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Bitte übernehmen Sie! Afghanischer Polizist in Herat. Foto: dpa

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Politik: Zwischen Angst und Zuversicht

In Herat wird am Donnerstag die Sicherheitsverantwortung übergeben

Tagelang haben afghanische Behörden und das Nato-Militär Versteck gespielt mit den Medien. Dabei kursierte das Gerücht schon länger, dass Herat – Afghanistans zweitgrößte Metropole mit geschätzt mehr als einer Million Einwohnern – an diesem Donnerstag der Verantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wird. „Faktisch ändert sich dadurch wenig“, meint Attilio Aleotti. Der stämmige Italiener im Hawai-Hemd vertritt die italienische Entwicklungshilfe in Herat. Er berät den Gouverneur. Vor zwei Monaten wurden Aleotti und seine italienischen Kollegen plötzlich evakuiert, zum 20 Kilometer entfernten Militärflughafen. Völlig überraschend hatten die Taliban an mehreren Orten in der Stadt zugeschlagen.

Hauptziel der Angreifer waren das italienische Wiederaufbauteam und seine wenigen hundert Soldaten, die sich mitten im Stadtzentrum hinter Betonwänden und Stacheldraht verschanzt halten und die überwiegend den Bau von Straßen, Schulen und Brunnen in der Stadt anstoßen. Zum ersten und bisher einzigen Mal mussten sie einen mehrstündigen Schusswechsel über sich ergehen lassen, ohne Verluste. Weil zugleich alle Angreifer umkamen, ist offiziell von einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen afghanischen Sicherheitskräften und Nato die Rede. Leidtragender war einmal mehr die Zivilbevölkerung. Denn als Ablenkungsmanöver hatte sich auf dem „Chawk-e-Cinema“, dem „Kinoplatz“ von Herat, ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Die Bilanz: 15 Tote und Verletzte.

„Das sitzt den Menschen noch in den Knochen“, sagt eine Deutsch-Afghanin, die hier zu Hause ist. Den afghanischen Sicherheitskräften schenkt sie wenig Glauben. „Jeder weiß, dass sie schlecht ausgerüstet sind. Wenn es ernst wird, können sie nichts Entscheidendes ausrichten.“ Attilio Aleotti versucht, der Übergabe dagegen Positives abzugewinnen. „Mich macht es froh. Das ist schließlich das Land der Afghanen.“ Soweit er wisse, plane auch das italienische Militär, bis 2014 ganz aus Afghanistan abzuziehen. Ob die „Übergabe in Verantwortung“ in Wirklichkeit eine „Flucht in Verantwortungslosigkeit“ sei, fragt sich ein skeptischer Taxifahrer. Denn bisher ist die Lage vor allem außerhalb der Städte, die diese Woche „übergeben“ werden, instabil.

In Herat sind es dabei oft kriminelle Gruppen, weniger Fundamentalisten. „Auf sechs Gruppen von Aufständischen kommt eine Gruppe Taliban. Der Rest sind kriminelle Banden“, rechnet ein Lokalreporter vor. Diese gehen, je nach Bedarf, allerdings immer wieder Absprachen mit den Taliban ein. Entsprechend unentschieden sind viele Menschen in Herat. „Die afghanischen Sicherheitskräfte werden es schaffen. In der Stadt, aber nicht außerhalb“, meint Ustad Hasim, ein Universitätsdozent. Nicht nur Pakistan sei ein Unsicherheitsfaktor. „Auch der Iran an der Grenze zu Herat unterstützt die Taliban, nicht zuletzt, weil die USA hier mit strategischen Vorposten vertreten sind.“ Zahlen über die Stärke der afghanischen wie der US-Armee in Herat sind schwer zu bekommen. „Wir wissen nicht, welche und wie viele Spezialoperationen das US-Militär hier tagtäglich durchführt“, sagt ein ausländischer Sicherheitsexperte, „das wissen nicht einmal die europäischen Verbündeten der Amerikaner.“

„Außerhalb der Stadt fehlt es nach wie vor an Polizei und vor allem an ordentlicher militärischer Aufklärung“, meint Abdul Rahman Salahi, der einen Verband der Zivilgesellschaft vertritt. Erst kürzlich wurde ein Lkw-Transport mit Sprengstoffmaterial vor der Stadt gestoppt, der aus Richtung Kandahar kam. An Bord: 300 Handgranaten und Minen, Sprengstoffgürtel sowie Kabel und Chemikalien zum Bau selbstgemachter Bomben. Weil die Taliban mit Verlusten kämpften, so Experten, gingen sie zu Anschlägen dieser Art über.

Ob die „Übergabe“ an die afghanischen Sicherheitskräfte erfolgreich ist, hängt auch davon ab, ob der Staat in Herat sichtbarer in Erscheinung tritt. „Für die Menschen ist weniger wichtig, wie viele Polizisten es gibt“, sagt Attilio Aleotti. „Entscheidend ist, wann endlich ehrliche Beamten in den Amtsstuben sitzen, es Schulen, Stadt- und Gesundheitsbehörden gibt, die ohne Korruption funktionieren.“ Bislang glauben die Menschen den Behörden nicht einmal Opferangaben bei Anschlägen. „Es werden Zahlen mitgeteilt, die in Wahrheit viel höher liegen“, sagt Naser, der bei einer deutschen Hilfsorganisation in Herat arbeitet. Immerhin hat das Fernsehen in Herat zehn mutmaßliche Täter gefasst. Es soll als Symbol des Erfolgs herhalten.

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