Ausländern, aber auch Neid: „Warum kümmert man sich jetzt um die Türken, Schwarzen und Russen, sagen sich manche. Ich bin Deutscher, mir geht’s auch nicht gut.“ Ein solches Klima begünstige Verbrechen wie das an dem 37-jährigen schwarzen deutschen Familienvater, der nach einem Angriff in Potsdam seit Tagen im Koma liegt. „Wer Hass sät, wird Hass ernten“, sagt Deligöz. Politiker, Behörden und viele Menschen seien durch ein Verbrechen wie das an Hatun Sürücü verständlicherweise „überfragt und überfordert“ und setzten deshalb auf schärfere Strafen. Sie glaubt an eine Integrationspolitik der kleinen Schritte: „Kindergärten, möglichst früh und möglichst lange, Sprachkurse, in denen die Kinder auch Sozialverhalten lernen. Und ein islamischer Religionsunterricht, der nicht unkontrolliert den islamischen Vereinen überlassen wird.“ Dass die kulturelle Entschuldigung, das „Die-sind-halt-nicht-

wie-wir“, immer noch funktioniert, hält sie auch für ein Zeichen des Desinteresses der Mehrheitsgesellschaft an der Minderheit: „Die einen interessieren sich nicht, und die andern nutzen das.“ Den Abgesang auf Multikulti singt sie nicht mit. „Trotz einer Anti-Integrationspolitik hat die Integration doch noch bestmöglich funktioniert“, sagt Deligöz, die sich an ihre deutsche Schulzeit ab 1979 erinnert: „In Bayern gab es damals noch rein türkische Schulen mit türkischen Lehrern. Wir sollten ja nicht auf die Idee kommen, deutsche Schulen zu besuchen. Die Türken sollten arbeiten und gehen, wenn man sie nicht mehr brauchte.“

Die Berlinerin Emine Demirbüken- Wegner, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, ist empört über das Urteil im Fall Sürücü: „Die Familienmitglieder sind für mich die Mittäter, man ist viel zu milde mit ihnen umgegangen.“ Der Justiz wirft sie „hilfloses Reagieren“ vor: „Das Urteil ist ein Stück Ermutigung für Leute wie die Mörder von Hatun Sürücü.“ Ob frühe Kindergärten helfen? Demirbüken ist gebremst optimistisch: „Man kann die Kinder nicht ihren Eltern entreißen. Also muss man rein in die Familien. Aber das funktioniert nicht überall. Und wo es nicht geht, da sollte man auch den Mut haben, das zu sagen.“

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat die Debatte am Mittwoch noch einmal angeheizt: Er forderte im „Münchner Merkur“ die Abschiebung der gesamten Familie Sürücü. Berlins Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) wird dies nicht tun: Es gebe dafür keine rechtliche Möglichkeit.

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