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Oliver Bierhoff, 42, ist seit 2004 Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die in dieser Woche in ihre WM-Vorbereitung geht.

© dpa

Update

Oliver Bierhoff: "Ich verlange von keinem, dass er mit mir weitermacht"

Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft, spricht im Tagesspiegel-Interview über die WM-Ziele der Deutschen, sein Image und Widerstände im DFB.

Herr Bierhoff, Deutschland soll den vierten Stern holen, also Weltmeister werden. Wer ist denn auf die Idee gekommen?

Unser Generalsponsor, aber hoffen wir das nicht alle? Wir wissen, dass das hoch gegriffen ist. Es ist jedoch das große Ziel unserer Fans, das wir 2006 knapp verpasst haben. Und wenn man als deutsche Nationalmannschaft in ein solches Turnier geht, muss man immer das Ziel haben, den Titel zu gewinnen. Wohl wissend, dass es andere starke Mannschaften gibt, vielleicht sogar stärkere.

Zählt denn nur der Titel?

Das ist doch für uns alle ein großer Traum. Es ist aber auch wichtig, als Mannschaft gut aufzutreten. Obwohl wir 2006 nicht den Stern geholt haben, haben wir als Team Sympathien gewonnen, weil wir attraktiven Fußball gespielt und immer alles gegeben haben. Das ist auch die Basis für Südafrika.

Die Ausgangslage ist dafür nicht die beste. Einige Leistungsträger suchen ihre Form. Das erinnert ein bisschen an 2006.

Wir werden uns nicht darauf verlassen, dass etwas, was einmal funktioniert hat, immer funktioniert. Andererseits wissen wir, dass Fußball Emotionen weckt. Verglichen mit 2006, ist es ja noch ruhig. Allerdings hat es sich damals sehr auf die Person Jürgen Klinsmann fokussiert, denn auf ihn wurden die sportlichen Probleme der Mannschaft zurückgeführt.

Bundestrainer Joachim Löw hat nun erklärt, dass er mit allen sechs Stürmern zur WM fahren will. Die Öffentlichkeit wird spekulieren, wer zu Hause bleiben muss.

Wir müssen für uns versuchen, die Ruhe zu bewahren. Spekulationen im Umfeld wird es immer geben, aber die dürfen uns nicht beeindrucken oder gar stören. Die Trainer lassen sich nicht von außen treiben – das hat sich jetzt bei Kevin Kuranyi gezeigt. Die Mannschaft trifft sich an diesem Mittwoch. Von da an werden wir konsequent und konzentriert arbeiten. Die vergangenen Turniere haben gezeigt: Wir können viel erreichen, wenn wir die Spieler längere Zeit zusammenhaben.

Sie sprechen das anstehende Trainingslager an. Was soll dort genau passieren?

Wir wollen die Zeit in Südtirol extrem gut nutzen, weil dort die Mannschaft komplett ist und wir uns ein paar Tage intensiv auf die WM vorbereiten können. Das wird entscheidend sein. Dann werden wir es auch wieder schaffen, Spieler aufzubauen und ranzubringen, die im Laufe der Saison vielleicht nicht den Erfolg hatten.

Sie sagten, die Emotionen gehörten eben zum Fußball dazu. Das haben gerade Sie zu spüren bekommen rund um die geplatzte Vertragsverlängerung für die sportliche Leitung um Bundestrainer Löw. Haben Sie die Emotionen unterschätzt?

Dass es um meine Person immer Emotionen gibt, daran bin ich gewöhnt, das war in der Vergangenheit häufig so.

Offenbar besitzen Sie für einige einen hohen Nervfaktor.

Ich stelle bei mir immer wieder fest, dass man häufig von der sachlichen Ebene weggeht und auf die emotionale Schiene driftet. Weil ich auf der sachlichen Ebene eben eine klare und manchmal auch unpopuläre Position vertrete.

Wie kommen Sie darauf?

Als ich den Job 2004 angefangen habe, galt ich in der öffentlichen Wahrnehmung als Diplomat schlechthin. Heute sage ich auch mal mit deutlichen Worten meine Meinung, aber ich bin davon überzeugt, zumal wir im Team der sportlichen Leitung einen regen Austausch haben und gemeinsam die Linie festlegen. Früher hieß es erst, du bist zu glatt, du hast keine Kanten, nun heißt es, der rempelt zu viel. Ich denke, auf der einen Seite sagt man vielleicht: Der Bierhoff steht für Geld, für Verträge wie den möglichen Nike-Deal …

… der dem Verband 50 Millionen Euro mehr hätte einbringen sollen …

… ja, dieses Angebot an den DFB wurde mir negativ angehaftet. Auf der anderen Seite lobt man Uli Hoeneß für den großen Audi-Deal des FC Bayern, den er ja auch nicht dafür bekommen hat, dass er dem Herrn Winterkorn mal lieb in die Augen geschaut hat – sondern weil er dafür die Grundlagen schafft, damit so ein Angebot kommt.

Sie rempeln ja schon wieder.

Nein. Nur gehe ich gelegentlich bewusst gegen bestimmte Denkweisen an, um aufzuwecken, um ein bisschen Bewegung reinzubringen. Letztlich versuche ich nur, im Sinne der Nationalmannschaft klar Position zu beziehen.

Glauben Sie, dass manche Kritik an Ihnen mit Ihrer Herkunft zu tun hat?

Worauf spielen Sie an?

Vielleicht darauf, dass Sie jahrelang als Fußballprofi nicht so viel Geld verdient haben wie Ihr Vater, der Konzernvorstand war.

Ich glaube, irgendwann hört man auf, sich darüber Gedanken zu machen, woher so etwas rühren kann. Leute werden häufig in eine Schublade gesteckt, wenn man sie nicht richtig kennt. Das mit meinem Vater hat dann sicherlich noch mal nachgeholfen bei der Meinungsbildung über mich. Ich habe das nie verstanden.

Was haben Sie nie verstanden?

Ganz früher hieß es zum Beispiel: Der ist zu gut erzogen. Was soll das sein, zu gut erzogen? Wenn du es nicht bist, dann bist du frech. Eines ist klar, das hat mir mal mein Vater erzählt: Ich habe schon in der Jugend polarisiert. Es gab viele, die haben mich gar nicht gemocht. Und andere, die fanden mich gut. Ich kann das sogar verstehen, dass jemand, der mich nicht kennt und sich ein Bild über mich aus der Distanz machen muss, vielleicht keine Sympathien für mich entwickelt.

Rührt der Argwohn daher, dass Sie nicht diesem Blut-Schweiß-und-Tränen-Milieu des Fußballs entstammen?

Ich habe auch geschwitzt, Tränen verdrückt und einige Dinge anders gemacht. Ich habe nicht als Schüler gesagt, ich gehe nicht zur Schule, weil ich eh Fußballprofi werde. Ich habe gesagt, ich gehe studieren, und nebenher kicke ich vielleicht ein bisschen, wenn ich Glück habe, vielleicht in der Oberliga. Es war immer mein Ziel und mein Wunsch zu studieren. Dann geht es für mich als Fußballprofi relativ schnell hoch, aber ich steige auch schnell wieder ab und gehe dann in die Provinz nach Italien, in ein Land, in das andere als Nationalspieler als Vorzeigeprofis hingehen. Und erst über die Provinz werde ich Nationalspieler. Also alles andersherum, mit 27. Außerdem mache ich das Studium zu Ende. Ich war eben nie bereit zu sagen: Fußball ist alles. Es ist nicht alles.

Ist es eine Neiddiskussion? Schließlich ist Ihr Weg ein einziger Erfolg.

Es wird halt immer nur was Bestimmtes vorgeholt. Dass ich aber in Ascoli Morddrohungen erhalten hatte, dass ich nach Österreich gegangen bin als Absteiger des Jahres und dass ich in Deutschland die Nullnummer war, als Nationalspieler belächelt wurde, dass ich gegen all diese Widerstände angegangen bin, das sieht man dann nicht.

Also wollen Sie doch gemocht werden?

Natürlich freut man sich, wenn man Anerkennung erfährt. Wenn das, was man macht, gern gesehen wird. Aber es ist nicht meine Maxime, dass ich von allen gemocht werde. Zumal ich selber Probleme bekommen würde, wenn ich die Sache nicht in dem Sinne, wie ich sie für richtig halte, weiter vorantreiben könnte. Für mich ist wichtiger, dass ich mir gegenüber stringent und klar handele. Mir ist aber natürlich auch klar, dass man im Beruf manchmal nur Dinge umsetzen kann, wenn man gewisse Sympathien hat.

Die Nationalelf hat wieder ein gutes Image, sie steht für Erfolg und Moderne. Das wird nicht Ihnen zugeschrieben, sondern anderen. Wie nehmen Sie das wahr?

Mich ärgert daran nur die oberflächliche Betrachtungsweise, wenn man darüber diskutiert, wie der Erfolg zustande kommt. Jeder, der in diesem Geschäft ist, muss erkennen, dass harte Arbeit dahintersteckt, dass da viele kleine Mosaiksteinchen zusammenpassen müssen. Ich denke aber, und das hat man an der ursprünglich vom DFB gewollten Vertragsverlängerung gesehen, dass man mit meiner Tätigkeit zufrieden ist.

Warum plötzlich so bescheiden?

Das war ich immer. Aber das ist hier nicht das Thema. Entscheidend ist vielmehr in meinem Job, dass ich es positiv finde, wenn jetzt gar nicht mehr darüber diskutiert wird, ob die Funktion des Nationalmannschafts-Managers wirklich nötig ist …

… die extra für Sie geschaffen wurde, weil Jürgen Klinsmann es so wollte …

… und jetzt wollen diese Entwicklung auch andere Nationalverbände nachholen: die Tschechen, die Schweden, die Franzosen. Was hat man mir den Event-Charakter der Nationalmannschaft vorgeworfen. Andererseits wird immer wieder verlangt, dass wir mehr machen müssen für die Fans. Ja, was jetzt? Mehr für die Fans? Dann ist es aber auch ein Event! Natürlich bin ich der, der mal ein bisschen außerhalb der Box denkt, der ein wenig provoziert, aber dadurch wird etwas bewegt. Was wiederum zur Folge hat, dass man gelegentlich auch mal auf die Nase fällt. Wenn ich im Nachhinein die sechs Jahre sehe, dann stimmen die Ergebnisse: Platz drei bei der WM, Platz zwei bei der EM, zwei souveräne Qualifikationen, ständige personelle Erneuerung der Mannschaft, ein durchgehender roter Faden. Oder nehmen Sie die wirtschaftlichen Erfolge. Wir haben unsere Sponsoring-Einnahmen vervielfacht, allein durch den Adidas-Deal. Wir haben die Fernsehverträge verlängert, die Stadien waren fast immer ausverkauft, wir haben neue Sponsoren für die Nationalmannschaft gewonnen.

Sie sagten mal: Wenn es so sein sollte, dass ich das Problem bin, lasse ich den Job sein.

Genau. Die Frage stelle ich mir ständig. Ich verlange von keinem, dass er mit mir weitermacht. Diese Verpflichtung gibt es nicht.

Wäre es jetzt ein anderes Arbeiten, wenn der Vertrag unterschrieben wäre?

Glücklicherweise denke ich in der täglichen Arbeit nicht daran, was mein Vertrag macht oder was kommen wird. Die Maxime unserer Arbeit ist: Woran glauben wir, was ist gut und erfolgreich und was machen wir? Und wenn das gut und erfolgreich ist, haben wir Rückenwind. Was allerdings das Team der Betreuer angeht, so gäbe es eine größere Planungssicherheit, wenn Klarheit über die Zukunftspläne herrschen würde. Es wäre für den einen oder anderen besser, wenn er wüsste, wie es nach der WM weitergeht. Viele Verträge liegen jetzt einfach mal da. Aber am Engagement unseres Teams hinter dem Team zweifle ich trotzdem keine Sekunde.

Wie leben Sie persönlich mit all den Auseinandersetzungen im Rückblick?

Es ist alles gesagt zu diesem Thema, was zu sagen ist. Ich habe mich in den Momenten, wo es am schwierigsten war, wo richtig draufgeschlagen wurde, sehr lebendig gefühlt.

Wann war es am schwersten?

In den zwei, drei Tagen nach der entscheidenden DFB-Präsidiumssitzung. Es war sehr anstrengend, weil ich mich gegen viele falsche Behauptungen wehren musste. Auf der anderen Seite war es sehr befreiend und sehr klar, weil man reflektiert hat, was man richtig und was man verkehrt gemacht hat.

Hat sich in diesen Tagen Ihr Vater gemeldet?

Sicher. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Es hilft einem ja auch, verschiedene Seiten zu sehen. Mein Vater ist sehr ehrlich, sehr kritisch, er hilft. Häufig ist ein Außenstehender der bessere Ratgeber als jemand, der emotional involviert ist. Ich bin jemand, der sich in solchen Phasen nicht mit zu vielen unterhält, aber auch nicht sagt, ich weiß alles. Das hat viel mit Selbstreflexion und -kritik zu tun. Dann unterhalte ich mich mit drei, vier Leuten, die ich kenne, und höre gerade bei denen hin, die mir vielleicht nicht so nahestehen.

Können Sie verstehen, dass mancher im Verband Ihr Wirken mit einer gewissen Skepsis verfolgt?

Das kann ich nicht beurteilen. Mir geht es in erster Linie darum, sinnvolle Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Arbeit der Mannschaft zu schaffen, und nicht darum, jemanden zu beschneiden.

Glauben Sie, dass mancher im Verband das befürchtet?

Vieles hängt wohl noch damit zusammen, dass Jürgen Klinsmann damals gesagt hatte, man müsse jeden Stein umdrehen beim DFB. Das haben vermutlich einige auf sich persönlich bezogen. Für sie hörte sich das an, als ob alles, was sie gemacht hatten, schlecht gewesen sei. Das war doch nie der Fall. Der Jürgen hat ja auch nicht jeden Stein umgedreht, aber natürlich hat er ein paar Veränderungen eingeführt, die mancher für sich bedauert hat. Entscheidend war immer nur die Sichtweise für den Erfolg der Mannschaft. Und das führe ich so weiter.

Einige im Verband unterstellen, die Nationalelf würde sich verselbstständigen.

Ein haltloser Vorwurf. Sicherlich hat es emotional bei dem einen oder anderen etwas bewirkt, wenn es da heißt, die Nationalmannschaft geht eigene Wege. Das haben wir aber weder gesagt noch haben wir es vor. Ich kann mal auflisten, was wir für den DFB machen: von den sportpolitischen Verpflichtungen wie der Asienreise und den Benefizspielen über das Oliver-Kahn-Abschiedsspiel bis hin zu unseren TV-Image-Spots und eben den wirtschaftlichen Erfolgen.

Trotzdem hat die Mannschaft jetzt eine eigene Internetseite.

Wenn ich eine eigene Microsite für die Nationalmannschaft mache, mache ich das nicht, weil ich mich absondern will, sondern weil ich glaube, dass diesem Team eine solche gebührt bei den vielen Fans, die sie inzwischen hat. Die Nationalmannschaft ist das Zugpferd, das Premiumprodukt des DFB. Und das müssen wir stark machen, damit es zugkräftig bleibt. Davon profitiert auch der Verband. Und noch etwas: Unsere Motivation war immer, es richtig gut zu machen. Ich mache mir um Joachim Löw keine Gedanken, wenn er kein Bundestrainer mehr ist. Da wird es schon noch was geben. Es geht ja nicht um wirtschaftliche Aspekte, sondern darum, dass man eine bestimmte Arbeit sehr gern macht. Natürlich liegen uns die Nationalspieler am Herzen. Wir begleiten manche seit 2004, man sieht eine Entwicklung.

Ist es für das Team ein Problem, dass es nicht weiß, ob Löw und Sie bleiben?

Das glaube ich nicht; anders als in einem Verein, wo der Spieler sagen könnte: Noch drei Spiele, dann ist der weg. Eine WM ist so etwas Einzigartiges, gerade für einen Spieler. Unabhängig vom Trainer will da jeder gut sein, so eine Chance bietet sich nur alle vier Jahre, manchem nie. Ich weiß, die Mannschaft wird ihr Optimales geben, und sie unterstützt uns.

Kann es über den Sommer hinaus ein Miteinander geben?

Alles ist möglich, es gab ja ein klärendes Gespräch. Meinungsverschiedenheiten sind da, aber ausgesprochen. Muss ja nicht nur schlecht sein. Der größte Störfaktor wäre der Misserfolg bei der WM, denn rein sachlich kann man an unserer Arbeit seit sechs Jahren nicht ruckeln.

Was wäre ein Misserfolg und ab wann würden Sie von Erfolg sprechen?

Ich tue mich immer schwer mit einem Cut. Man kann hervorragend in der Gruppe spielen und auf die Engländer treffen, die bis dahin schlecht spielen, und verliert dann unglücklich. War das nun ein Erfolg oder nicht? Aus meiner Erfahrung ist alles ab Viertelfinale gut. Das ist die Pflicht. Erfolg ist, was man aus sich rausgeholt hat. Wenn dann andere besser sind, muss man die Mütze ziehen. Wir sollten das nicht zu dramatisch sehen.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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