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Boateng

© dpa

Hertha BSC: Good bye, Wedding

Kevin-Prince Boateng wird Hertha BSC verlassen und sein Glück wohl bei Tottenham suchen. Ein Geschäft, bei dem zumindest der Preis stimmt.

Die Persönlichkeit des Kevin-Prince Boateng ist nicht leicht zu durchschauen. Wenn er beim Trainingslager im burgenländischen Stegersbach den Fußballplatz betritt, geht er demütig in Knie, greift ins Gras und bekreuzigt sich. Boateng sagt, er bete vor jedem Spiel. So viel Religiosität verträgt sich schlecht mit seinem Lieblingsfilm „Blood in, blood out“, einem Drama im Ghetto von East Los Angeles, in dem ziemlich viel geprügelt, gestorben und gefixt wird. Auf Herthas Homepage sagt Boateng, dieser Film erinnere ihn an seine Jugend in Wedding. Er sagt dort auch, dass es sein größter Traum sei, irgendwann einen großen Titel mit Hertha BSC zu gewinnen.

Dieses Projekt wird ein Weilchen warten müssen, wenn Kevin-Prince Boateng die Herausforderung annimmt, die ihm Tottenham Hotspur in der Premier League bietet. Hertha hat die Geduld verloren mit dem vielleicht talentiertesten Fußballspieler, den die Jugendabteilung des Vereins bisher hervorgebracht hat.

Bei Hertha herrschte allgemeines Erstaunen, als das großzügig, mit 7,5 Millionen Euro dotierte Angebot von der White Hart Lane eintraf, denn mit dem Durchbruch des schwierigen jungen Mannes rechnet dort kaum jemand mehr. „Kevin ist ein großartiger Fußballspieler“, sagt einer, der anonym bleiben möchte. „Aber im Kopf funktioniert es leider nicht richtig bei ihm.“ Ein anderer erzählt, Boateng würde nach einer Auswechslung schon mal in Tränen ausbrechen. „Ich glaube, er ist dem Druck nicht gewachsen.“

Das Problem ist, dass Kevin-Prince Boateng schon seit frühester Kindheit zu hören bekommt, was für ein Ausnahmetalent er ist. Bei seinem ersten Training als Siebenjähriger spielte er die anderen Jungs in Gummistiefeln schwindlig. Als er mit 15 Jahren und streichholzdünnen Beinen Herthas B-Jugend zum Gewinn der deutschen Meisterschaft schoss, verhandelte der Klub mit ihm über einen Profivertrag. Er war 18, als er in der Bundesliga debütierte. Seine erste Szene in diesem Spiel gegen Mönchengladbach steht für das Potenzial, aber auch das Selbstwertgefühl des Kevin-Prince Boateng: An der linken Außenlinie bekam er den Ball, zog ihn mit dem rechten Sohle hinter das linke Standbein und schob ihn vorbei am verdutzten dänischen Nationalspieler Kasper Bögelund in den Lauf des Herthaners Marcelinho.

Boateng liebt solche Kunststückchen. Er sagt, sie würden ihm ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Aber er setzt sie selten so produktiv ein wie damals im November 2005. Kritiker bezeichnen ihn als Effektfußballer.

Sein Vater, Prince Boateng, kam vor über 25 Jahren aus Ghana nach Deutschland, Mutter Christine, eine geborene Rahn, ist verwandt mit Helmut Rahn, dem Weltmeister von 1954. Die „afrikanischen Gene“ hält Frank Vogel für prägend. Vogel meint die enorme Handlungsschnelligkeit und Beweglichkeit, aber auch den ausgeprägten Grundstolz. Vogel ist Herthas Nachwuchs-Koordinator und verfolgt Boatengs Weg seit 2000. In allen Jahrgängen sei er mit seiner Leistung „vor seiner Zeit“ gewesen. Boateng war so etwas wie das Alphatier der Akademie. Vogel: „Er war schon immer sehr empfänglich, sich in einer besonderen Rolle zu fühlen.“ Als der damals 18-Jährige im Herbst 2005 gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, bei der WM 2010 im deutschen Mittelfeld zu spielen, antwortete dieser mit einer Gegenfrage: „Wieso 2010?“ In seinen Augen war zu sehen, dass er nicht an die WM 2014 gedacht hat. Sein Blick sagte, er würde sich das schon bei der WM 2006 zutrauen.

Mit dem Weggang des bunten Vogels Marcelinho stürzte der Boulevard auf Boateng und machte ihm zum „Prinzen von Berlin“. Er präsentierte seine Tattoos, seine Ohrbrillanten und den mächtigen Geländewagen. Keine gesunde Basis für einen jungen Spieler. „Bis zu einem bestimmten Punkt kann man ihm das gar nicht übel nehmen“, sagt Vogel. Aber es ist abträglich, um konstant Leistung zu bringen. Die in ihn gesetzten Erwartungen hat Boateng selten erfüllt. Wobei es auch nicht leicht ist in einer unstimmigen Mannschaft, in der es an Hierarchie, Disziplin und festen Konturen mangelt, in der Selbstregulierungsmechanismen nicht funktionierten. Spieler wie Boateng brauchen Führung, klare Leitplanken. Boateng besaß einen Topstatus. Grenzen aber wurden ihm kaum aufgezeigt.

Boateng bringt alles mit, was ein guter Fußballspieler braucht. Er beherrscht den Ball mit beiden Füßen perfekt, und seine Spielübersicht lässt sich durchaus mit einem Radar vergleichen. Er kann nach links schauen und den Ball millimetergenau nach rechts seinem Mitspieler auf den Fuß spielen. Dazu hat er die Physis eines Modellathleten, was jedoch ein wenig von seiner Verletzungsanfälligkeit ablenkt. Boateng ist mit seinen zwanzig Jahren schon zweimal am linken Knie operiert worden.

Kevin-Prince Boateng ist in Berlin nicht an sein Limit gekommen. Er wurde nicht der präsente Spieler, der er hätte sein können.Tottenham bietet 7,5 Millionen Euro – mehr würde kein Spieler aus Herthas Mannschaft bringen. Momentan hilft das Geld dem Klub mehr als der Spieler. Für Boateng kann England eine gute Schule sein. Es ist eine kühle Rechnung. Es ist ein Geschäft, bei dem zumindest der Preis stimmt.

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